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Millstein beachtete ihn nicht. Er wandte sich an Tom. »Du magst sie? Hast du Joyce gern?«

»Ja, Larry«, antwortete er. »Ich hab Joyce sehr gerne.«

»Nenn mich verdammt noch mal nicht Larry!«

Augenblicklich wurde es still im Raum. Millstein bemerkte die Aufmerksamkeit aller. Er lächelte verkniffen. »Du weißt natürlich, was sie ist«, fuhr er fort. »Du musst es wissen. Es ist eine alte Geschichte. Sie kommen von Bryn Mawr in diesen dämlichen Klamotten — Ballettschuhe und Torerohosen. Sie machen alle auf Künstler, aber sie kaufen nur bei Bonwit Teller. Sie kommen hierher, um sich intellektuelle Inspiration zu holen. Das erzählen sie einem. Natürlich kommen sie nur hierher, um flachgelegt zu werden. Stimmt das nicht, Joyce? Sie sehen sich am liebsten in den Armen irgendeines neunzehnjährigen Negermusikers. Man kann in Westchester natürlich genauso leicht flachgelegt werden, aber nicht von jemandem, der auch nur halb so interessant ist.« Er bedachte Tom mit einem falschen Lächeln. »Also, wie interessant bist du denn?«

»Im Augenblick«, sagte Tom, »bin ich wohl etwas interessanter als du.«

Millstein schleuderte sein Glas zu Boden und ballte die Fäuste. Joyce rief: »Haltet ihn fest!« Soderman trat Millstein in den Weg und legte ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter. »Hey«, sagte er. »Hey, beruhige dich. Es ist doch nichts. Hey, Larry… ich meine, Lawrence…«

Joyce ergriff Toms Hand und zog ihn zur Tür.

»Die verdammte Party ist zu Ende!«, brüllte Millstein.

Sie traten hinaus in den Hausflur.

»Komm mit zu mir«, sagte Joyce.

Tom sagte, das wäre eine gute Idee.

Sie zog sich mit der Unbefangenheit einer Katze aus.

Fahles Straßenlaternenlicht drang durch das staubblinde Fenster herein. Er war zutiefst berührt von ihren kleinen Brüsten und den rosigen Brustwarzen, von dem niedlichen Dreieck ihrer Schamhaare. Sie lächelte ihn in der Dunkelheit an, und er entschied, dass er wirklich ein glückliches Leben führte.

Sie zu berühren war wie ein tiefer, langer Schluck frischen klaren Wassers. Sie drängte sich ihm entgegen, als er in sie hineinglitt. Er spürte, wie sich in ihm längst eingerostete Federn spannten und dehnten. Sie hatte ihre Brille auf die Apfelsinenkiste neben dem Bett gelegt, und ihre Augen waren hingebungsvoll geweitet.

Später, als sie in den Schlaf hinübertrieben, sagte sie zu ihm, er würde wie ein einsamer Mann Liebe machen.

»Tue ich das?«

»Heute hast du es getan. Bist du einsam?«

»Ich war einsam.«

»Sehr?«

»Sehr.«

Sie schmiegte sich an ihn, presste Brüste und Hüften gegen ihn. »Ich möchte, dass du hierbleibst. Zieh zu mir.«

Er erlebte ein weiteres Mal die Empfindung des freien Falls. »Ist die Wohnung denn groß genug?«

»Das Bett ist groß genug.«

Er küsste sie in der Dunkelheit. Glückliches Leben, dachte er.

Neunzehnhundertzweiundsechzig, eine warme Sommernacht.

Es war nun auf dem ganzen Kontinent Nacht. Der Himmel war klar von den Rockies bis zur Küste von Maine, und die Sterne strahlten vom Himmel herab. Die Nation schlief, und ihr Schlaf war — wenn überhaupt — unruhig durch vage und ferne Träume. Durch einen Traum vom Mississippi. Einen Traum von einem Krieg, der noch nicht richtig angefangen hatte, irgendwo weit im Osten. Den Traum von dunklen Imperien, die an den Grenzen aufmarschierten.

JFK schlief. Lee Harvey Oswald schlief. Martin Luther King schlief.

Tom Winter schlief und träumte von Tschernobyl.

Er trug diesen Klumpen der Unzufriedenheit durch die Nacht bis in den Morgen.

