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»Milder?« Nur für einen Bruchteil blitzte in Jace’ Blick etwas auf, doch Hodge bemerkte es.

»Du denkst an den Fluch, der mich hier festhält, nicht wahr? Du hast immer geglaubt, es sei der Rachebann eines wütenden Dämons oder Hexenmeisters. Ich ließ dich in dem Glauben. Aber die Wahrheit sieht anders aus. Der Fluch, der mich bindet, wurde vom Rat ausgesprochen.«

»Dafür, dass du dem Kreis angehört hast?«, fragte Jace, die Augen vor Verblüffung weit aufgerissen.

»Dafür, dass ich ihn nicht vor dem Aufstand verlassen habe.«

»Aber die Lightwoods wurden nicht bestraft«, warf Clary ein. »Warum nicht? Sie haben schließlich das Gleiche getan wie Sie.«

»In ihrem Fall gab es mildernde Umstände: Sie waren verheiratet und hatten ein Kind. Aber es ist keineswegs so, dass sie aus freien Stücken an diesem abgelegenen Ort, fern der Heimat wohnen. Wir wurden hierher verbannt, wir drei – wir vier, sollte ich wohl sagen: Alec war noch ein Säugling, als wir die Gläserne Stadt verließen. Die Lightwoods dürfen ausschließlich in offiziellen Angelegenheiten nach Idris zurückkehren und auch das nur für kurze Zeit. Ich dagegen bin auf immer verbannt. Ich werde die Gläserne Stadt nie wiedersehen.«

Jace starrte seinen Lehrer an, als sähe er ihn mit neuen Augen, dachte Clary – doch es war nicht Jace, der sich verändert hatte. »Das Gesetz ist hart, aber es ist das Gesetz«, sagte er schließlich.

»Das habe ich dir beigebracht«, entgegnete Hodge versonnen. »Und jetzt erinnerst du mich an meine eigenen Lektionen. Recht so.« Er sah aus, als wolle er sich auf einen Stuhl sinken lassen, der in der Nähe stand, hielt sich aber aufrecht. Seine starre Haltung ließ etwas von dem Krieger erkennen, der er einst gewesen sein musste, dachte Clary.

»Warum haben Sie mir das nicht vorher gesagt?«, fragte sie. »Dass meine Mutter mit Valentin verheiratet war. Sie kannten ihren Namen …«

»Ich kannte sie als Jocelyn Fairchild, nicht als Jocelyn Fray«, erklärte Hodge. »Und da du so darauf beharrt hast, dass sie nichts von der Verborgenen Welt gewusst haben kann, war ich überzeugt, es könne nicht die Jocelyn sein, die ich kannte – und vielleicht wollte ich es auch nicht glauben. Niemand wünscht sich, dass Valentin zurückkehrt.« Erneut schüttelte er den Kopf. »Als ich heute Morgen nach den Stillen Brüdern in der Stadt der Gebeine schickte, hatte ich keine Ahnung, welche Nachrichten wir für sie haben würden. Wenn der Rat herausfindet, dass Valentin möglicherweise zurückgekehrt ist und dass er den Kelch sucht, dann wird es einen Aufruhr geben. Ich kann nur hoffen, dass das Abkommen dadurch nicht beeinträchtigt wird.«

»Ich wette, das würde Valentin gefallen«, sagte Jace. »Aber warum will er den Kelch unbedingt haben?«

Hodges Gesicht war grau. »Ist das denn nicht offensichtlich? Damit er eine eigene Armee aufstellen kann.«

Jace schaute verblüfft. »Aber das würde nie …«

»Abendessen!« Isabelle stand in der Tür zur Bibliothek. Sie hielt noch immer den Kochlöffel in der Hand, aber ihre Haare hatten sich aus dem Knoten gelöst und fielen ihr über Schultern und Rücken. »Entschuldigt, wenn ich euch unterbrochen habe«, sagte sie nachträglich.

»Gütiger Gott«, sagte Jace, »die Stunde der Prüfungen naht.«

Hodge schaute erschrocken. »Ich … ich hatte ein sehr reichhaltiges Frühstück«, stammelte er. »Ich meine Mittagessen. Ein reichhaltiges Mittagessen. Ich kann unmöglich etwas essen …«

»Ich habe die Suppe weggeschüttet und beim Chinesen in der Stadt etwas bestellt.«

Jace stand vom Schreibtisch auf und streckte sich. »Toll. Ich bin am Verhungern.«

»Ein bisschen könnte ich vielleicht auch noch essen«, gab Hodge kleinlaut zu.

