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Aber diese Erkenntnis war beängstigend, und das hochempfindliche Gleichgewicht zwischen Angst und Besessenheit hielt ihn vom Keller fern.

Seine Träume baten ihn nicht mehr um Hilfe, aber als er am Freitagabend nach Hause zurückkam und feststellen musste, dass der Radiowecker auf seinem Nachttisch die Worte »Hilf uns, Tom Winter« mit der Stimme des Rundfunksprechers eines bekannten Radiosenders in Seattle von sich gab, riss er das Netzkabel aus der Dose und machte sich auf die Suche nach seinem Brecheisen. Er hatte schon zu lange gewartet. Es wurde Zeit, den seltsamen Traum auszuleben, zu dem sein Dasein sich entwickelt hatte, und ihn bis zu seinem Ende zu verfolgen.

Er öffnete erneut die Wand. Eine Reihe von Maschinenkäfern saß auf dem Deckel des Wäschetrockners und sah ihm mit großen, glänzenden Augen und ohne eine sichtbare Reaktion zu. Er vermutete, dass er sich ihre geduldige, verkniffene Missbilligung dessen, was er tat, nur einbildete.

Danach überstürzten sich die Ereignisse beinahe.

Innerhalb der folgenden Woche unternahm er drei Abstecher in den Tunnel.

Der erste — an diesem Abend — diente einem ersten Kennenlernen. Seine Zweifel meldeten sich erneut, als er den Tunnel wiedersah und in dessen Licht eintauchte. Er machte ein paar zaghafte Schritte in seiner weißen Lichtfülle, dann hielt er inne und schaute zurück. Die Rigipswand seines Kellers stand grotesk mitten im Raum, als habe sie diesen ungehindert sich ausdehnenden Raum fast zufällig unterbrochen. Sie erschien dort ebenso unpassend und unerklärlich wie ein Märchenschloss auf einer Müllkippe. (Aber der Tunnel konnte noch gar nicht dagewesen sein, als das Haus gebaut wurde, oder? Die Bauherren hätten sicherlich einiges einzuwenden gehabt.) Der Tunnel selbst hatte einen rechteckigen Querschnitt. Die Wände fühlten sich glatt und warm an. Die Luft roch frisch und war überhaupt nicht schal und abgestanden. Er machte einen weiteren zaghaften Schritt, dann ging er entschlossen weiter. Der Fußboden schien ganz schwach zu federn, und seine Füße erzeugten keinen Laut. Alle paar Meter drehte Tom sich um und versuchte die Strecke zu schätzen, die er zurückgelegt hatte.

Nach seinen Berechnungen war er mehrere hundert Meter gegangen — vermutlich befand er sich jetzt tief im Berg unter der Post Road —, als die Biegung des Tunnels endlich lang genug war, dass er sein Zuhause nicht mehr sehen konnte. So seltsam der Anblick aus dieser Perspektive auch gewesen war, er hatte etwas Beruhigendes gehabt. Er stand einen Moment lang da, während beunruhigende Gedanken auf ihn einstürmten. »Das ist aber ein verdammt verrückter Ort«, sagte er laut und erwartete ein Echo. Aber der Tunnel schluckte die Laute. In beiden Richtungen gab es nichts anderes zu sehen als die glatte Wand und die Tunnelbiegung.

Er ging weiter. Er hatte keine Möglichkeit, den Winkel der Tunnelkrümmung zu messen, aber die Biegung hörte nicht auf — er hätte schwören können, dass er bereits eine Hundertachtzig-Grad-Biegung hinter sich gebracht hatte. Er hätte einen Kompass mitnehmen sollen… doch eine Ahnung sagte ihm, dass er hier sicherlich nicht funktioniert hätte, dass seine Nadel sich ständig gedreht oder vielleicht sogar stur nach vorn gezeigt hätte. Er stand in diesem hellen, glatten Gang fernab seiner vertrauten Umgebung. Kalter Schweiß sammelte sich auf seiner Stirn. Er machte lautlose kleine Katzenschritte, strengte sein Gehör an, um irgendwelche Geräusche vor sich wahrzunehmen. Die Angst meldete sich wieder, begleitet von einem klaustrophobischen Empfinden. Der Tunnel war etwas höher als sein Kopf und bot rechts und links ebenso viel Platz. Sich umzudrehen fiel nicht leicht. Und es gab keinen anderen Fluchtweg als die lang gezogene Biegung hinter ihm.

Aber dann verlief der Tunnel nach und nach immer gerader, und einige Minuten später sah er vor sich das, was er für das Ende des Gangs hielt: eine graue Masse, die auf diese Entfernung nicht genau zu identifizieren war. Er beschleunigte seine Schritte ein wenig.

Als er sie erreichte, war die Wand keine Wand, sondern eine Ruine. Es war kaum mehr als ein Haufen Ziegelsteine, Zementklötze und Staub, verstreut auf dem jungfräulich weißen Boden. Es schien keinen Weg hindurch zu geben.

