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»Ruhe im Puff!«, röhrte der ehemalige Boxer, der es sogar bis zum Sparringspartner von Max Schmeling gebracht hatte, und presste ein Transistorradio ans Ohr. »Ruhe, verdammt noch mal, sonst gibt’s was auf die Schublade!«

Die Geburtstagsgäste von Erna Pommerenke, der unumstrittenen Kreuzberger Bordellkönigin, verstummten auf einen Schlag und wandten die Blicke dem Tresen zu. Das Ohr am Lautsprecher, würdigte der Barkeeper die versammelte Halbwelt jedoch keines Blickes, mit jeder Faser seiner zweieinhalb Zentner auf die Stimme aus dem Radio konzentriert: ›Die Delegation der Bauarbeiter der Stalinallee, die uns heute Nachmittag im RIAS[11] aufsuchte – als ihre Kundgebung bereits den Sieg registrieren konnte –, sie war so siegesbewusst, dass ihr das Zugeständnis der sowjetdeutschen Regierung, der Rückzieher bezüglich der Normenerhöhung, nicht genug schien. Wir, verehrte Hörerinnen und Hörer, wir würden uns glücklich schätzen, wenn wir Ihnen in den nächsten Tagen von weiteren Siegen berichten könnten.‹

»Das glaubst doch wohl selbst nicht!«, polterte Sydows Nachbar zur Linken, nachdem die Sendung beendet war. Kurt Smuda, nach eigenen Angaben Antiquitätenhändler, laut Polizeiakte jedoch Schieber, Hehler und Kunstfälscher in einer Person, winkte ab und brach in höhnisches Gelächter aus. »Wenn die so weitermachen, haben sie demnächst den Iwan auf dem Hals. Deutsche Einheit – einfach lachhaft, so was. Die Zeiten sind doch wohl endgültig vorbei.«

»Noch ein Wort, Kurt«, echauffierte sich der Barkeeper, stellte das Transistorradio ab und ballte die Rechte zur Faust, »noch ein einziges Wort, und du kriegst dermaßen eins auf die Fresse, dass deine Zähne im Arsch Klavier spielen!«

»Jetzt aber mal halblang, ihr zwei«, fuhr Fluppen-Fred dazwischen, durch Schwarzhandel mit Glimmstängeln jeder nur erdenklichen Marke und Qualität reich gewordene Halbweltgröße, begleitet von Zurufen, er möge sich tunlichst heraushalten. »Oder wollt ihr, dass unser Familientreffen in eine Keilerei ausartet?«

»Hätte nicht übel Lust darauf«, grollte der Barkeeper und baute sich drohend hinter dem Tresen auf. Die mehrfach gebrochene Nase und ein Blick, gegen den sich derjenige eines angriffslustigen Gorillas wie das Lächeln eines buddhistischen Mönchs ausnahm, ließ Zweifel an seiner Entschlusskraft erst gar nicht aufkommen. »Kannst von Glück sagen, dass die Chefin heute Geburtstag hat, sonst …«

»Genau, Ede!«, trompetete eine rauchige, vom Konsum zahlloser Havannas, Schnäpse und reichlich französischem Cognac gefärbte Stimme, die dafür sorgte, dass sich die Blicke sämtlicher Anwesenden der Treppe zuwandten, die unter dem Gewicht der grell geschminkten 95-Kilo-Venus bedrohlich zu ächzen begann. »An meenem Jeburtstag hat selbst ’ne halbe Portion wie Trödel-Kurt nüscht zu befürchten.« Auf dem Treppenabsatz angekommen, welcher die Beletage mit dem in Zigarettenrauch eingehüllten Schankraum verband, legte die mit Federboa, bis zum Zerreißen gespannter Bluse und hautengem Glitzerkostüm bekleidete Herrin über ein halbes Dutzend Amüsierbetriebe eine Verschnaufpause ein. Dann winkte sie Sydow neckisch zu und schärfte ihren Untertanen ein: »Keene Keilerei, ham wir uns verstanden, Jungs?«

»Unter einer Bedingung«, konterte Flitzefinger, der Barpianist, nachdem das zustimmende Murmeln der Crème de la Crème unter den Berliner Ganoven wieder abgeebbt war.

»Und die wäre?«, grunzte Erna Pommerenke, ein breites Lächeln auf dem mit Rouge vollgekleisterten Gesicht.

»Na, dass du uns ein Ständchen bringst, was sonst?«, hieb Trödel-Kurt in die gleiche Kerbe. »Am allerbesten dein Lieblingslied.«

»Na jut, wenn’s denn sein muss.«

»Musses, Lola, musses.«

Ein Blick über die Köpfe der feinen Gesellschaft, ein asthmatisches Räuspern und Blinzeln in Richtung von Sydow, das von diesem pflichtschuldigst erwidert wurde. Und schon konnte die Darbietung, auf die nicht nur der Kriminalhauptkommissar liebend gern verzichtet hätte, beginnen: »Ick bin die Rote Lola«, intonierte die nunmehr 60-jährige Königin des horizontalen Gewerbes, die Sydow gleich mehrfach wichtige Tipps gegeben hatte, »der Liebling der Saisong, ick hab ’n Pianola daheim in mein Salong, ick bin die Rote Lola, mir liebt halt jeder Mann, doch an mein Pianola, da lass ick keenen ran.«

*

Knapp zehn Minuten später, gefolgt von Pfeifen, Trampeln, allgemeinem Gejohle und einem raubeinigen ›Happy Birthday‹, war das kleine Hauskonzert beendet, und nachdem er auf das Wohl der Hausherrin angestoßen hatte, setzte sich Sydow wieder an die Bar.

