»Da gibt es außerhalb von Modesto eine Zuchtfarm«, sagte Travis.
Sie starrte ihn mit aufgerissenen Augen an.
Er lachte und sagte: »Tut mir leid. Ich vergesse immer wieder, wie unschuldig du bist, Mrs. Cornell.« Er küßte sie auf die Wange. Seine Stoppeln kratzten ein wenig, aber trotzdem war es schön. Obwohl er die Kleidung von gestern trug und sich nicht rasiert hatte, schien er ihr, gemessen an dem Spießruten-auf, den sie hinter sich gebracht hatten, um dieses Büro zu erziehen, sauber wie ein frisch geschrubbtes Baby. Er sagte:
»Ich sollte dir ernsthaft antworten, weil du nicht weißt, wann ich Witze mache.«
Sie blinzelte. »Also gibt es keine Zuchtfarm bei Modesto?« »Nein. Alle Arten von Mädchen machen das. Mädchen, die hoffen, im Showbusiness zu landen, gehen nach Los Angeles, um da Filmstar zu werden, schaffen es aber nicht. Also geraten sie in L.A. in Lokale wie dieses. Oder sie gehen nach Norden nach San Francisco oder Vegas. Die meisten von ihnen sind in Wirklichkeit ganz anständige Mädchen. Sie sehen das als eine Art Zwischenstadium an, eine Chance, sehr schnell Geld zu machen und sich einen gewissen finanziellen Rückhalt zu schaffen, um es dann noch einmal in Hollywood zu probieren. Dann gibt es einige - die Selbsthasser - die es tun, um sich zu erniedrigen. Andere befinden sich in Aufruhr gegenüber ihren Eltern, ihren ersten Männern, der ganzen, verdammten Welt. Und manche sind Nutten.«
»Und die Nutten picken hier ihre ... Freier auf?« fragte sie. »Teilweise - teilweise auch nicht. Manche tanzen wahrscheinlich nur, um eine nachweisbare Einkommensquelle haben, wenn die Steuer an ihre Tür klopft. Sie melden ihre Einkünfte als Tänzerinnen, und damit können sie das, was sie in ihrem Nuttengeschäft verdienen, besser untergehen lassen.«
»Das ist traurig«, sagte sie.
»Ja. In manchen Fällen... in einer ziemlichen Anzahl von Fällen, ist es verdammt traurig.«
Gebannt fragte sie: »Werden wir von diesem Van Dyne falsche Ausweise bekommen?«
»Ich glaube schon.«
Sie musterte ihn ernst. »Du kennst dich wirklich gut aus, wie?«
»Stört es dich - daß ich solche Lokale kenne?«
Sie überlegte einen Augenblick, dann meinte sie: »Nein. Eigentlich ... wenn eine Frau sich einen Mann nimmt, dann meine ich, sollte das ein Mann sein, der in jeder Situation weiß was zu tun ist. Das gibt mir eine ganze Menge Vertrauen und Zuversicht.«
»Zu mir?«
»Ja, zu dir. Und die Zuversicht, daß wir alles gut hinter uns bringen und Einstein und uns retten werden.«
»Zuversicht ist etwas Gutes. Aber eine der ersten Lektionen, die man bei Delta Force lernte, war, daß es einen den Kopf kosten kann, wenn man übermäßig zuversichtlich ist.«
Die Tür öffnete sich, und der Koloß kam mit einem rundge-sichtigen Mann in einem grauen Anzug, einem blauen Hemd und einer schwarzen Krawatte zurück.
»Van Dyne«, sagte der Mann im grauen Anzug, bot ihnen aber nicht die Hand an. Er ging um den Schreibtisch herum und nahm auf einem hochlehnigen Sessel Platz. Sein blondes Haar war dünn, seine Wangen babyglatt. Er sah wie ein Aktienmakler in einem Fernsehcommercial aus: effzient, clever,
wohlmeinend und gepflegt. »Ich wollte mit Ihnen reden, weil ich gerne wissen möchte, wer diesen Unsinn über mich verbreitet.«
Travis ging darauf nicht ein. »Wir brauchen neue Ausweise - Führerscheine, Sozialversicherungskarten - eben alles. Erstklassig und voll abgesichert, keinen Schund.«
»Davon rede ich ja«, sagte Van Dyne und hob mit einem Ausdruck, der Staunen und Verblüffung zeigen sollte, die Brauen. »Wie, in aller Welt, sind Sie auf die Idee gekommen, daß ich in dieser Art von Geschäft tätig bin? Ich fürchte, man hat Sie falsch informiert.«
»Wir brauchen erstklassige Papiere mit voller Deckung«, wiederholte Travis.
Van Dyne starrte zuerst ihn und dann Nora an. »Zeigen Sie mir Ihre Brieftasche. Und Ihre Handtasche, Miss.«
Travis legte die Brieftasche auf den Schreibtisch und sagte zu Nora: »Es ist schon in Ordnung.«
Widerstrebend legte sie die Handtasche neben seine Brieftasche.
