»Ich weiß, dass es seltsam klingt«, sagte sie leise, »aber du musst dich einfach darauf einlassen. Vertrau mir.«
Simons dunkle Augen schauten ernst. »Dir vertraue ich ja«, sagte er, »aber ich vertraue ihm nicht.« Er blickte zu Jace, der ein paar Meter vor den beiden ging und sich offenbar mit dem Kater unterhielt. Clary fragte sich, worüber sie wohl sprachen.
Über Politik? Die Oper? Die hohen Thunfischpreise? »Versuch es bitte«, sagte sie. »Er ist im Augenblick meine einzige Chance, Mom zu finden.«
Ein kalter Schauer lief Simon über den Rücken. »Dieser Ort ist mir unheimlich«, flüsterte er.
Clary erinnerte sich, wie sie sich gefühlt hatte, als sie an diesem Morgen hier entlanggegangen war – als sei alles gleichzeitig fremd und vertraut. Simon empfand natürlich nichts von dieser Vertrautheit, nur das Seltsame, Fremde und Feindselige. »Du brauchst nicht bei mir zu bleiben«, sagte sie, obwohl sie während der U-Bahn-Fahrt bei Jace durchgesetzt hatte, dass Simon mitkommen konnte. Sie hatte Jace darauf hingewiesen, dass Simon Luke schließlich drei Tage lang beobachtet hatte und vielleicht etwas wusste, das ihnen weiterhelfen könnte.
»Doch«, sagte Simon, »das muss ich.« Er ließ ihre Hand los, als sie durch eine Tür gingen und plötzlich in einer Küche standen. Es war eine riesige Küche und im Gegensatz zum Rest des Instituts sehr modern, mit Anrichten aus Stahl und verglasten Regalen, in denen sich jede Menge Geschirr befand. Vor einem roten, gusseisernen Herd stand Isabelle, in der Hand einen Kochlöffel, das dunkle Haar auf dem Kopf zusammengesteckt. Aus dem Topf stieg Dampf auf und überall lagen Zutaten herum – Tomaten, gehackter Knoblauch und Zwiebeln, dunkelgrüne Kräuterstängel, geriebener Käse, ein Paar geschälte Erdnüsse, eine Handvoll Oliven und ein ganzer Fisch, dessen glasige Augen an die Decke starrten.
»Ich mache Suppe«, sagte Isabelle und winkte mit dem Kochlöffel. »Hast du Hunger?« Sie schaute an Jace vorbei und entdeckte Simon und Clary. »Oh mein Gott«, sagte sie gedehnt und verzog das Gesicht. »Du hast noch einen Irdischen mitgebracht? Hodge wird dich umbringen.« Simon räusperte sich. »Ich bin Simon.«
Isabelle ignorierte ihn. »Jace Wayland! Ich verlange eine Erklärung.«
Zornig musterte Jace den Kater. »Ich habe dir gesagt, du sollst mich zu Alec bringen! Hinterhältiger Judas.«
»Du brauchst nicht Church die Schuld zu geben«, meinte Isabelle. »Er kann nichts dafür, wenn Hodge dich umbringt.«
Sie steckte den Löffel in den Topf und rührte wütend darin herum. Clary fragte sich, wie Erdnuss-Fisch-Oliven-TomatenSuppe wohl schmecken mochte.
»Ich musste ihn mitnehmen«, entgegnete Jace. »Isabelle, ich habe heute zwei der Männer gesehen, die meinen Vater getötet haben.«
Isabelles Schultern strafften sich, aber als sie sich umdrehte, schaute sie eher bestürzt als überrascht. »Ich nehme nicht an, dass er einer von ihnen ist«, sagte sie und zeigte mit dem Kochlöffel auf Simon.
Zu Clarys Überraschung sagte Simon nichts. Er war zu sehr damit beschäftigt, Isabelle verzückt und mit offenem Mund anzustarren. Natürlich, ich hätte es wissen müssen, dachte Clary plötzlich verärgert. Isabelle war genau Simons Typ – groß, glamourös und wunderschön. Aber wenn man darüber nachdachte, war das vielleicht jedermanns Frauentyp. Clary wunderte sich nicht länger über die Erdnuss-Fisch-OlivenTomaten-Suppe, sondern fragte sich, was wohl passieren würde, wenn sie den Inhalt des Topfs Isabelle über den Kopf goss.