»Na, junger Mann, wie gehen die Geschäfte?«, richtete er das Wort an Trödel-Kurt, sehr zum Leidwesen einer gewissen Anneliese Petzold, deren Schmollmund die gewohnte Wirkung verfehlte. »Keine Bange, der große Coup lässt bestimmt nicht mehr lange auf sich warten.«

»Wer’s glaubt, wird selig!«, erwiderte der pomadisierte Kleinganove, bei dessen Anblick man sich automatisch an Fred Astaire erinnert fühlte. »Hab ja schließlich drei Kinder zu ernähren.«

»Drei? Bist du dir da auch ganz sicher?«

»Hahaha – selten so gelacht, Herr Kommissar«, antwortete Smuda und fingerte an der Nelke herum, die in seinem abgetragenen Smoking steckte. »Ob Sie’s glauben oder nicht: Bei mir herrscht momentan Flaute, schon seit geraumer Zeit. Nicht mehr lange, und wir nagen alle am Hungertuch.«

Als Kenner der Szene kaufte Sydow dem vermeintlichen Antiquitätenhändler sein Lamento natürlich nicht ab. »So schlimm?«, heuchelte er.

Smuda schien es nicht zu bemerken. »Schlimmer, als Sie denken, Herr Kommissar. Mal im Ernst: Meinen Sie wirklich, dass man von dem, was mir Ihre Kollegen vom Betrugsdezernat unterjubeln wollen, auf die Dauer leben kann? Na also, daran glauben doch wohl nicht einmal Sie. Nee, Herr von Sydow, noch ein paar Monate, und der gute, alte Kurt Smuda kann stempeln gehen. Darauf können Sie Gift nehmen.«

»Es sei denn, er landet den großen Coup.«

»Und der wäre?«

»Das frage ich dich, Kurt.«

Trödel-Kurt gab ein resigniertes Schnauben von sich, schüttete sein Pils Marke Berliner Kindl in sich hinein und blitzte Sydow aus den Augenwinkeln an. Vor diesem Bullen musste man auf der Hut sein, je misstrauischer, desto besser. »Wenn, dann aber auf ehrliche Weise«, gab er zurück. »Was bedeutet, dass der Finderlohn entsprechend hoch sein müsste.«

»Finderlohn?«

»Na ja, wenn man bedenkt, was im Krieg so alles abhandengekommen ist, wäre ich mit ein wenig Glück auf einen Schlag saniert.« Smuda setzte ein schelmisches Grinsen auf und bestellte sich noch ein Bier. »Durch den Finderlohn, damit wir uns richtig verstehen.«

»Jetzt machst du mich aber neugierig, Kurt«, hakte Sydow nach und rückte näher heran. »Gegen ein bisschen mehr Kohle im Geldbeutel hätte selbst ich nichts einzuwenden.«

»Wie schön, dass wir uns in diesem Punkt einig sind«, parierte Smuda und strich mit den Fingerkuppen über sein Haar, das zur Feier des Tages mit einer Extraportion Pomade traktiert worden war. »So was verbindet, keine Frage.«

»Du warst gerade dabei, mir Nachhilfe in Sachen Beutekunst zu geben, Kurt.«

»Stimmt, Herr Kommissar«, gab Smuda mit perfekter Unschuldsmiene zurück. »Fragt sich nur, in wessen Netz die ganz großen Fische gelandet sind.«

»Wahrscheinlich dort, wo sie nicht hingehören.«

»Sie haben es erfasst, Herr Kommissar«, antwortete der nur gut einen Zentner schwere Fred-Astaire-Verschnitt und nahm sein fünftes Pils in Empfang. »Dank Adolf dem Wahnsinnigen, wie wir alle wissen. Der bekanntlich nichts Besseres zu tun hatte, als halb Europa plattzumachen. Beziehungsweise mit freundlicher Unterstützung des Einsatzstabes Reichsleiter Rosenberg ausplündern zu lassen. Getreu dem Motto: ›Heim ins Reich, vor allem, wenn’s einem nicht gehört‹.« Trödel-Kurt genehmigte sich einen langen Schluck. »Als Erstes waren anno 40 die Franzmänner dran. Und da vor allem die Juden, weniger die Artefakte in staatlichem Besitz. Mehr als 20.000 Objekte aus über 200 Sammlungen, das muss man sich mal vorstellen. Kein Wunder, dass sie diesen Rosenberg aufgehängt haben.«