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Erinnerst du dich noch an Yeats? ›Den Besten fehlt die Überzeugung, während die Schlimmsten vor Leidenschaft übersprudeln.‹ Warum fragst du?«

»Was wäre, wenn du eine Wahl hättest?«

»Wie bitte?«

»Ich meine es ernst. Wenn du die Welt verlassen könntest? Wenn du einen Ort kennen würdest — keinen perfekten Ort, sondern einen Ort, an dem du ohne einige dieser Ungewissheiten leben könntest? Einen Ort, an dem du sicher wüsstest, dass dort während der nächsten dreißig Jahre kein Atomkrieg stattfindet. Wo es zwar Krankheiten gibt, aber kein Aids. Auch all die Leiden der Menschheit — Unterdrückung, Qual, Hässlichkeit —, aber in einem weitaus geringeren Maße. Und angenommen, du könntest einiges vorhersehen. Du könntest es zwar nicht verhindern, aber du könntest dich davon fernhalten: Überschwemmungen, Flugzeugabstürze, Terroristenattentate. Wie fändest du das, Barbara, wäre das ein gutes Angebot?«

Sie zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Ich habe keine Ahnung, wovon du redest.«

»Es ist eine rein hypothetische Frage.«

»Selbst hypothetisch ergibt sie keinen Sinn.«

»Aber wenn es einen solchen Ort gäbe. Wenn du dorthin könntest.«

Sie dachte darüber nach. Sie wollte eine überlegte Antwort geben. Die Frage mochte zwar hypothetisch sein, aber sie war ganz gewiss nicht zufällig gestellt worden. Sie betrachtete den gespannten Ausdruck in Toms Gesicht. »Ich fände es verlockend«, sagte sie. »Tja, wirklich, es würde mich ungemein reizen. Wen nicht? Aber letztendlich — nein, ich glaube, ich würde nicht dorthin gehen.«

Er schien enttäuscht zu sein. »Warum nicht?«

»Aus vielen Gründen. Ich habe hier sehr viel zu tun.«

»Die Welt retten?«

Ein Anflug von Sarkasmus. Sie ging nicht darauf ein. »Meinen Anteil beizutragen. Und dann gibt es da noch Menschen…«

»Rafe, zum Beispiel?«

»Rafe. Neben anderen, ja. Es gibt sehr viel, wofür ich lebe, Tom.«

»Ich habe auch nicht vom Sterben gesprochen.«

Hoffentlich nicht, dachte sie.

Aber wovon dann?

Hatte jemand ihm ein solches Angebot gemacht?

Zu verrückt, dachte sie. Viel zu verrückt. »Ich würde hierbleiben«, erklärte sie mit Nachdruck.

Tom betrachtete sie lange. Sie vermutete, dass er ihre Antwort zu werten versuchte, dass er darüber nachdachte. Schließlich nickte er. »Ja, das würdest du wahrscheinlich tun.«

»Ist das die falsche Antwort?«

»Nein… wirklich nicht.«

»Aber es ist nicht deine Antwort.«

Er lächelte. »Nein.«

Sie stand auf. »Sag es mir noch einmal. Ehe ich aufbreche. Sag mir, dass es dir gutgeht.«

Er brachte sie zur Tür. »Mir geht es wirklich gut. Ich werde nur für einige Zeit fort sein.«

»Tatsächlich?«

»Tatsächlich.«

Sie studierte sein Gesicht. Er verschwieg irgendetwas. Aber er meinte das ernst, was er sagte. Ihre Furcht hatte sich etwas gelegt — er dachte nicht an Selbstmord —, aber ein letzter Rest Ungewissheit, Unsicherheit blieb zurück, denn irgendetwas hatte von ihm Besitz ergriffen, irgendeine seltsame Strömung, eine Kraft, die ihn mitriss, sodass sie ihn nicht mehr erreichen konnte.

Vielleicht könnte sie ihn nie mehr erreichen.

Er legte behutsam eine Hand auf ihren Arm. Sie wehrte sich nicht gegen diese Geste, und sie umarmten sich. Besonders schlimm war die Erinnerung daran, wie sehr sie es geliebt hatte, von ihm festgehalten zu werden. Wie sehr sie es vermisste.

Sie sagte: »Vergiss nicht, die Katze zu füttern.«

»Ich habe keine Katze.«

»Dann einen Hund? Als ich durchs Fenster sah, glaubte ich, ich hätte…«

»Du hast dich sicherlich geirrt.«

Seine erste echte Lüge, dachte Barbara. Er war immer schon ein schlechter Lügner gewesen.

