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»Vielleicht«, räumte Clary ein, »oder vielleicht schrecken sie auch davor zurück, einen anderen Schattenjäger zu töten.«

Jace lachte – ein raues, fast bösartiges Lachen, bei dem Clary eine Gänsehaut bekam. »Das bezweifle ich.«

Sie schaute ihn eindringlich an. »Was macht dich so sicher? Kennst du sie etwa?«

Das Lachen war vollkommen aus seiner Stimme verschwunden, als er antwortete: »Ob ich sie kenne? Das könnte man so sagen. Es sind die Männer, die meinen Vater umgebracht haben.«

9

Der Kreis und die Bruderschaft

Clary machte einen Schritt nach vorne, um Jace’ Arm zu berühren und etwas zu sagen, irgendetwas – aber was sagte man jemandem, der gerade die Mörder seines Vaters wiedererkannt hatte? Allerdings zeigte sich sofort, dass ihr Zögern nicht von Bedeutung war; Jace schüttelte ihre Berührung ab, als verursache sie ihm einen stechenden Schmerz. »Wir sollten gehen«, sagte er und stolzierte vom Büro ins Wohnzimmer. Clary und Simon liefen ihm hinterher. »Luke könnte jeden Augenblick zurückkommen.«

Sie verließen das Haus durch den Hintereingang. Jace benutzte seine Stele, um hinter ihnen abzuschließen; dann machten sie sich auf den Weg zur Straße, die vollkommen still dalag. Der Mond hing wie ein Medaillon über der Stadt und spiegelte sich schillernd im Wasser des East River. Das entfernte Dröhnen der Autos, die über die Williamsburg Bridge fuhren, erfüllte die schwüle Luft mit einem Geräusch wie von schlagenden Flügeln.

»Würde mir vielleicht mal jemand sagen, wo wir hingehen?«, fragte Simon.

»Zur U-Bahn«, erwiderte Jace gelassen.

»Das soll wohl ein Witz sein«, meinte Simon blinzelnd. »Dämonenjäger nehmen die U-Bahn?«

»Es geht schneller als mit dem Auto.«

»Ich dachte, du hättest ein cooleres Transportmittel, etwa einen Lieferwagen mit der Aufschrift ›Tod den Dämonen‹ oder …«

Jace machte sich gar nicht erst die Mühe, ihn zu unterbrechen. Clary musterte Jace von der Seite. Manchmal, wenn Jocelyn wegen etwas wirklich sauer war oder mal wieder eine ihrer Launen hatte, wurde sie »beängstigend ruhig«, wie Clary es nannte. Diese Ruhe ließ Clary an den trügerischen Glanz von Eis denken, kurz bevor es unter den Füßen bricht. Jace war beängstigend ruhig. Sein Gesicht schien ausdruckslos, aber in seinen goldbraunen Augen funkelte etwas.

»Simon«, sagte sie. »Es reicht.«

Simon warf ihr einen Blick zu, als wolle er sagen: Auf wessen Seite stehst du eigentlich? Aber Clary ignorierte ihn. Ihre Augen waren noch immer auf Jace gerichtet, als sie in die Kent Avenue einbogen. Die Lichter der Brücke hinter ihnen fielen auf seine Haare und verliehen ihnen einen unwirklichen Heiligenschein. Sie fragte sich, ob es falsch war, sich darüber zu freuen, dass die Männer, die ihre Mutter verschleppt hatten, dieselben waren, die Jace’ Vater vor all den Jahren getötet hatten. Zumindest für den Augenblick musste Jace ihr helfen, Jocelyn zu finden, ob er wollte oder nicht. Zumindest für den Augenblick konnte er sie nicht allein lassen.

»Hier wohnst du?« Simon schaute an der alten Kathedrale empor, deren Fenster zerbrochen und deren Türen mit gelbem Absperrband versiegelt waren. »Aber das ist doch eine Kirche.«

Jace griff unter sein T-Shirt und holte einen Messingschlüssel an einer Kette hervor, der aussah wie einer dieser Schlüssel, mit denen man eine alte Truhe auf dem Dachboden aufschließen würde. Clary schaute verwundert – Jace hatte die Tür nicht abgeschlossen, sondern lediglich zugezogen, als sie das Institut verlassen hatten. »Für uns ist es praktisch, auf geweihtem Boden zu wohnen.«

»Okay, das versteh ich ja. Aber das hier ist, bei allem Respekt, eine Müllhalde«, erwiderte Simon und schaute zweifelnd auf den verbogenen Eisenzaun, der das alte Gebäude umgab, und auf den Müll, der sich neben der Treppe türmte.

Clary entspannte sich. Sie stellte sich vor, wie sie einen der Terpentinlappen ihrer Mutter nahm und damit das Bild, das sich ihr bot, abtupfte, um den Zauberglanz wegzuwischen wie alte Farbe.

