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Er hob den Kopf und runzelte die Stirn.

Bertram war zuvor nicht einmal angesichts des Feindes erbleicht, doch jetzt lief er leichenblaß an und wich unverzüglich zurück, so daß das Sonnenlicht wieder auf die Buchseite fallen konnte.

Astinus nahm sein Schreiben wieder auf. »Nun?« fragte er.

»Caramon Majere und ein – ein Kender sind hier, um mit Euch zu sprechen, Meister.« Wenn Bertram einen Dämonen aus der Hölle angekündigt hätte, so hätte kaum mehr Entsetzen in seiner Stimme gelegen als jetzt, als er das Wort »Kender« aussprach.

»Laß sie eintreten«, wies Astinus ihn an.

»Sie, Meister?« Bertram konnte es sich nicht verkneifen, das Wort entsetzt zu wiederholen.

Astinus sah auf, und seine Brauen furchten sich. »Der Drakonier hat doch nicht dein Gehör beeinträchtigt, oder, Bertram? Du hast hoffentlich keinen Schlag auf den Kopf erhalten?«

»N...nein, Meister.« Bertram errötete und eilte aus dem Raum. Vor Eile trat er dabei auf seine Roben.

»Caramon Majere und... und Tol...tolfuß B...bar...hufe«, verkündete der aufgeregte Bertram kurz darauf.

»Tolpan Barfuß«, korrigierte der Kender und streckte seine kleine Hand Astinus entgegen, der sie ernst und würdevoll schüttelte. »Und du bist Astinus von Palanthas«, fuhr Tolpan fort, und sein Haarzopf tanzte vor Aufregung. »Ich habe dich früher schon einmal getroffen, aber du erinnerst dich nicht, weil es noch nicht eingetreten ist. Oder besser gesagt, also, wenn ich darüber nachdenke, dann wird es auch gar nicht eintreten, nicht wahr, Caramon?«

»Nein«, stimmte ihm der große Mann zu. Astinus warf dann einen Blick zu Caramon und musterte ihn eingehend.

»Du ähnelst deinem Zwillingsbruder überhaupt nicht«, stellte er nüchtern fest, »aber andererseits hat Raistlin sich vielen Prüfungen unterzogen, die ihn körperlich und geistig gezeichnet haben. Und trotzdem ist etwas von ihm in deinen Augen...«

Der Historiker runzelte verwirrt die Stirn. Er verstand das alles nicht, und es gab bisher nichts in den Gefilden Krynns, was er nicht verstanden hatte. Folglich wurde er wütend.

Astinus wurde selten wütend. Seine Gereiztheit allein jagte eine Welle des Entsetzens durch die Ästheten. Aber jetzt war er wirklich wütend. Seine grauen Augenbrauen sträubten sich, seine Lippen zogen sich zusammen, und in seinen Augen lag ein Blick, der den Kender nervös umherblicken ließ. Tolpan fragte sich, ob er nicht irgend etwas außerhalb des Raums verloren hatte, das er brauchte – jetzt sofort!

»Was ist es?« fragte der Historiker schließlich und ließ seine Hand auf sein Buch fallen. Der Federhalter sprang dabei hoch, und die Tinte spritzte.

»Du bist von einem Geheimnis umgeben, Caramon Majere, und es gibt für mich einfach keine Geheimnisse! Ich weiß alles, was auf Krynns Gesicht vor sich geht. Ich kenne die Gedanken eines jeden Lebewesens! Ich sehe ihre Taten! Ich lese die Wünsche in ihren Herzen! Dennoch kann ich in deinen Augen nicht lesen!«

»Tolpan hat es dir bereits gesagt«, entgegnete Caramon gelassen. Er griff in seinen Rucksack und holte ein riesiges, ledergebundenes Buch hervor, das er sorgfältig vor dem Historiker auf den Schreibtisch legte.

»Das ist eines von meinen Büchern!« sagte Astinus und warf einen Blick darauf. Sein finsterer Blick vertiefte sich, und seine Stimme erhob sich, bis er tatsächlich schrie. »Woher kommt das? Keines meiner Bücher verschwindet ohne mein Wissen! Bertram...«

»Sieh dir das Datum an.«

Astinus funkelte Caramon eine Sekunde lang zornig an, dann glitt sein wütender Blick auf das Buch. Er sah das Datum auf dem Band. Er machte sich gerade bereit, wieder nach Bertram zu rufen. Aber der Schrei stockte in seiner Kehle und erstarb. Er starrte mit weit aufgerissenen Augen auf das Datum. Dann sackte er auf seinen Stuhl, sah von dem Buch auf Caramon und dann wieder auf das Buch.

»Es ist also die Zukunft, die ich in deinen Augen sehe!«

»Die Zukunft, das ist dieses Buch«, sagte Caramon und besah es noch einmal mit würdevollem Ernst.