In einer Ecke des Wohnzimmers erwachte der Fernseher flackernd zum Leben — offenbar von selbst. Sie vermutete, dass er von einer Zeitschaltuhr gesteuert wurde.

Er sagte: »Du gehst jetzt besser.«

»Nun, was soll ich sagen?«

Er drückte sie etwas fester an sich. »Ich glaube, alles, was uns bleibt, ist, einander Lebewohl zu sagen.«

6

Tom Winter erwachte zufrieden und bereit für den letzten Tag, den er in den Achtzigerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts verbringen wollte. Ihm kam der Gedanke, dass er nur einen kleinen Vorsprung vor dem Zeitplan hatte. Ein paar Monate noch, bis zum 1. Januar, dann wäre es so weit, dann würde die Menschheit die Neunzigerjahre begrüßen. Es war eine Art Massenexodus, Ratten, die das sinkende Schiff dieses Jahrzehnts verließen, um in die mit Haien verseuchten Fluten des nächsten zu geraten. Er war nicht viel anders. Nur etwas klüger.

Vorausgesetzt natürlich, dass die Maschinenkäfer ihm gestatteten, die Reise anzutreten.

Aber er hatte keine Angst mehr vor den Maschinenkäfern.

Er duschte, kleidete sich an und bereitete sich eine kräftige Mahlzeit in der Küche zu. Es war ein schöner Frühsommertag. Der Wind, der durch die Fliegentür hereindrang, war gerade kühl genug, um zu erfrischen; der Himmel war ausreichend blau, um einen gemütlichen Nachmittag zu verheißen. Als er die Kaffeemaschine ausschaltete, hörte er einen Specht an einem der hohen Bäume hinter dem Garten herumhacken. Der Geruch von Kiefern und Fichten und von frischem Gras stieg ihm in die Nase.

Es war fast zu schön, als dass er weggehen wollte. Aber nur fast.

Er hatte eigentlich keine Angst mehr vor den Maschinenkäfern, und sie hatten keine Angst vor ihm. Sie waren miteinander vertraut geworden. Er entdeckte jetzt einen von ihnen — einen von den kleineren, nicht größer als ein Daumennagel —, wie er sich an dem Spalt entlangbewegte, wo der Fliesenboden auf die Wand traf. Er bückte sich und schaute ihm unverwandt bei seiner Arbeit zu. Der Käfer sah aus wie ein Tausendfüßler, den jemand aus Achat, Smaragden und Rubinen zusammengefügt hatte. Er entdeckte einen Toastkrümel, steuerte darauf zu und berührte ihn mit seiner haarfeinen Antenne. Der Krümel verschwand. Verdampft oder irgendwie verdaut — Tom wusste es nicht.

Vorsichtig hob er den Maschinenkäfer auf und barg ihn in seiner Handfläche.

Bei seiner Berührung erstarben die Bewegungen des Käfers. Reglos dasitzend, fühlte er sich auf seiner Haut stachelig und warm an. Er sah aus, dachte Tom, wie eine Rarität aus einem Andenkenladen irgendwo in Arizona, wie ein Ohrring oder ein Manschettenknopf.

Er legte ihn auf die Ablage. Nach einem Moment richtete der Käfer sich auf und krabbelte davon, indem er seine Arbeit dort wieder aufnahm, wo sie unterbrochen worden war.

Vor ein paar Tagen waren die Maschinenkäfer in seinen kleinen Sony-Fernseher gekrochen und hatten ihn modifiziert und repariert. Er ging ins Wohnzimmer und schaltete das Gerät ein, trank einen Schluck Kaffee, aber es kam nur ein kurzes Stück der Tonight-Show — dreißig Sekunden über einen Beinahezusammenstoß über dem O’Hare International —, und dann verschwand das Bild. Der Schirm wurde leuchtend blau; weiße Buchstaben entstanden.

HILF UNS TOM WINTER

sagte der Fernseher.

Er schaltete ihn aus und verließ das Zimmer.

Der Fernseher hatte gestern beinahe Barbaras Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Und seine »Katze« — einer der größeren Maschinenkäfer.

In gewisser Hinsicht war er ihr dankbar, dass sie diese Dinge gesehen hatte. Die Vorstellung war noch immer da — und erschien manchmal geradezu überwältigend —, dass er die Grenze zum kompletten Wahnsinn überschritten hatte. Oder zumindest zu einem Wahnsinn, der auf das Anwesen und das Haus beschränkt war, sozusagen einem ortsgebundenen Wahnsinn. Aber Barbara hatte diese Erscheinungen gesehen, und er hatte sie hinauskomplimentieren müssen, ehe sie noch mehr sah. Es waren tatsächlich Ereignisse, so unerklärlich sie auch sein mochten.