Ich bin ein kalter Wind aus dem Land eurer Kinder, hatte er gedacht. Aber er sah Joyce an — als sie ein spätes Frühstück in einem billigen Restaurant am Ende einer schmuddeligen, engen, sonnenbeschienenen Straße einnahmen — und wollte es nicht mehr sein. Das war Geschichte, und Geschichte war gut, denn sie war nicht zu verändern. Aber er machte sich Sorgen, dass er vielleicht eine Infektion aus der Zukunft mitgebracht hatte — keine Krankheit im eigentlichen Wortsinn, sondern irgendeine Turbulenz im Zeitstrom. Irgendeine dunkle, bedrohliche Unregelmäßigkeit, die die Struktur ihres Lebens zerstörte.

Vielleicht waren seine Gewissheiten völlig falsch. Vielleicht würden sie alle bei dem sowjetischen Angriff umkommen, der auf die Schweinebucht-Invasion folgte.

Aber das war absurd — oder etwa nicht?

»Irgendwann«, sagte sie, »wirst du mir erzählen müssen, wer du bist und woher du kommst.«

Diese Feststellung erschreckte ihn. Er betrachtete sie aufmerksam auf der anderen Seite des Tisches.

»Das tue ich«, versprach er. »Irgendwann.«

»Aber irgendwann bald.«

»Bald«, sagte er hilflos. Vielleicht war es ein Versprechen. Vielleicht war es auch eine Lüge.

9

Sein Name war Billy Gargullo, und er war ein Bauernjunge.

Er lebte nun schon seit über zehn Jahren in New York City, aber warme Nächte wie diese erinnerten ihn noch immer an Ohio.

In warmen Nächten wie dieser konnte er nicht schlafen. In warmen Sommernächten verließ er seine Wohnung und wanderte wie ein Schatten durch die Straßen. Er fuhr gerne mit der U-Bahn. Wenn in der U-Bahn viel Betrieb herrschte, ging er lieber zu Fuß.

Heute fuhr er ein wenig, und er ging ein wenig zu Fuß.

Er hatte seine glänzende goldene Rüstung zu Hause gelassen.

Billy trug die Rüstung selten, aber er dachte oft an sie. Die goldene Rüstung war zu Hause in dem gemieteten Apartment, in dem er während der vergangenen zehn Jahre gewohnt hatte. Er bewahrte die Rüstung in seinem Wandschrank auf, hinter einer doppelten Wand, in einer Kiste, die niemand sonst öffnen konnte.

Er trug die goldene Rüstung selten; aber die goldene Rüstung war ein Teil von ihm, einzig und allein sein Eigentum — und das war beunruhigend. Er hatte viele Dinge zurückgelassen, als er nach New York gegangen war. Viele hässliche, viele schändliche Dinge. Aber einige hässliche und anstößige Dinge hatten ihn begleitet. Die Rüstung selbst war nicht hässlich oder anstößig — auf ihre Art war sie schön, und wenn Billy sie trug, dann trug er sie voller Stolz. Aber ihm war der Verdacht gekommen, dass sein Bedürfnis nach ihr anstößig war… dass die Dinge, die er tat, wenn er sie trug, hässlich waren.

Das war nicht ganz Billys Schuld, zumindest redete er sich das ein. Die Infanterie hatte gewisse chirurgische Eingriffe bei ihm vorgenommen. Sein Bedürfnis nach der Rüstung war real und körperlich spürbar. Ohne sie war er nicht vollständig. In gewissem Sinn war Billy die Rüstung. Aber die Rüstung war nicht ganz Billy. Die Rüstung hatte ihre eigenen Motive, ihre eigenen Absichten, und sie kannte Billy besser als jedes andere Wesen auf der ganzen Welt.

Manchmal sang sie für ihn.

Meistens sang sie vom Tod.

Billy tauchte aus den brüllenden Maschinenschächten der U-Bahn auf, betrat die nächtliche Wildnis der 42nd Street und des Broadway. Mitternacht war gerade vorüber.

Auch jetzt war er überrascht von der wilden Ausgelassenheit des zwanzigsten Jahrhunderts. All diese Lichter! Farbiges Neon und leuchtende Girlanden, mit Strom versorgt, wie er erfahren hatte, von mechanischen Dämmen, die Flüsse aufstauten, die Hunderte von Meilen weit weg waren. Und das meiste — erstaunlicherweise — zum Zweck der Werbung.

Er spazierte über den Times Square, wo die Lichter so hell brannten, dass er sie knistern und zischen hören konnte.

Dort, wo Billy herkam — auf der Farm —, hätte man diese frevelhafte Vergeudung von Elektrizität promisk genannt. Ein sehr schlimmes Wort. Aber das Wort bedeutete hier etwas anderes… eine Vergeudung einer ganz anderen Art von Energie.