Da war er, der wirkliche Anblick, der durch den falschen Glanz hindurchschimmerte wie Licht durch dunkles Glas. Sie sah die aufragenden Türme der Kathedrale, den matten Schimmer der bleiverglasten Fenster und die Messingplatte an der Steinmauer neben der Tür, in die der Name des Instituts eingraviert war. Sie bewahrte diesen Anblick einen Moment lang, ehe sie ihn fast mit einem Seufzen losließ.

»Das kommt durch den Zauberglanz – eine Art Schleier, Simon«, sagte sie. »Das Gebäude sieht nicht wirklich so aus.« »Wenn das deine Vorstellung von Glanz ist, dann überlege ich es mir lieber noch mal, ob ich mich von dir neu stylen lassen würde.«

Jace steckte den Schlüssel ins Schloss und schaute über die Schulter zu Simon. »Ich glaube, du weißt gar nicht, was für eine Ehre das ist«, sagte er. »Du bist der erste Irdische, der das Institut seit über einhundert Jahren betreten hat.«

»Wahrscheinlich hält der Geruch die anderen davon ab.«

»Ignorier ihn einfach«, wandte Clary sich an Jace und versetzte Simon mit dem Ellbogen einen Stoß in die Rippen.

»Er sagt immer das, was ihm gerade einfällt. Vollkommen ungefiltert.«

»Filter sind für Zigaretten und Kaffee da«, murmelte Simon, als sie das Gebäude betraten. »Zwei Dinge, die ich zufälliger weise gerade sehr gut vertragen könnte.«

Clary dachte ebenfalls sehnsüchtig an Kaffee, während sie die gewundene Steintreppe hinaufstiegen, deren Stufen mit eingemeißelten Zeichen versehen waren. Nach und nach erkannte sie einige davon – sie zogen ihre Augen magisch an, so wie schwach wahrgenommene Worte in einer fremden Sprache manchmal ihre Ohren fesselten, als könne sie ihnen eine Bedeutung entlocken, wenn sie sich nur stark genug auf sie konzentrierte.

Nachdem sie den Aufzug erreicht hatten, fuhren sie schweigend nach oben. Clary dachte noch immer an Kaffee, große Becher, die zur Hälfte mit Kaffee und zur Hälfte mit Milch gefüllt waren, so wie ihre Mutter ihn morgens zubereitete.

Manchmal brachte Luke eine Tüte mit süßen Brötchen aus der Golden Carriage Bakery in Chinatown mit. Bei dem Gedanken an Luke krampfte sich Clarys Magen zusammen und ihr Appetit verschwand.

Der Aufzug kam mit einem Zischen zum Stehen und sie befanden sich wieder in dem Foyer, von dem aus sie aufgebrochen waren. Jace zog seine Jacke aus, warf sie über die Rückenlehne eines Stuhls, der in der Nähe stand, und pfiff durch die Zähne. Nach ein paar Sekunden tauchte Church auf. Er schlich dicht über den Boden und seine gelben Augen funkelten in der staubigen Luft. »Church«, sagte Jace und kniete sich hin, um den blauen Kopf des Katers zu streicheln.

»Wo ist Alec, Church? Wo ist Hodge?«

Church machte einen Buckel und miaute. Jace rümpfte die Nase, was Clary unter anderen Umständen vielleicht süß gefunden hätte. »Sind sie in der Bibliothek?« Er stand auf und Church schüttelte sich, trottete ein Stück den Korridor entlang und schaute dann über die Schulter zurück. Jace ging dem Kater nach, als sei es das Natürlichste der Welt, und bedeutete Clary und Simon mit der Hand, ihm zu folgen.

»Ich mag keine Katzen«, sagte Simon und stieß gegen Clarys Schulter, als sie sich ihren Weg durch den engen Korridor bahnten.

»Wie ich Church kenne«, meinte Jace, »mag er dich höchstwahrscheinlich auch nicht.«

Sie befanden sich in einem der Flure, von denen die Gästezimmer abgingen. Simon zog die Augenbrauen hoch. »Wie viele Leute wohnen hier eigentlich?«

»Es ist ein Institut«, entgegnete Clary. »Ein Ort, an dem Schattenjäger wohnen können, wenn sie in der Stadt sind. Eine Art Kombination aus Zufluchtsort und Forschungseinrichtung.« »Ich dachte, es sei eine Kirche.«

»Es ist in einer Kirche.«

»Klar, das ist ja auch überhaupt nicht verwirrend.« Trotz Simons lässigen Tonfalls konnte sie hören, wie angespannt er war. Statt ihn zum Schweigen zu bringen, griff sie nach seiner Hand und verschränkte ihre Finger mit seinen, die sich kalt und feucht anfühlten. Er erwiderte die Geste, indem er ihre Hand dankbar drückte.