»Ihr beide seid schreckliche Lügner«, erwiderte Isabelle finster. »Hört zu, ich weiß, dass ihr mein Essen nicht mögt …«

»Dann koch doch einfach nicht mehr«, riet Jace ihr. »Hast du Schweinefleisch Mu Shu bestellt? Ich liebe Schweinefleisch Mu Shu.«

Isabelle schaute genervt zur Decke. »Na klar. Steht alles in der Küche.«

»Super.« Jace schob sich an ihr vorbei und zerzauste ihr liebevoll die Haare. Hodge folgte ihm und blieb nur kurz stehen, um Isabelle die Schulter zu tätscheln, dann verschwand er, den Kopf auf komische Art entschuldigend eingezogen. War es wirklich möglich, dass Clary noch vor ein paar Minuten den Geist des Kriegers in ihm gesehen hatte, der er einmal gewesen war?

Isabelle schaute Jace und Hodge hinterher und drehte den Kochlöffel zwischen ihren vernarbten blassen Fingern.

»Ist er das wirklich?«, fragte Clary.

Isabelle sah sie nicht an. »Ist wer wirklich was?«

»Jace. Ist er wirklich ein schrecklicher Lügner?«

Jetzt richtete Isabelle ihre Augen auf Clary – große dunkle und überraschend nachdenkliche Augen.»Er ist kein Lügner. Nicht wenn es um wichtige Dinge geht. Er haut dir die schrecklichsten Wahrheiten um die Ohren, aber er lügt nicht.« Sie hielt einen Moment inne und fügte dann hinzu: »Deshalb empfiehlt es sich auch, ihn besser nicht zu fragen, wenn man nicht weiß, ob man die Antwort verkraften kann.«

Die Küche war warm, hell erleuchtet und erfüllt vom salzigsüßen Duft des chinesischen Essens. Der Duft erinnerte Clary an zu Hause. Sie setzte sich und schaute auf den Teller mit den glänzenden, dampfenden Nudeln, spielte mit ihrer Gabel und versuchte, nicht rüber zu Simon zu gucken, der Isabelle mit glasigen Augen anstarrte.

»Irgendwie ist es romantisch«, meinte Isabelle und saugte Perltapioka durch einen gigantischen rosa Strohhalm. »Was?«, fragte Simon, sofort hellwach.

»Die ganze Geschichte, dass Clarys Mutter mit Valentin verheiratet war«, erwiderte Isabelle. Jace und Hodge hatten ihr alles erzählt, bis auf die Tatsache, dass die Lightwoods dem Kreis angehört hatten. Und auch der Bann durch den Rat blieb unerwähnt, wie Clary bemerkte. »Jetzt ist er also von den Toten auferstanden und gekommen, um nach ihr zu suchen. Vielleicht will er wieder mit ihr zusammen sein«, fuhr Isabelle fort.

»Ich bezweifle allerdings, dass er einen Ravener zu ihr nach Hause geschickt hat, weil er wieder mit ihr zusammen sein will‹«, sagte Alec, der aufgetaucht war, als das Essen serviert wurde. Niemand hatte ihn gefragt, wo er gewesen war, und von sich aus hatte er nichts dazu gesagt. Er setzte sich neben Jace – genau gegenüber von Clary, vermied es aber, sie anzusehen.

»Das wäre auch nicht meine Vorgehensweise«, stimmte Jace ihm zu. »Zuerst die Pralinen und die Blumen, danach die zerknirschten Briefe und dann die Horden gefräßiger Dämonen. Das wäre meine Reihenfolge.«

»Vielleicht hat er ihr ja Pralinen und Blumen geschickt«, sagte Isabelle. »Und wir wissen es nur nicht.«

»Isabelle«, sagte Hodge geduldig, »es handelt sich hier um den Mann, der eine nie da gewesene Welle der Zerstörung über Idris brachte, der Schattenjäger und Schattenwesen gegeneinander aufbrachte und dafür verantwortlich ist, dass überall in den Straßen der Gläsernen Stadt Blut floss.«

»Irgendwie hat das was«, widersprach Isabelle, »dieses Böse.«

Simon versuchte, gefährlich dreinzuschauen, gab es aber auf, als er sah, dass Clary ihn anstarrte. »Warum will Valentin unbedingt diesen Kelch in die Finger bekommen und warum glaubt er, dass Clarys Mutter ihn hat?«, fragte er.

»Sie meinten vorhin, er könne damit eine Armee aufstellen«, wandte Clary sich an Hodge. »Soll das heißen, er will den Kelch dazu verwenden, Schattenjäger zu schaffen?«

»Ja.«

»Valentin könnte also aus jedem x-beliebigen Typ auf der Straße einen Schattenjäger machen? Nur mithilfe des Kelchs?« Simon beugte sich nach vorne. »Würde das auch bei mir funktionieren?«

Hodge musterte ihn lange und eingehend. »Möglicherweise«, sagte er. »Aber wahrscheinlich bist du zu alt. Der Kelch wirkt nur bei Kindern. Bei Erwachsenen würde er entweder überhaupt keine Veränderung herbeiführen oder sie sofort töten.«

»Eine Kinderarmee«, sagte Isabelle leise.

»Nur für ein paar Jahre«, meinte Jace. »Kinder wachsen schnell. Es würde nicht lange dauern, bis sie sich zu einer kampfbereiten Streitmacht entwickelt hätten.«