»Ben«, wiederholte Archer. »Ben, ich möchte wissen, was Sie sind.«
»Ich bin ein Zeitreisender«, erwiderte Ben.
Sie ließen Ben Collier, den Zeitreisenden, mit seinen Maschinenkäfern allein. Als sie das Haus verließen, bemerkte Catherine, wie Archer zwei Gegenstände vom Küchentisch mitnahm: ein blaues Notizbuch mit Spiralheftung und eine Ausgabe der New York Times.
In Grandma Peggys Haus stürzte Archer sich auf die beiden Dokumente. Catherine kam sich leer, verloren vor. Was käme als Nächstes? Es gab keinerlei Verhaltensmuster für diese Situation. Sie räusperte sich. »Soll ich uns etwas zu essen zubereiten?«, fragte sie. Archer blickt kurz hoch und nickte.
Es war ihr niemals in den Sinn gekommen, dass Menschen, die gemeinsam eine solche Erfahrung gemacht hatten — Leute, die von fliegenden Untertassen entführt oder von Gespenstern besucht wurden —, sich auch mit derart prosaischen Dingen wie einem Abendbrot abgeben mussten. Eine Begegnung mit dem Jenseits, gefolgt von einer Portion Spaghetti carbonara, das war einfach unmöglich.
Nun mal langsam, dachte sie. Eins nach dem anderen. Sie stellte die Bratpfanne auf den Herd, fand eine Hühnerbrust, die sie zum Auftauen am Morgen herausgelegt hatte, holte eine zweite aus dem Tiefkühlfach und taute sie im Schnellverfahren im Mikrowellenherd auf — diese würde sie selbst essen. Catherine hielt wenig von Schnellgerichten, vor allem nicht für Gäste. Sie hielt auch nichts von gebratenem Huhn, aber es ging schnell und war gerade vorhanden.
Sie deckte den Tisch für zwei Personen. Das Esszimmer war geräumig und viktorianisch eingerichtet. Grandma Peggys Kuckucksuhr hing über einem Schrank mit blauem Wedgwoodgeschirr. Catherine setzte die Kaffeemaschine in Gang und servierte das Essen auf dem billigen Geschirr, das sie in einem Laden in Belltower gekauft hatte. Irgendwie erschien es ihr falsch und stillos, von Grandma Peggys Geschirr zu essen, wenn die alte Frau nicht im Haus war. Archer brachte seine beiden Souvenirs, das Notizbuch und die New York Times, an den Tisch. Aber er legte beides neben seinen Teller und machte ihr ein Kompliment über ihre Kochkünste.
Catherine kostete von ihrem Hühnerfleisch. Es schmeckte nicht besonders.
Sie ließ die Hand mit der Gabel sinken. »Nun, in was sind wir da hineingeraten?«
Archer brachte ein Lächeln zustande. »In etwas absolut Unerwartetes. Etwas, das wir nicht begreifen.«
»Sie klingen, als gefiele Ihnen die Geschichte.«
»Tatsächlich? Irgendwie ist es auch so. Es bestätigt in gewisser Weise einen Verdacht, den ich hatte.«
»Einen Verdacht?«
»Dass die Welt viel seltsamer ist, als sie sich dem Auge darbietet.«
Catherine dachte darüber nach. »Ich glaube, ich weiß, was Sie meinen. Als ich achtzehn war, fing ich mit Jogging an. Am liebsten war ich immer an besonders dunklen Winterabenden unterwegs. Ich liebte all die erleuchteten Fenster in den Häusern. Es war ein seltsames Gefühl, der einzige Mensch draußen auf der Straße zu sein und seinen Atem als weiße Wolke zu sehen. Ich stellte mir dann immer vor, dass alles Mögliche passieren konnte, dass ich zum Beispiel um irgendeine Ecke bog und plötzlich in Oz stünde. Und niemand wüsste es — vor allem die Menschen, die hinter den erleuchteten Fenstern schlafwandelten, würden es nie erfahren. Ich wüsste, was für eine Welt es war. Sie nicht.«
»Genau«, pflichtete Archer ihr bei.
»Aber es gab kein Oz. Sondern nur eine andere dunkle Straße.«
»Bis heute.«
»Ist das Oz?«
»Es könnte durchaus sein.«
Sie nickte zustimmend. »Schon möglich. Aber wir können es wohl niemandem erzählen, nicht wahr?«
»Ich glaube nicht.«
»Und wir müssen morgen früh dorthin zurück.«
»Ja.«
»Wir können es nicht einfach vergessen und weggehen. Er braucht unsere Hilfe.«
»Ich denke schon.«
»Aber was ist er?«
»Na ja, ich glaube, er hat uns die Wahrheit gesagt, Catherine. Er ist wohl ein Zeitreisender.«
»Ist so etwas möglich?«
»Keine Ahnung. Vielleicht. Ich schließe schon lange keine Wetten mehr darauf ab, was möglich ist und was nicht.«
Sie deutete auf das Notizbuch und die Zeitung. »Was haben Sie gefunden?«
»Beides gehörte Tom Winter, zumindest nehme ich das an. Sehen Sie.«
Sie schob ihren Teller mit dem Hühnerfleisch beiseite und betrachtete die Zeitung.
