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»Und du glaubst diesen Mist?«, erwiderte Clary voller Abscheu. »Nichts davon ist wahr. Hodge hat für Valentin gearbeitet; sie waren beide gemeinsam hinter dem Kelch her. Es stimmt, Hodge hat uns reingelegt, aber er war nur ein Werkzeug …« »Aber er war derjenige, der den Kelch der Engel gebraucht hat«, sagte Jace. »Auf diese Weise konnte er sich von dem Fluch befreien und fliehen, bevor mein Vater dem Rat von seinen Untaten berichtet hätte.«

»Das stimmt nicht!«, entgegnete Clary zornig. »Ich war dabei!« Sie schaute Valentin an. »Ich war in der Bibliothek, als du aufgetaucht bist, um den Kelch zu holen. Du hast mich nicht gesehen, aber ich war da; und ich habe dich gesehen. Du hast den Kelch an dich genommen und Hodge von seinem Fluch befreit. Er hätte es allein gar nicht tun können; das hat er selbst gesagt.«

»Ich habe tatsächlich den Fluch von ihm genommen«, antwortete Valentin ruhig, »aber ich habe es nur aus Mitleid getan. Er war so eine jämmerliche Figur.«

»Du hast kein Mitleid empfunden. Du hast rein gar nichts empfunden.«

»Das reicht, Clary!« Es war Jace. Sie starrte ihn an; seine Wangen waren so rot, als hätte er von dem Wein getrunken, der vor ihm stand, und seine Augen glänzten viel zu hell.

»Sprich nicht so mit meinem Vater.«

»Er ist nicht dein Vater!«

Jace sah aus, als hätte sie ihm ins Gesicht geschlagen. »Warum bist du so fest entschlossen, uns nicht zu glauben?« »Weil sie dich liebt«, sagte Valentin.

Clary spürte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich. Sie schaute ihn an, wusste nicht, was er als Nächstes sagen würde, fürchtete sich aber davor. Es kam ihr so vor, als würde sie auf einen Abgrund zugeschoben, als stünde sie kurz vor einem schrecklichen, rasenden Sturz in ein unendliches Nichts. Um sie herum begann sich alles zu drehen.

»Was?«, fragte Jace, völlig verblüfft.

Amüsiert musterte Valentin Clary – mit einem Blick, als hätte er einen Schmetterling auf ein Stück Karton aufgespießt.

»Sie hat Angst, dass ich dich ausnutze«, sagte er. »Dass ich dich einer Gehirnwäsche unterzogen habe. Doch das stimmt selbstverständlich nicht. Schau in deine eigenen Erinnerungen, Clary, dann weißt du es.«

»Clary.« Jace erhob sich langsam, ohne den Blick von ihr zu wenden. Sie sah die dunklen Ringe unter seinen Augen, spürte seine Anspannung. »Ich …«

»Setz dich«, kommandierte Valentin. »Sie wird von ganz allein daraufkommen, Jonathan.«

Jace gehorchte sofort und ließ sich wieder auf seinen Stuhl sinken. Clary, die immer noch gegen den Schwindel ankämpfte, versuchte zu verstehen. Jonathan? »Ich dachte, dein Name sei Jace«, sagte sie. »Hast du dabei auch gelogen?«

»Nein, Jace ist ein Spitzname.«

Inzwischen war sie dem Abgrund so nahe, dass sie fast hineinschauen konnte. »Wofür?«

Er sah sie an, als könne er nicht verstehen, warum sie aus einer solchen Kleinigkeit eine derart große Sache machte. »Er steht für meine Initialen«, erklärte er. »J. C.«

Der Abgrund tat sich vor ihr auf. Sie vermeinte zu spüren, wie sie ins Nichts stürzte. »Jonathan«, flüsterte sie kaum hörbar. »Jonathan Christopher.«

Jace runzelte die Stirn. »Woher weißt du …?«

Valentin unterbrach ihn; seine Stimme hatte einen beruhigenden Ton angenommen. »Jace, ich hatte gehofft, dir das ersparen zu können. Ich glaubte, die Geschichte von einer verstorbenen Mutter würde dir weniger wehtun als die einer Mutter, die dich noch vor deinem ersten Geburtstag verlassen hat.«

Jace’ schlanke Finger schlossen sich so krampfartig um den Stiel des Weinglases, dass Clary einen Moment lang fürchtete, er würde zerbrechen. »Meine Mutter lebt?«

»Ja«, sagte Valentin. »Sie lebt und liegt in diesem Augenblick schlafend in einem der Zimmer im Untergeschoss. Es stimmt«, fuhr er fort, noch ehe Jace etwas sagen konnte, »Jocelyn ist deine Mutter, Jonathan. Und Clary … Clary ist deine Schwester.«

Jace’ Hand zuckte zurück. Das Weinglas stürzte um und schäumende scharlachrote Flüssigkeit ergoss sich über das weiße Tischtuch.

»Jonathan«, sagte Valentin.

