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»Ich weiß auch, daß ich einen Teil der Welt darstelle, Caramon«, erwiderte Tolpan mit kläglicher Stimme. »Und ich würde mit Freude soviel Verantwortung übernehmen, wie ich nach meiner Einschätzung tragen kann. Aber – es ist einfach so, daß ich einen so kleinen Teil der Welt darstelle – wenn du verstehst, was ich meine. Und Lord Soth ist ein großer und häßlicher Teil. Und...«

Eine Trompete erscholl, dann noch eine. Tolpan und Caramon verstummten beide und lauschten, bis das Geschmetter verhallte.

»Das ist es, nicht wahr?« fragte Tolpan leise.

»Ja«, nickte Caramon. »Du solltest dich lieber beeilen.«

Er schloß das Buch und verstaute es sorgfältig in dem alten Rucksack, den Tolpan »erwerben« konnte, als sie in der ausgestorbenen Neustadt gewesen waren. Dem Kender war es auch gelungen, einige neue Beutel für sich sowie einige interessante Gegenstände sicherzustellen, von denen Caramon wahrscheinlich nichts wußte. Dann legte der große Mann seine Hand auf Tolpans Kopf und strich sanft den komischen Haarzopf zurück. »Auf Wiedersehen, Tolpan. Ich danke dir.«

»Aber Caramon!« Tolpan starrte ihn an und fühlte sich plötzlieh sehr einsam und verwirrt. »Wo...wohin willst du denn gehen?«

Caramon sah zum Himmel hoch, wo der Turm der Erzmagier deutlich wie ein schwarzer Riß in die Gewitterwolken emporragte. Lichter brannten in den obersten Fenstern des Turmes, und dort befanden sich das Laboratorium – und das Portal.

Tolpan folgte seinem Blick und sah zum Turm hoch. Er sah, wie sich die Gewitterwolken um ihn auftürmten und unheimliche Blitze um ihn spielten. Er erinnerte sich an den Eichenwald von Shoikan, dem er auch einmal sehr nahe gewesen war...

»O Caramon!« schrie er und packte die Hand des großen Mannes. »Caramon, nicht... warte...«

»Auf Wiedersehen, Tolpan«, sagte Caramon und löste sich entschlossen aus der Umklammerung des Kenders. »Ich muß das erledigen. Du weißt, was sonst geschieht. Und du weißt auch, was deine Aufgabe ist. Jetzt beeil dich. Die Zitadelle ist jetzt wahrscheinlich über dem Tor.«

»Aber, Caramon...«, plärrte Tolpan.

»Tolpan, du mußt das machen!« brüllte Caramon, und seine zornige Stimme hallte in den leeren Straßen wider. »Willst du Tanis sterben lassen, ohne überhaupt zu versuchen, ihm zu helfen?«

Tolpan schrak zurück. Er hatte Caramon niemals zuvor zornig erlebt, zumindest nicht zornig auf ihn. Und bei all ihren gemeinsamen Abenteuern hatte Caramon ihn niemals so angeschrien. »Nein, Caramon«, sagte er unterwürfig. »Es ist nur so... ich weiß nicht genau, was ich tun kann...«

»Dir wird schon etwas einfallen«, murmelte Caramon mit finsterem Blick. »Dir fällt immer etwas ein.« Er drehte sich um und ging davon. Tolpan blieb zurück und starrte ihm mit trostlosem Blick nach.

»Auf... auf Wiedersehen, Caramon«, rief er der fernen Gestalt nach. »Ich... ich werde dich nicht im Stich lassen.«

Der große Mann drehte sich um. Als er sprach, hörte sich seine Stimme für Tolpan merkwürdig an. Es klang, als ob er an etwas würgte. »Ich weiß, daß du das nicht tust, Tolpan, egal, was passiert.« Mit einem Winken setzte er dann seinen Weg fort.

In der Ferne sah Tolpan die düsteren Schatten des Eichenwaldes von Shoikan, die Schatten, die das Tageslicht nie durchdringen konnten, die Schatten, in denen die Wächter des Turmes lauerten.

Tolpan stand einen Moment da und beobachtete Caramon, bis er ihn in der Dunkelheit aus den Augen verlor. Wenn er ehrlich war, hatte er tatsächlich gehofft, daß Caramon plötzlich seinen Entschluß ändern, sich umdrehen und rufen würde: »Warte, Tolpan! Ich komme mit dir, um Tanis zu retten!«

Aber das geschah nicht.

»So bleibt es mir überlassen«, seufzte Tolpan. »Und er hat mich angeschrien!« Ein wenig schniefend drehte er sich um und trottete in die entgegengesetzte Richtung auf das Tor zu. Sein Herz schien ihm in seine schlammüberzogenen Schuhe gerutscht zu sein, denn diese waren plötzlich noch schwerer. Er hatte absolut keine Vorstellung, wie er Tanis gegen einen toten Ritter helfen sollte, und je mehr er darüber nachdachte, um so ungeheuerlicher schien es ihm, daß Caramon ihm die Verantwortung übertragen hatte.