Sonntag, 13. Mai 1962. Die abendliche Stadtausgabe.
U.S. KRIEGSSCHIFFE MIT 1800 MARINEINFANTERISTEN UNTERWEGS NACH INDOCHINA: LAOS VERHÄNGT AUSNAHMEZUSTAND… ÄRZTE VERPFLANZEN MENSCHLICHE HERZKLAPPE… KIRCHE IN SPANIEN UNTERSTÜTZT ARBEITER IM KAMPF UM STREIKRECHT
Die Titelseite war vergilbt — aber nur ein wenig.
»Sehen Sie mal in das Notizbuch«, forderte Archer sie auf.
Sie blätterte darin herum. Die Eintragungen füllten nur die ersten drei Seiten. Der Rest des Buchs war leer.
Dringende Fragen, lautete die Überschrift.
Du könntest das Ganze auf sich beruhen lassen, hieß es weiter.
Es ist gefährlich, und du könntest die Finger davon lassen.
Jeder andere Mensch auf der Erde wird Stunde für Stunde weiter in die Zukunft gestoßen, aber du brauchst das nicht mitzumachen. Du hast eine Hintertür gefunden.
Was war vor dreißig Jahren?, las Catherine. Sie haben die Bombe. Denk daran. Sie haben Umweltverschmutzung. Sie haben Rassismus, Ignoranz, Verbrechen, Hunger…
Hast du wirklich Angst vor der Zukunft?
Ich gehe ein einziges Mal zurück. Wenigstens, um mich umzusehen. Um wirklich dort gewesen zu sein. Wenigstens einmal.
Sie sah Doug Archer an. »Es ist eine Art Tagebuch.«
»Aber ein sehr kurzes.«
»Von Tom Winter?«
»Darauf würde ich wetten.«
»Was hat er getan?«
»So wie es aussieht, hat er sich ganz schön in die Scheiße geritten. Aber das bekommen wir schon noch heraus.«
Erst später kam Catherine die nächstliegende Frage in den Sinn: Vielleicht sind auch wir ganz schön in die Scheiße geraten.
Archer schlief auf dem Sofa. Am nächsten Morgen rief er in der Immobilienagentur an und erklärte, er sei krank. »Nicht so gut«, sagte er. »Das stimmt. Jawohl. Ich weiß. Ich weiß. Klar, das hoffe ich auch. Danke.«
Catherine sah ihn fragend an. »Bekommen Sie keine Schwierigkeiten?«
»Ich verliere wohl ein paar Provisionen.«
»Geht das denn?«
»Ich denke schon. Ich hab auch noch andere Eisen im Feuer.« Er grinste sie an — ein bisschen zu wild für Catherines Geschmack. »Hey, hier finden gerade Wunder statt. Sind Sie deswegen denn überhaupt nicht aufgeregt?«
Sie lächelte schuldbewusst. »Ich glaube schon.«
Dann fuhren sie zum Safeway-Supermarkt und besorgten fünf tiefgefrorene T-Bone-Steaks für Ben, den Zeitreisenden.
Archer suchte eine Woche lang das Haus jeden Tag auf, manchmal zusammen mit Catherine und manchmal ohne sie. Er brachte Nahrung, die der Zeitreisende niemals in seiner Gegenwart zu sich nahm; vielleicht absorbierten die Maschinenkäfer sie und führten sie ihm auf direkterem Weg zu. Er wollte die Einzelheiten gar nicht wissen.
Jeden Tag wechselte er einige Worte mit Ben.
Es wurde zunehmend einfacher, ihn als »Ben« zu sehen, als etwas Menschliches und nichts Monströses. Die Bettlaken verhüllten seine Deformierungen zum größten Teil, und die weiße, schuppige Haube, wo seine Schädeldecke eigentlich hätte sein müssen, hatte am dritten Tag so viel Pigmente gebildet, dass man sie als menschliche Haut bezeichnen konnte. Archer hatte zuerst vor den Maschinenkäfern überall im Haus Angst gehabt, doch sie kamen ihm niemals zu nahe und stellten auch keine Bedrohung dar. Daher fing Archer an, Fragen zu stellen.