»Wir waren dort«, sagte Tolpan und hüpfte hin und her. »Möchtest du davon hören? Es ist die allerschönste Geschichte. Verstehst du? Zuerst kamen wir zurück nach Solace, das aber überhaupt nicht wie Solace aussah. Ich dachte, es wäre tatsächlich der Mond, weil ich an einen Mond gedacht habe, als wir das magische Gerät benutzten und...«

»Pst, Tolpan«, sagte Caramon sanft. Er richtete sich auf, legte seine Hand auf die Schulter des Kenders und verließ ruhig den Raum. Als Tolpan entschlossen aus der Tür bugsiert wurde, sah er noch einmal zurück. »Auf Wiedersehen!« rief er und winkte. »Nett, dich wiederzusehen, äh, vor, uh, nach, nun ja, wie auch immer.«

Aber Astinus hörte und bemerkte ihn nicht. Der Tag, an dem er das Buch von Caramon Majere erhielt, war der einzige Tag in der gesamten Geschichte von Palanthas, an dem nur ein einziger Eintrag aufgezeichnet wurde.

»An diesem Tag, als die Spätwacht auf 14 anstieg, brachte mir Caramon Majere die ›Chroniken von Krynn‹, Band 2000. Ein Band, von mir geschrieben, den ich niemals schreiben werde.«

Das Begräbnis von Elistan war für die Bevölkerung von Palanthas gleichzeitig das Begräbnis ihrer geliebten Stadt. Die Zeremonie wurde in der Morgendämmerung abgehalten, wie es Elistans Wunsch gewesen war, und alle Bewohner von Palanthas wohnten ihr bei – alt, jung, reich, arm. Die Verletzten, die transportfähig waren, wurden aus ihren Häusern getragen, und ihre Pritschen lagen auf dem versengten und geschwärzten Gras des einst so wunderschönen Tempelrasens.

Unter ihnen war auch Dalamar. Niemand sagte etwas, als dem Dunkelelfen von Tanis und Caramon über den Rasen geholfen wurde, damit er einen Platz unter einem Wäldchen angebrannter Espen einnehmen konnte. Denn es ging das Gerücht, daß der junge Zauberlehrling gegen die Finstere Herrin – wie Kitiara genannt wurde – gekämpft und sie besiegt und somit die Zerstörung ihrer Streitkräfte herbeigeführt hatte.

Elistan hatte in seinem Tempel beerdigt werden wollen, aber das war jetzt nicht mehr möglich – der Tempel glich nur einer leeren Marmorschale. Herrscher Amothud hatte seine Familiengruft angeboten, aber Crysania hatte den Vorschlag abgelehnt. Sie erinnerte sich, daß Elistan seinen Glauben in den Sklavenminen von Pax Tarkas gefunden hatte, und entschied als neues Oberhaupt der Kirche, daß er neben dem Tempel in einer unterirdischen Höhle seine letzte Ruhe finden sollte.

Zwar waren einige schockiert, aber niemand stellte die Anordnung der Verehrten Tochter in Frage. Die Höhlen wurden gesäubert und geweiht, und eine marmorne Totenbahre wurde aus den Resten des Tempels gebaut. Und von jener Zeit an wurden auch in den Glanzzeiten der Kirche, die noch kommen sollten, alle Priester an diesem schlichten Ort zur letzten Ruhe gebettet. Er sollte bald als einer der heiligsten Orte auf Krynn bekannt werden.

Das Volk ließ sich schweigend auf dem Rasen nieder. Die Vögel, die nichts von Tod oder Krieg oder Trauer wußten, sondern lediglich sahen, daß die Sonne aufging und sie an einem strahlenden Morgen am Leben waren, füllten die Luft mit ihrem Gesang. Die Sonnenstrahlen färbten die Berggipfel golden und vertrieben die Dunkelheit der Nacht. Sie brachten auch den Herzen Licht, die schwer vor Kummer waren.

Nur eine Person erhob sich, um für Elistan eine Grabrede zu halten, und von allen wurde nie bezweifelt, daß sie am besten geeignet war. Nicht nur, weil sie jetzt seinen Platz als Oberhaupt der Kirche einnahm – so wie er es gewünscht hatte —, sondern weil sie jedem Bürger von Palanthas seinen Verlust und seinen Schmerz zu verkörpern schien.

An jenem Morgen, so hieß es, geschah es zum ersten Mal, daß sie sich von ihrem Bett erhob, seit Tanis, der Halb-Elf, sie vom Turm der Erzmagier zu den Stufen der Großen Bibliothek gebracht hatte, wo die Kleriker sich um die Verletzten und Sterbenden kümmerten. Sie war dem Tod sehr nahe gewesen. Aber ihr Glaube und die Gebete der Kleriker hatten sie ins Leben zurückgerufen. Ihr Augenlicht konnten sie jedoch nicht wiederherstellen.