»Natürlich nicht«, erwiderte Jace. »Oder glaubst du, er wäre sonst noch am Leben?«
Isabelle warf Simon einen gleichgültigen Blick zu. »Vermutlich nicht«, meinte sie und ließ geistesabwesend ein Stück Fisch auf den Boden fallen. Church stürzte sich sofort gierig darauf. »Kein Wunder, dass er uns hierher geführt hat«, knurrte Jace angewidert. »Ich kann nicht glauben, dass du ihn schon wieder mit Fisch vollstopfst. Er sieht ganz schön pummelig aus.«
»Er sieht überhaupt nicht pummelig aus. Außerdem isst von euch ja nie einer was. Ich hab das Rezept von einem Wassergeist vom Chelsea Market. Er sagte, es sei köstlich …« »Wenn du kochen könntest, dann würde ich vielleicht tatsächlich etwas essen«, brummelte Jace.
Isabelle erstarrte und hob drohend den Kochlöffel. »Was hast du gesagt?«
Jace eilte zum Kühlschrank. »Ich habe gesagt, ich hole mir etwas zu essen.«
»Dann hab ich dich wohl doch richtig verstanden.« Isabelle wandte sich wieder der Suppe zu. Simon starrte Isabelle noch immer an. Von einer plötzlichen, unerklärlichen Wut erfasst, ließ Clary ihren Rucksack auf den Boden fallen und folgte Jace zum Kühlschrank.
»Ich kann nicht glauben, dass du jetzt etwas essen willst«, zischte sie.
»Was sollte ich sonst tun?«, fragte er mit aufreizender Gelassenheit. Der Kühlschrank war mit Milchtüten gefüllt, deren Haltbarkeitsdatum schon seit mehreren Wochen überschritten war. Außerdem sah Clary viele Frischhaltedosen, auf denen mit roter Tinte beschriftetes Krepppapier klebte: Hodge. Nicht essen.
»Wow, der verhält sich ja wie ein durchgeknallter WGBewohner«, bemerkte sie, einen Moment lang abgelenkt. »Wer? Hodge? Er mag es einfach, wenn Ordnung herrscht.«
Jace nahm eine der Dosen heraus und öffnete sie. »Mmmh.
Spaghetti.«
»Verdirb dir nicht den Appetit«, rief Isabelle.
»Genau das«, sagte Jace, trat die Kühlschranktür zu und nahm sich eine Gabel aus der Schublade, »habe ich vor.« Er schaute zu Clary. »Möchtest du auch was?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Natürlich nicht«, sagte er mit vollem Mund. »Du hast ja die ganzen Sandwichs gegessen.«
»So viele waren es nun auch wieder nicht.« Sie sah zu Simon hinüber, dem es offenbar gelungen war, Isabelle in ein Gespräch zu verwickeln. »Können wir jetzt Hodge suchen?« »Du scheinst es ja ziemlich eilig zu haben, von hier fortzukommen.«
»Willst du ihm denn nicht erzählen, was wir gesehen haben?«
»Das weiß ich noch nicht.« Jace stellte die Dose ab und leckte gedankenverloren Spaghettisoße von seinen Fingern.
»Aber wenn du unbedingt gehen willst …«
»Ja.«
»Gut.« Er wirkte furchtbar ruhig, dachte sie, nicht beängstigend ruhig wie zuvor, sondern gefasster, als er hätte sein sollen. Sie fragte sich, wie oft er anderen einen Blick auf sein wahres Selbst durch die Fassade gewährte, die so hart und glänzend war wie die Lackschicht der japanischen Schmuckkästchen ihrer Mutter.
»Wo gehst du hin?« Simon blickte auf. Fransige dunkle Haarsträhnen fielen ihm in die Augen. Er schaut dümmlich und benommen drein, dachte Clary unfreundlich, so als habe ihm jemand mit einem Stück Holz auf den Hinterkopf geschlagen.
»Hodge suchen«, sagte sie. »Ich muss ihm erzählen, was in Lukes Haus passiert ist.«
Isabelle blickte auf. »Wirst du ihm sagen, dass du diese Männer gesehen hast, Jace? Diejenigen, die …«
»Ich weiß es nicht«, unterbrach er sie. »Also behalte es vorerst für dich.«
Sie zuckte die Achseln. »Okay. Kommst du nachher noch mal her? Möchtest du etwas Suppe?«
»Nein«, sagte Jace.
»Glaubst du, Hodge will etwas Suppe?«
»Niemand will Suppe.«
»Doch, ich will Suppe«, sagte Simon.
»Nein, willst du nicht«, erwiderte Jace. »Du willst nur mit Isabelle schlafen.«
Simon war entsetzt. »Das ist nicht wahr!«
»Wie schmeichelhaft«, murmelte Isabelle in ihre Suppe, grinste aber süffisant.
»Oh doch, das ist es«, sagte Jace. »Na los, frag sie – dann kann sie dir einen Korb geben und wir anderen können unser Leben weiterleben, während du dir gedemütigt und unglücklich die Wunden leckst.« Er schnippte mit den Fingern. »Beeil dich, Irdischer, wir haben zu arbeiten.«