ZERSTÖRUNG hatten die Maschinenkäfer gemeldet.

Aber zumindest keine kürzlich erfolgte Zerstörung. Dieser Einsturz hatte Staub in einem breiten Fächer auf den Tunnelboden rieseln lassen. Toms Laufschuhe hatten deutliche Abdrücke darin hinterlassen — die einzigen Abdrücke, wie er erleichtert feststellen konnte. Seit längerer Zeit war hier nichts und niemand herumgelaufen. Nicht seit der ZERSTÖRUNG.

Versuchsweise — und immer noch begleitet von dem seltsamen Nervenkitzel, der sich einstellt, wenn man um die Füße eines schlafenden Riesen herumschleicht — zog er einen Zementbrocken aus dem Trümmerhaufen. Staub wirbelte auf. Steine und Putzbrocken rutschten nach, um die Lücke zu füllen. Einiges davon war das Material, aus dem der Tunnel bestand; aber anderes sah aus wie ganz normaler Zement und Mauerreste.

Was mochte sich auf der anderen Seite befinden?

Ein anderer Keller? Der Keller eines anderen — fremden — Hauses? Er befand sich jetzt vielleicht schon in Höhe der Wyndham Lane oder sogar unter dem Einkaufszentrum unweit der Umgehungsstraße. Er sah auf die Uhr und überlegte: In einer Dreiviertelstunde hätte ich diese Strecke durchaus schaffen können. Aber er vermutete — ach, verdammt noch mal, er wusste es ganz genau —, dass dieser Tunnel gewiss nicht zum Vorratslager des Safeway-Supermarktes führte. Man legte einen solchen Tunnel nicht an, wenn man kein exotischeres Ziel hatte als Belltower, Washington.

Das Land der Zwerge vielleicht. Die Erzgruben von Moria. Oder irgendein innerer Kreis der Hölle oder des Himmels.

Tom zog ein weiteres Stück Mauerwerk aus dem Geröllhaufen und lauschte dem Poltern des nachrutschenden Gerölls. Es gab keinen Weg hindurch… obgleich er einen Hauch kühlerer und feuchterer Luft spürte oder zu spüren glaubte, der durch die Trümmer zu ihm drang.

Spekulationen waren unsinnig. Er wusste genau, was er zu tun hatte.

Zuerst einmal musste er diesen Ort verlassen. Er war müde und durstig — er war nicht so weitsichtig gewesen, wenigstens eine Dose Cola mitzunehmen. Er würde zurückkehren und sich ausschlafen. Und wenn er dann wieder bereit war, würde er hierher zurückkommen. Er würde sich etwas zu essen mitnehmen. Er konnte ja alles in einen Rucksack packen zusammen mit Werkzeug — seinem zuverlässigen Brecheisen — und vielleicht auch eine dieser Papiermasken, die man in Malergeschäften kaufen konnte, um seine Nase vor Staub zu schützen.

Dann würde er den Geröllhaufen untersuchen und abtragen, bis er herausbekam, was sich dahinter befand — und möge Gott ihm beistehen, wenn es etwas Schlimmes war.

Was durchaus im Bereich des Möglichen lag, denn irgendetwas Schlimmes war hier ganz offensichtlich vorgefallen. Es hatte eine ZERSTÖRUNG gegeben. Aber nun wurde er nicht mehr von Neugier getrieben. Er hatte den Schwanz des Tigers mit beiden Händen gepackt und sich für den Ritt gewappnet.

Am nächsten Tag kam er vollständig ausgerüstet zurück.

Tom dachte, dass er wahrscheinlich ein wenig sonderbar aussah, wie er mit seinem Brecheisen und der Thermosflasche und seinem Beutel mit Schinken-Käse-Sandwiches durch diesen leuchtenden Grubengang stapfte. Er kam sich vor wie einer der Zwerge in Disneys Schneewittchen. Natürlich war niemand zugegen, der ihn hätte sehen können. Doch er war hier so einsam, wie er einsamer nicht sein konnte. Er könnte sich die Kleider vom Leib reißen und eine Arie aus Fidelio singen, wenn ihn die Muse küsste, und niemand würde etwas bemerken.

Nach drei Stunden schmutziger, schweißtreibender Arbeit gelang es ihm, zwischen dem Geröllhaufen und der Tunneldecke einen Spalt freizuräumen. Der Spalt war etwa so groß wie seine Faust, und als er mit seiner Taschenlampe hindurchleuchtete, fiel der Lichtstrahl in einen leeren, kühlen Raum. Er konnte Staubpartikel erkennen, die im Lichtstrahl tanzten, und ein Stück weiter erblickte er etwas, das aussah wie eine Ziegelwand… aber ganz sicher war er sich nicht. Er zwang sich, eine Pause einzulegen, sich hinzusetzen, ein Sandwich zu essen und einen Plastikbecher Kaffee zu trinken. Der Kaffee war voller Staub und knirschte zwischen seinen Zähnen.