»Bitte, stehen Sie auf und lassen Sie sich von Caesar durchsuchen«, sagte Van Dyne.
Travis stand auf und bedeutete Nora mit einer Handbewegung, sie solle ebenfalls aufstehen.
Caesar, der zementgesichtige Koloß, durchsuchte Travis mit peinlicher Gründlichkeit, fand die .357 Magnum und legte sie auf den Schreibtisch. Mit Nora war er sogar noch gründlicher, knöpfte ihre Bluse auf und tastete ihren Büstenhalter nach einem Miniaturmikrofon, einer Batterie und einem Rekorder ab. Sie wurde rot und würde diese Intimitäten nicht gestattet haben, wenn Travis ihr nicht erklärt hätte, was Caesar suchte. Außerdem blieb Caesar die ganze Zeit ausdruckslos, als wäre er eine Maschine ohne jegliches Potential für eine erotische Reaktion.
Als Caesar mit ihnen fertig war, setzten sie sich, während Van Dyne Travis' Brieftasche durchsuchte und sich anschließend Noras Handtasche vornahm. Sie hatte Angst, er würde ihr Geld nehmen, ohne ihnen etwas dafür zu geben; aber ihn schienen lediglich ihre Ausweise und das Fleischermesser zu interessieren, das Nora immer noch bei sich trug.
Dann sagte Van Dyne, zu Travis gewendet: »Okay. Wenn Sie ein Bulle wären, würde man Ihnen nicht erlauben, eine Magnum zu tragen -«, er klappte den Zylinder heraus und sah sich die Munition an, »die mit Magnums geladen ist.« Er lächelte Nora zu. »Und eine Polizistin trägt kein Fleischermesser.«
Plötzlich verstand sie, was Travis gemeint hatte, als er sagte, er trage den Revolver nicht zum Schutz, sondern weil er ihn als Identifikation brauche.
Van Dyne und Travis feilschten eine Weile und einigten sich schließlich auf sechstausendfünfhundert für zwei Ausweissätze mit >voller Deckung<.
Dann erhielten sie ihr Eigentum, Fleischermesser und Revolver Inbegriffen, zurück.
Aus dem grauen Büro folgten sie Van Dyne in den schmalen Korridor, wo er Caesar entließ, zu einer schwachbeleuchteten Betontreppe, die in einen Kellerraum unter dem >Hot Tips< führte, wo die Rockmusik durch die dazwischenliegende Betondecke noch weiter gedämpft wurde.
Nora wußte nicht genau, was sie in dem Keller zu sehen erwartete: vielleicht Männer, die alle wie Edward G. Robinson aussahen, graue Augenschirme mit Gummibändern trugen und an alten Druckerpressen arbeiteten, auf denen sie nicht nur falsche Ausweispapiere, sondern auch bündelweise Falschgeld produzierten. Was sie statt dessen vorfand, überraschte sie.
Die Treppe endete in einem Lagerraum mit Steinwänden, der etwa zehn mal zwölf Meter groß war. In ihm befanden sich, bis in Schulterhöhe aufgestapelt, Vorräte für die Bar. Sie gingen durch einen schmalen Gang aus Whisky- und Bierkartons sowie Schachteln mit Papierservietten zu einer stählernen Feuertür an der hinteren Wand. Van Dyne drückte auf einen Knopf im Türrahmen, worauf eine Kamera sie mit summendem Geräusch aufnahm und auf einen Bildschirm irgendwo übertrug.
Die Tür wurde von innen geöffnet, sie traten in einen kleineren Raum mit gedämpfter Beleuchtung, wo zwei junge Männer mit Barten an zwei von sieben Computern arbeiteten, die an einer Wand auf Tischen aufgereiht waren. Der eine trug weiche Rockport-Schuhe, Safarihosen, einen breiten Gürtel mit Ösen und ein baumwollenes Safarihemd, der andere Reeboks, Jeans und ein Sweatshirt, auf dem die Three Stooges[4] abgebildet waren. Sie sahen fast wie Zwillinge aus, und beide erinnerten sie an eine junge Ausgabe von Steven Spielberg.
Sie waren so mit ihrer Arbeit an den Computern beschäftigt, daß sie Nora, Travis und Van Dyne überhaupt nicht ansahen, aber sie schienen sich immens zu amüsieren, führten Selbstgespräche, redeten mit ihren Maschinen und miteinander, und alles das in einer High-tech-Sprache, die Nora völlig unverständlich blieb.
Außerdem war noch eine Frau Anfang der Zwanzig in dem Raum tätig. Sie hatte kurzes blondes Haar und eigenartig schöne Augen in der Farbe von Kupferpennys. Während Van Dyne mit den zwei Computerfreaks redete, führte die Frau Travis und Nora ans andere Ende des Raumes, stellte sie vor eine weiße Leinwand und fotografierte sie für die falschen Führerscheine.