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»Jetzt tu nicht so.« Der Blonde hob die Hände, sodass die dunklen Ärmel seines Hemdes nach unten rutschten und runenbedeckte Handgelenke, Handrücken und Handflächen freigaben. »Du weißt genau, was ich bin.«

Der Gefesselte fühlte, wie weit hinten in seinem Schädel die zweite Zahnreihe zu knirschen begann.

»Ein Schattenjäger«, zischte er.

Der blonde Junge grinste übers ganze Gesicht. »Bingo.«

Clary stieß die Tür zum Lager auf und schlüpfte hinein. Zuerst dachte sie, der Raum sei leer. Es gab nur wenige Fenster, doch die befanden sich hoch unter der Decke und waren verschlossen; von draußen drangen gedämpfter Straßenlärm, Autohupen und quietschende Reifen an ihr Ohr. Es roch nach alter Farbe und eine dicke Staubschicht voll verwischter Schuhabdrücke bedeckte den Boden.

Es ist niemand hier, stellte Clary verwundert fest und schaute sich um. Trotz der Augusthitze war der Raum kühl. Ihr verschwitzter Rücken fühlte sich eiskalt an. Gleich beim ersten Schritt verfing sich ihr Fuß in einem Elektrokabel. Sie bückte sich, um den Schuh zu befreien, als sie plötzlich Stimmen hörte. Das Lachen eines Mädchens, dann eine scharf reagierende Jungenstimme. Als Clary sich aufrichtete, sah sie sie.

Es schien, als wären sie aus dem Nichts vor ihr aufgetaucht. Da war das Mädchen mit dem langen weißen Kleid; das schwarze Haar floss über ihre Schultern und ihren Rücken wie feuchter Seetang. Neben ihr sah sie die beiden Jungen – ein lang aufgeschossener Kerl mit ebenso dunklen Haaren wie das Mädchen und ein kaum kleinerer Blonder, dessen Haar im dämmrigen Zwielicht wie Messing glänzte. Der Blonde stand mit den Händen in den Taschen vor dem blauhaarigen Punker, dessen Arme und Füße offenbar mit Klavierdraht an den Pfeiler gefesselt waren. Angst und Schmerz hatten seine Züge zu einer Fratze verzogen.

Clarys Herz hämmerte wie wild. Sie duckte sich hinter den nächsten Betonpfeiler, spähte um die Ecke und beobachtete, wie der blonde Junge mit vor der Brust verschränkten Armen hin und her stolzierte. »Du hast mir noch immer nicht gesagt, ob noch mehr von deiner Sorte hier sind.«

Von deiner Sorte? Clary überlegte, was er damit meinen konnte. Vielleicht war sie ja in eine Art Bandenkrieg geraten.

»Ich weiß nicht, wovon du redest«, ächzte der Blauschopf unter Schmerzen, doch mit fester Stimme.

»Er meint andere Dämonen«, meldete sich jetzt der Dunkelhaarige zum ersten Mal zu Wort. »Was ein Dämon ist, brauch ich dir ja nicht zu erklären, oder?«

Der Gefesselte wandte das Gesicht ab; sein Kiefer zuckte.

»Dämonen«, dozierte der Blonde und malte das Wort mit dem Finger in die Luft. »Die Religion definiert sie als Höllenbewohner, als Diener Satans, aber hier, im Sinne des Rats, versteht man darunter jeden bösen Geist, der nicht unserer eigenen Dimension entstammt …«

»Komm, Jace, es reicht«, unterbrach das Mädchen.

»Isabelle hat recht«, erklärte der Dunkelhaarige. »Wir brauchen keine Lektionen in Bedeutungslehre und Dämonologie.«

Die sind verrückt, dachte Clary, völlig verrückt.

Jace hob lächelnd den Kopf. Diese Geste hatte etwas Entschlossenes an sich; sie erinnerte Clary an einen Dokumentarfilm über Löwen, den sie im Discovery Channel gesehen hatte. Genauso hoben die Großkatzen ihren Kopf, wenn sie Beute witterten. »Isabelle und Alec meinen, ich würde zu viel reden«, sagte er Vertraulichkeit vortäuschend. »Was meinst du?«

Der Blauhaarige antwortete zuerst nicht; seine Kiefer malmten noch immer. »Ich kann euch Informationen geben«, sagte er schließlich. »Ich weiß, wo Valentin ist.«

Jace blickte zu Alec hinüber, der die Achseln zuckte. »Valentin ist unter der Erde«, brummte Jace. »Der Typ da will uns bloß hochnehmen.«

Isabelle warf ihr Haar nach hinten. »Komm, Jace, schaff ihn aus der Welt. Er wird uns eh nichts Vernünftiges sagen.«

Jace hob den Arm und Clary sah das Messer im Zwielicht aufblitzen. Es wirkte merkwürdig transparent – die Klinge schimmerte kristallklar und scharf wie eine Glasscherbe. Das Heft war mit roten Steinen besetzt.

