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Sydow lächelte verschmitzt. »Den habe ich fürs Erste bei Tante Lu einquartiert«, verriet er seiner Gastgeberin. »Mal sehen, wie er die Nacht übersteht. Tja, und morgen wird er mir noch mal Rede und Antwort stehen müssen. Das meiste ist zwar geklärt, aber eben noch nicht alles.«

»Also Sieg auf der ganzen Linie«, sagte Lea, stellte das Tablett auf den Gartentisch und wollte sich gerade neben ihn setzen, als es laut und vernehmlich klingelte.

»Für dich, Tom!«, rief sie ihm kurz darauf aus dem Wohnzimmer zu und begab sich wieder auf die Terrasse.

Bis Sydow sich wieder zu ihr gesellt hatte, war kaum eine Minute vergangen. »Der Polizeipräsident!«, verkündete er mit breitem Grinsen, nahm Leas Gesicht zwischen die Hände und drückte ihr einen Kuss auf den Mund.

»Und was hat er gesagt?«, wollte sie wissen, sichtlich angetan von einem Gefühlsausbruch, wie sie ihn so sicherlich nicht erwartet hatte, ergriff Sydows Hand und sah ihn erwartungsvoll an.

»Dass aus Gründen, die ihm der Innensenator nicht nennen wollte, meine Beförderung vorerst auf Eis gelegt worden ist!«, triumphierte Sydow, schloss seine Jugendliebe in die Arme und flüsterte: »Lea – das muss gefeiert werden!«

Epilog

Sankt Petersburg / Russland

(31.05.2003)

37

Katharinenpalast in Zarskoje Selo | kurz nach Mitternacht

Der russische Präsident, Bundeskanzler Schröder und die zahlreichen Ehrengäste, die im Verlauf des denkwürdigen Tages wie die Heuschrecken über die altehrwürdige Residenz von Russlands berühmtester Zarin hergefallen waren, hatten sich längst wieder in ihre Quartiere begeben, als die Nachtwächterin, eine betagte Rentnerin jenseits der 80, durch die Gänge der weitläufigen Zarenresidenz schlurfte. Auf den Sicherheitsdienst, so ihr durch nichts zu erschütterndes Credo, war nun einmal kein Verlass, und da sie nicht viel Schlaf benötigte, machte es ihr nichts aus, Russlands ganzem Stolz einen mitternächtlichen Besuch abzustatten und das Wunder, von dem die ganze Welt sprach, in aller Ruhe zu begutachten. Seit damals, jenem denkwürdigen Tag, als sie das Bernsteinzimmer zum letzten Mal unversehrt zu Gesicht bekommen hatte, waren beinahe 62 Jahre vergangen, dennoch kam es ihr so vor, als sei es gestern gewesen.

Die ehemalige Kunsthistorikerin, seit Jahrzehnten außer Dienst, aber nach wie vor als Mädchen für alles tätig, kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Ein Wunder, in der Tat, dachte sich die Alte, als sie die in langjähriger Filigranarbeit rekonstruierten Paneele, Pilaster und Mosaike, Meisterwerke russischer Restaurationskunst, wie eine himmlische Erscheinung betrachtete. Über sechs Tonnen verarbeiteter Bernstein im Wert von etwa drei Millionen Euro. Kaum vorstellbar, aber wahr. Die Alte geriet in Verzückung, ein ehrfürchtiger Schauder nach dem anderen überlief ihre gebeugte Gestalt. Doch plötzlich, ohne dass sie von irgendwoher Schritte vernommen hätte, hörte sie Stimmen, die, wie sie tags darauf ihren Enkeln erzählen würde, ganz unzweifelhaft von einem Mann und einer Frau stammten. Die Taschenlampe in der rechten und den Gehstock in der linken Hand, gefror der Alten das Blut in den Adern, aber mit der Zeit, aufgrund des samtweichen, ans Frivole grenzenden Tonfalls der Frau, legte sich ihre Aufregung wieder. Sonderbar!, sinnierte die Alte, sah sich bedächtig um und brummelte: »Na ja, wer weiß, vielleicht siehst du langsam Gespenster!«

