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Er hatte sie nicht sofort erkannt und wollte die staubige Muselmanin, die sich ihm da an den Hals warf, zurückstoßen. Aber nur einen Augenblick. Jäh erblickte er ihr Gesicht – und erblaßte. »Cathérine!« rief er verblüfft. »Aber das ist nicht möglich! Das seid doch nicht Ihr?«

»Doch, doch, mein Freund, ich bin's … und so glücklich, Euch wiederzusehen! Mein Gott! Euch schickt der Himmel! Es ist zu schön, zu wunderbar, zu …«

Sie wußte gar nicht mehr, was sie sagte, war von solcher Freude erfüllt, daß auch der vernünftigste Mensch den Kopf verloren hätte. Aber Arnaud hatte sein Pferd angetrieben und war nun auch nach vorn gelangt. Er sprang aus dem Sattel und fiel dem verdutzten Jacques ebenfalls beinahe in die Arme, der den maurischen Reiter jedoch alsbald erkannte.

»Messire Arnaud!« rief er. »Welch unglaubliches Glück, Euch wiederzufinden, nachdem ich kaum den Fuß auf festen Boden gesetzt habe! Wißt Ihr, daß ich hier nun nichts mehr zu tun habe?«

»Wieso?«

»Was glaubt Ihr wohl, weshalb ich herkam? Um Euch zu suchen! Habt Ihr das königliche Wappen auf meinem Schiff nicht bemerkt? Ich bin Gesandter der Herzogin-Königin und komme, vom Kalifen von Granada den Seigneur de Montsalvy und seine Gemahlin zu fordern, wofür ich ihm einen seiner besten Kapitäne zurückgebe, der das Unglück hatte, an der Küste der Provence gefangengenommen zu werden. Eine Art Austausch …«

»Ihr setztet Euer Leben aufs Spiel?« rief Cathérine.

»Kaum«, lächelte Jacques Coeur. »Mein Schiff ist stark, und die Menschen dieses Landes respektieren Gesandte, gleichzeitig interessieren sie sich auch für Handelsbeziehungen. Ich verstehe mich ziemlich gut mit den Kindern Allahs, seitdem ich im Mittelmeer herumstrolche!«

Die Freude der drei Freunde über ihr Wiedersehen schien unbändig. Sie lachten, sprachen alle gleichzeitig und vergaßen alles und alle um sie herum. Die Fragen schwirrten so schnell durcheinander, daß niemand sie beantworten konnte, aber jeder wollte alles wissen, und zwar sofort. Es war Cathérine, die sich zuerst wieder fing, weil ihr Blick über Jacques und Arnaud hinaus, die sich noch einmal umarmten und auf den Rücken klopften, auf die Sänfte fiel, zwischen deren Vorhang der unruhige Kopf Abu al-Khayrs erschien. Und sie machte sich Vorwürfe, ihren sterbenden Freund, wenn auch nur einen Augenblick, vergessen zu haben. Sie hängte sich an Jacques' Arme, entriß ihn beinah ihrem Gatten.

»Jacques«, bat sie, »wir müssen gleich absegeln … sofort! Sofort!«

»Warum?«

Sie sagte es ihm in kurzen Worten, und die Freude, die das gebräunte Gesicht des Kaufmanns verklärte, wich.

»Armer Gauthier!« murmelte er. »Er ist also sterblich. Ich gestehe, ich hätte es nicht geglaubt … Wir werden ihn sofort an Bord bringen, damit er seinen letzten Atemzug auf dem Boden seines Landes tut … selbst ein Holzboden wird besser sein als diese Erde!«

Er wandte sich an seine Begleiter, einen kleinen Mann mit klugem Gesicht, eine Art Sekretär, nach dem Schreibzeug und einer kleinen Rolle Pergament zu schließen, die an seinem Gürtel hingen, und den stummen, unbeweglichen Herrn im Turban. Als ob es ihm gleichgültig wäre, wer hinter ihm stand, wandte er sich an diesen:

»Seigneur Ibrahim, seid Ihr nun zu Hause? Ich brauche über Eure Freilassung nicht mehr zu sprechen, da ich meine Freunde ganz persönlich gefunden habe. Ihr seid also frei.«

»Ich danke dir für deine Liebenswürdigkeit, Freund … Ich wußte, daß ich nichts von dir zu fürchten hatte, aber du bist ein Kerkermeister gewesen, wie ihn nur sehr wenige Gefangene haben. Daher bin ich dir ohne Sorge gefolgt.«

»Ich hatte Euer Wort, nicht zu fliehen, und habe mich daran gehalten!« erwiderte der Kaufmann edelmütig. »Lebt wohl, Seigneur Ibrahim!«

Der Gefangene verneigte sich tief und verlor sich schnell in der Menge, die Mansour und seine Männer jetzt zurückdrängten, um Platz für die Sänfte zu schaffen. Die Matrosen Jacques Cœurs hatten den nun bewußtlosen Sterbenden mit äußerster Vorsicht herausgehoben. Die helle Sonne verklärte das abgezehrte, von tragischen Schatten überzogene Gesicht, das die Männer mit einer Art abergläubischer Furcht betrachteten. Man trug ihn in das Boot, in dem Abu sich neben ihn setzte.