»Valentin ist zurück!«, stieß der Gefesselte atemlos hervor und zerrte an den Drähten, die seine Hände festhielten. »Das weiß die ganze Schattenwelt – und ich auch. Ich kann euch sagen, wo er steckt …«

Plötzliche Wut flackerte in Jace’ eiskalten Augen auf. »Beim Erzengel! Jedes Mal, wenn wir einen von euch Dreckskerlen schnappen, behauptet ihr, ihr wüsstet, wo Valentin steckt. Wir wissen es übrigens auch. In der Hölle. Und du …« Jace drehte das Messer in seiner Hand, sodass die Schneide blitzte wie eine Spur aus Feuer, »du wirst ihm gleich dorthin folgen.«

Clary konnte es nicht länger mit anhören und schoss hinter ihrem Pfeiler hervor. »Hört auf!«, brüllte sie. »Das könnt ihr nicht machen!«

Jace wirbelte herum, so verdutzt, dass ihm das Messer aus der Hand flog und über den Betonboden schlitterte. Auch Isabelle und Alec drehten sich zu ihr um, ähnlich verblüfft wie Jace. Der blauhaarige Junge hing in seinen Fesseln, den Mund ungläubig aufgesperrt.

Alec brachte als Erster ein Wort heraus. »Was ist das denn?« Fragend schaute er von Clary zu seinen Freunden, als müssten sie wissen, was Clary dort zu suchen hatte.

»Ein Mädchen«, sagte Jace, der sich rasch wieder gefasst hatte, »du weißt doch, was Mädchen sind, Alec. Deine Schwester Isabelle ist eins.« Er ging einen Schritt auf Clary zu und blinzelte, als könne er nicht ganz glauben, was er da sah. »Eine Irdische«, sagte er, mehr zu sich selbst, »aber sie kann uns sehen.«

»Natürlich kann ich euch sehen«, erwiderte Clary, »ich bin doch nicht blind.«

»Doch. Du weißt es nur nicht«, meinte Jace und bückte sich, um sein Messer aufzuheben. Er richtete sich wieder auf. »Aber jetzt verschwindest du besser – in deinem eigenen Interesse.«

»Ich werde auf keinen Fall gehen«, sagte Clary, »weil ihr ihn sonst umbringt.« Sie zeigte auf den Jungen mit den blauen Haaren.

»Wohl wahr«, räumte Jace ein, wobei er das Messer zwischen den Fingern herumwirbelte, »aber was kümmert es dich, ob ich ihn töte oder nicht?«

»W-w-weil …« Clary stotterte vor Entrüstung. »Weil ihr nicht einfach in der Gegend rumlaufen und Leute umbringen könnt.«

»Auch richtig«, stimmte Jace zu, »man darf nicht einfach herumlaufen und Menschen umbringen.« Er zeigte auf den Blauhaarigen, der die Augen zu Schlitzen zusammengekniffen hatte. Clary fragte sich, ob er ohnmächtig war. »Aber das da ist kein Mensch, Kleine. Er sieht zwar so aus und redet auch so und möglicherweise blutet er sogar so. Aber er ist ein Monster.«

»Jace«, zischte Isabelle warnend, »es reicht.«

»Du bist verrückt«, sagte Clary und wich vor ihm zurück. »Ich hab die Polizei gerufen, damit du’s weißt. Die wird jeden Moment hier sein.«

»Sie lügt«, sagte Alec, allerdings mit Zweifel in der Stimme. »Jace, mach …«

Er konnte seinen Satz nicht beenden, denn in diesem Moment stieß der blauhaarige Junge ein schrilles Geheul aus, riss sich vom Pfeiler los und stürzte sich auf Jace.

Sie fielen und rollten über den Boden – fast schien es, als besäßen die Hände des Blauhaarigen, die an Jace’ Körper zerrten, metallene Klauen. Clary wich zurück und wollte wegrennen, doch ihre Füße verfingen sich erneut in einer Kabelschlaufe und sie ging so heftig zu Boden, dass ihr die Luft wegblieb. Sie hörte Isabelle schreien. Als sie sich herumrollte, sah sie, dass der Blauhaarige auf Jace’ Brust saß und Blut an den Spitzen seiner rasiermesserscharfen Klauen glitzerte.

Alec rannte auf die Kämpfenden zu, dicht gefolgt von Isabelle, die ihre Peitsche schwang. Der Blauschopf hieb seine ausgefahrenen Klauen in Jace’ Körper. Jace versuchte, sich mit dem Arm zu schützen, doch die Krallen durchfurchten seine Haut und seine Muskeln. Blut spritzte. Wieder holte der Blauhaarige aus – da traf ihn Isabelles Peitsche am Rücken. Er brüllte auf und fiel auf die Seite.