Jace’ Gesicht hatte eine schreckliche grünweiße Farbe angenommen. »Das ist nicht wahr«, stieß er hervor. »Das muss ein Fehler sein. Das kann einfach nicht stimmen.« Valentin blickte seinem Sohn fest in die Augen. »Eigentlich ein Grund zum Feiern«, sagte er leise, fast schon nachdenklich. »Zumindest hätte ich das angenommen. Gestern noch warst du ein Waisenkind, Jonathan. Und heute hast du einen Vater, eine Mutter und eine Schwester, von deren Existenz du noch nie etwas geahnt hast.«

»Das ist nicht wahr«, sagte Jace erneut. »Clary kann nicht meine Schwester sein. Wenn sie es wäre …«

»Was dann?«, fragte Valentin.

Jace gab keine Antwort, doch sein entsetzter und zugleich angewiderter Gesichtsausdruck genügte Clary. Auf unsicheren Beinen näherte sie sich dem Tisch, kniete sich neben seinen Stuhl und griff nach seiner Hand. »Jace …«

Er zuckte vor ihrer Berührung zurück; seine Finger krallten sich in das durchnässte Tischtuch. »Lass mich.«

Der Hass auf Valentin brannte in ihrer Kehle wie unvergossene Tränen. Er hatte Jace verschwiegen, was er wusste – dass sie seine Tochter war –, und sie durch sein Schweigen zu seiner Komplizin gemacht. Und nun, nachdem er die Wahrheit mit der Wucht eines riesigen, alles zermahlenden Felsbrockens auf sie hatte niederstürzen lassen, lehnte er sich zurück und betrachtete das Ergebnis mit eiskalter Genugtuung. Warum konnte Jace nicht begreifen, wie abscheulich dieser Mann war?

»Sag mir, dass es nicht wahr ist«, meinte Jace und starrte auf das Tischtuch.

Clary musste schlucken, um das Brennen aus ihrer Kehle zu vertreiben. »Das kann ich nicht.«

»Du gibst also zu, dass ich die ganze Zeit die Wahrheit gesagt habe?«, fragte Valentin und klang, als ob er dabei lächelte.

»Nein«, fauchte sie zurück, ohne ihn anzuschauen. »Du verbreitest Lügen, vermischt mit ein klein wenig Wahrheit – und nichts anderes.«

»Das wird langsam langweilig«, näselte Valentin. »Wenn du unbedingt die Wahrheit hören willst, Clarissa – bitte, das ist die Wahrheit. Du hast Geschichten über den Aufstand gehört und deshalb glaubst du, dass ich der Bösewicht bin. Oder stimmt das etwa nicht?«

Clary antwortete nicht. Sie schaute Jace an, der so aussah, als müsse er sich jeden Augenblick übergeben. Aber Valentin fuhr unerbittlich fort. »Eigentlich ist es ganz einfach. Die Geschichte, die du gehört hast, stimmt in einigen, aber nicht in allen Teilen – Lügen, vermischt mit ein wenig Wahrheit, so wie du gesagt hast. Tatsache bleibt jedoch, dass Michael Wayland niemals der Vater von Jace war oder gewesen ist. Ich habe Michaels Namen an- und seinen Platz eingenommen, als ich mit meinem Sohn aus der Gläsernen Stadt floh. Es war nicht schwer; Wayland hatte keine nahen Verwandten mehr und seine engsten Freunde, die Lightwoods, lebten im Exil. Er selbst war aufgrund seiner Beteiligung am Aufstand in Ungnade gefallen, also lebte ich ein Leben in der Verbannung, in aller Stille, zusammen mit Jace auf dem Gut der Waylands.

Ich las meine Bücher. Ich erzog meinen Sohn. Und ich wartete, bis meine Zeit gekommen war.« Nachdenklich fuhren seine Finger über den kunstvoll verzierten Rand des Weinglases. Clary fiel auf, dass er Linkshänder war – genau wie Jace. »Zehn Jahre später erhielt ich einen Brief. Der Schreiber dieser Zeilen deutete an, dass er meine wahre Identität kenne und sie enthüllen würde, wenn ich nicht bereit wäre, bestimmte Dinge zu tun. Ich wusste nicht, woher dieser Brief kam, aber das spielte auch keine Rolle: Ich war nicht bereit, die Forderungen des Verfassers zu erfüllen. Abgesehen davon war mir klar, dass von nun an meine Sicherheit gefährdet sein würde, bis er mich endgültig für tot halten würde, mich sozusagen außerhalb seines Einflusses glaubte. Also inszenierte ich meinen Tod ein weiteres Mal, mit der Hilfe von Blackwell und Pangborn, und sorgte zu Jaces’ Schutz dafür, dass er hierher geschickt wurde, in die Obhut der Lightwoods.« »Du hast Jace also glauben lassen, dass du tot bist? Du hast ihn all die Jahre leiden lassen? Das ist ja widerlich.«