»Immerhin habe ich Caramons Leben gerettet«, murmelte Tolpan. »Vielleicht ist ihm allmählich klar geworden...«

Plötzlich hielt er inne und blieb stocksteif mitten auf der Straße stehen.

»Caramon ist mich losgeworden!« schrie er. »Tolpan Barfuß, du hast das Gehirn eines Türknopfes, wie Flint dir schon so oft gesagt hat. Er ist mich losgeworden! Er wird dort sterben! Daß er mich beauftragt hat, Tanis zu retten, war nur eine Ausrede!« Aufgewühlt und unglücklich starrte Tolpan die Straße in eine Richtung hinunter und dann in die andere. »Und was soll ich jetzt machen?« murmelte er.

Er machte einen Schritt hinter Caramon her. Dann hörte er wieder die Trompete, dieses Mal ein Alarmsignal mit einem schrillen, schmetternden Unterton. Und über den Trompetenruf glaubte er eine Stimme zu hören, die Befehle schrie – Tanis’ Stimme.

»Aber wenn ich zu Caramon gehe, wird Tanis sterben!« Tolpan hielt an. Wieder drehte er sich halb um und machte einen Schritt in Tanis’ Richtung. Dann hielt er wieder an, wickelte seinen Haarzopf zu einer Korkenzieherlocke, wie immer, wenn er unentschlossen war. Der Kender hatte sich in seinem ganzen Leben noch nie so hin- und hergerissen gefühlt.

»Beide brauchen mich!« jammerte er gequält. »Wie soll ich mich nur entscheiden?«

Plötzlich warf er entschlossen seinen Zopf nach hinten. »Ich hab’s!« Seine Brauen glätteten sich. »Das ist es!«

Mit einem tiefen Seufzer der Erleichterung wirbelte Tolpan herum und lief auf das Tor zu.

»Ich werde erst Tanis befreien«, keuchte er, während er eine Abkürzung durch eine Gasse nahm, »und dann komme ich einfach zurück und befreie Caramon. Tanis könnte mir dabei vielleicht behilflich sein.«

Als er so durch die Gasse hetzte und die Katzen aufscheuchte, runzelte Tolpan ärgerlich die Stirn. »Ich frage mich, wie viele Helden das wohl insgesamt macht, die ich noch zu retten habe«, murmelte er vor sich hin. »Offen gesagt, habe ich allmählich von allem die Nase voll!«

Gerade als die Trompeten die Wachablösung ankündigten, tauchte die fliegende Zitadelle am Himmel über Palanthas auf. Die hohen, zerfallenden Spitzen und Zinnen, die aufragenden Steinmauern, die erleuchteten Fenster, vollgestopft mit Drakoniersoldaten – alles war klar und deutlich zu erkennen, als die Zitadelle auf einer brodelnden magischen Wolke, die ihr als Fundament diente, nach unten schwebte.

Die Stadtmauer der alten Stadt wimmelte von Männern – Bürgern, Rittern, Söldnern. Niemand sprach ein Wort. Alle hielten ihre Waffen umklammert und starrten schweigend voller Zorn nach oben.

Und trotzdem wurde beim Anblick der Zitadelle ein Wort gesprochen – beziehungsweise mehrere, wie die Dinge so lagen.

»Oh!« keuchte Tolpan ehrfürchtig und schlug seine Hände zusammen, während er den Anblick bestaunte. »Ist sie nicht wundervoll! Ich habe vergessen, wie wahrhaft großartig und prächtig die fliegenden Zitadellen sind! Ich würde alles geben, um mit einer zu fliegen.« Dann schüttelte er sich mit einem Seufzer. »Nicht jetzt, Barfuß«, rügte er sich streng mit seiner Flint-Stimme. »Du hast eine Aufgabe zu erledigen. Also« – er sah sich um – »da sind die Tore. Da ist die Zitadelle. Und dort geht Herrscher Amothud... er sieht ja schrecklich aus! Ich habe schon besser aussehende Leichen gesehen. Aber wo ist – aha!«

Eine grimmige Prozession tauchte auf und marschierte die Straße hinauf auf Tolpan zu – eine Gruppe von solamnischen Rittern, die zu Fuß waren und ihre Pferde führten. Es gab keine aufmunternden Worte, keiner sprach. Das Gesicht jedes Mannes war ernst und angespannt, denn jeder Mann wußte, daß er wahrscheinlich in seinen Tod marschierte. Sie wurden von einem Mann angeführt, dessen bärtiges Gesicht sich merkwürdig von den sauber rasierten, schnurrbärtigen Gesichtern der Ritter unterschied. Und obgleich er die Rüstung eines Ritters der Rose trug, trug er sie nicht mit der gleichen Ungezwungenheit wie die anderen Ritter.