»Ich werde bleiben, solange er noch atmet«, erklärte er. »Übrigens, Ihr setzt doch nicht sofort Segel?«

»Nein«, erwiderte Jacques Cœur. »Erst übermorgen. Da ich nun einmal hier bin, möchte ich meinen Aufenthalt nutzen und Seidenstoffe, Möbel mit Intarsien, Gewürze und bearbeitete Felle und Häute, vergoldete Töpferware und diese schönen Pergamente aus Gazellenhaut von der Sahara, eine Spezialität dieses Landes, laden …«

Cathérine unterdrückte ein Lächeln. Gewiß, Jacques war gekommen, um sie zu suchen, und hatte den Gesandtenwimpel gehißt, aber bei ihm verbannten die Gefühle keineswegs den Geschäftssinn. Diese aus Freundschaft unternommene Reise mußte sich lohnen …

Während das Boot mit dem Verwundeten vom Ufer ablegte und dem Schiff zuglitt, von wo es zurückkehren sollte, um sie aufzunehmen, und während Arnaud sich ernst von Mansour verabschiedete, fragte sie:

»Übrigens, mein Freund, wie habt Ihr erfahren, daß wir hier sein würden?«

»Das ist eine lange Geschichte. Aber in zwei Worten: Ihr verdankt unser Kommen Eurer alten Freundin, der Dame de Châteauvillain. Ihr habt Euch, scheint es, im Gebirge von ihr getrennt, habt aber einen Knappen Messire Arnauds bei ihr gelassen, den sie sehr gut auszuhorchen verstand. Worauf sie schnurstracks nach Angers zur Herzogin-Königin eilte und ihr die ganze Geschichte erzählte. Es war Madame Yolande, die mich benachrichtigt und mit mir diese Reise geplant hat.«

»Unglaublich!« rief Cathérine verdutzt. »Ermengarde, die mich an Händen und Füßen gefesselt zu ihrem Herzog zurückbringen wollte?«

»Vielleicht! Solange sie ehrlich glaubte, dies sei die beste Lösung für Euch. Aber von dem Augenblick an, in dem Ihr hartnäckig darauf bestandet, Messire Arnaud nachzureisen, hat sie sich bemüht, Euch zu helfen. Sie will vor allem Euer Glück, und Ihr habt keine Ahnung, was für einen Krach sie machte, bis ich aufbrach! Ich habe die größte Mühe gehabt, ihr klarzumachen, daß ich sie nicht mitnehmen könne.«

»Die gute Ermengarde!« seufzte Cathérine mit unwillkürlicher Zärtlichkeit. »Sie ist eine außergewöhnliche Frau. Auf jeden Fall war das Abenteuer riskant. Wie konnte sie wissen, daß ich Arnaud finden und ob ich gesund und sicher nach Granada gelangen würde?«

Jacques Coeur hob die Schultern und grinste spöttisch.

»Sie kennt Euch eben! Wenn Euer Gatte im Innern Afrikas gefangengehalten worden wäre, hättet Ihr bestimmt Mittel und Wege gefunden, zu ihm zu gelangen. Das natürlich«, schloß er, »wäre ein viel weiterer Weg für mich gewesen …«

In der dunkelsten Stunde der Nacht, unmittelbar vor dem Morgengrauen, starb Gauthier in der hohen Heckkabine, in der Jacques Cœur ihn untergebracht hatte, das Gesicht dem offenen Meer zugewandt, das er nicht mehr befahren konnte … Der Todeskampf war grauenvoll gewesen! Die Luft drang nur mit Mühe in die beschädigten Lungen, und die Konstitution des Riesen, seine außergewöhnlichen Lebenskräfte, verlängerten den erschöpfenden, von vornherein verlorenen Kampf gegen den Tod und machten ihn dadurch noch grausamer.

Cathérine, Arnaud, Abu al-Khayr, Josse, Marie und Jacques Coeur waren bei ihm, wohnten machtlos und mit großem Schmerz diesem erschöpfenden Todeskampf bei, den der bewußtlose Gauthier um ein Leben führte, das nichts mehr von ihm wollte. Dicht nebeneinander, die Gesichter von Müdigkeit und den flackernden Schatten der in der Kabine angezündeten qualmenden Öllampen gezeichnet, beteten sie, daß endlich die gequälte Stimme schweige, die in einer unbekannten Sprache Klagen, Verwünschungen, Anrufungen der geheimnisvollen nordischen Gottheiten ausstieß, die der Normanne sein Leben lang angebetet hatte. Draußen stand die Mannschaft in einem dichten Haufen, wartend, ohne eigentlich recht zu wissen, worauf, in der Erkenntnis nur, daß sich in der geschlossenen Kabine ein Drama abspielte.