Genau das schien allerdings nicht der Fall zu sein, war doch die Stimme der Frau, geziert, heiter und verführerisch zugleich, ganz deutlich zu hören. »Was für eine Pracht!«, jubilierte sie, kaum imstande, sich zu beruhigen. »Nicht wahr, mein lieber Orlow?«

»Durchaus, Majestät.«

»Warum denn so zurückhaltend, mon chéri?«, zwitscherte die Frau in altertümlichem Russisch, eine Spur zu schrill vielleicht, dennoch gut zu verstehen. »Ich finde, es ist überaus ansehnlich geworden – und um ein Vielfaches schöner als das Original!«

E N D E

Glossar

›Auferstanden aus Ruinen‹: Titel der DDR-Hymne; Text von Johannes R. Becher, Melodie von Hanns Eisler

Adele Sandrock: Ufa-Star der 20er- und 30er-Jahre, 1937 verstorben

Bursztynowa Komnata – scisle tajne!: Bernsteinzimmer – streng geheim! (poln.)

CD: Corps Diplomatique (frz. Bezeichnung für Diplomatisches Corps)

Compris?: Verstanden? (frz.)

Dépêchez-vous!: Beeilt Euch! (frz.)

Dermo!: Scheiße! (russ.)

Doswidanja!: Auf Wiedersehen!

Eremitage: Im Winterpalast in Sankt Petersburg untergebrachte Sammlung wertvoller Gemälde, Kunstwerke und Artefakte

Felix Dserschinski: Geheimdienstchef unter Lenin

Gretschko: Andrej Antonowitsch Gretschko, sowjetischer Oberkommandierender in der DDR während des Volksaufstandes am 17. Juni 1953

HA: Hauptabteilung

HVA: Hauptverwaltung Aufklärung des MfS, d. h. Auslandsnachrichtendienst der DDR

IM: Inoffizieller Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes der DDR

Jekaterina Alexejewna: Thronname Katharinas II. der Großen

Joseph McCarthy: US-Senator (1897-1953) und führender Politiker während der nach ihm benannten durch extremen Antikommunismus geprägten McCarthy-Ära der frühen 50er-Jahre

Kap Deschnew: östlichster Punkt des russischen beziehungsweise asiatischen Festlands

Langer Lulatsch: Spitzname für den Berliner Funkturm

Lawrenti Berija: Geheimdienstchef der UdSSR, vermutlich am 26. Juni 1953 von seinen Rivalen im Politbüro exekutiert

Lubjanka: Zentrale, Gefängnis und Archiv diverser russischer Geheimdienste am gleichnamigen Platz in Moskau, heute Sitz der Bundesagentur für Sicherheit der Russischen Föderation (FSB)

MGB: Ministerium für Innere Angelegenheiten

Muschik: leibeigener russischer Bauer

Nikita Chruschtschow: Nachfolger Stalins als Parteichef der KPdSU, 1964 entmachtet

NKWD:Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten (dem die Geheimpolizei unterstellt war)

OibE: Offizier im besonderen Einsatz des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR (MfS)

Post mortem: nach seinem Tod (lat.)

RIAS: Rundfunk im amerikanischen Sektor (Programmdirektor Schütz am 16.06.1953)

Stalinallee: in den Bezirken Berlin-Mitte bzw. Friedrichshain-Kreuzberg gelegene Straße, 1961 in Karl-Marx-Allee umbenannt und Ausgangspunkt der Unruhen des 17.6.1953

Starez: ehrwürdiger Greis

Towarischtsch: Genosse

Tschekist: Sammelbegriff für einen Mitarbeiter der sowjetischen Geheimdienste, abgeleitet von Tscheka, der von Lenin ins Leben gerufenen Geheimpolizei

UB: eigentlich Ministerstwo Bezpieczeństwa Publicznego (Ministerium für öffentliche Sicherheit, MBP), auch unter dem Namen Urząd Bezpieczeństwa (UB) bekannt; unter anderem zuständig für nachrichtendienstliche Tätigkeit und Gegenspionage

Unternehmen Barbarossa: Deckname für Hitlers Feldzug gegen die Sowjetunion

VEB: Volkseigener Betrieb in der DDR