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»Wen sonst?«

»Diese Sache mit den Stillen Brüdern … ich war damit nicht einverstanden«, fauchte sie.

»Du willst doch deine Mutter finden, oder?«

Sie starrte ihn an.

»Du brauchst nur kurz mit Bruder Jeremiah zu reden. Das ist schon alles. Vielleicht magst du ihn ja sogar. Für einen Mann, der nie etwas sagt, hat er einen tollen Sinn für Humor.«

Clary stützte den Kopf in die Hände. »Geh raus. Raus mit dir, damit ich mich anziehen kann.«

Als er die Tür hinter sich zuzog, schwang sie die Beine aus dem Bett. Trotz der frühen Stunde drang bereits heißfeuchte Luft in das Zimmer. Sie schloss das Fenster und ging ins Bad, um sich das Gesicht zu waschen und den Geschmack von altem Papier aus dem Mund zu spülen.

Fünf Minuten später schlüpfte sie in eine abgeschnittene Jeans und ein schlichtes schwarzes T-Shirt und stieg in ihre grünen Turnschuhe. Wenn nur ihre dünnen, sommersprossigen Beine mehr wie die langen, schlanken von Isabelle ausgesehen hätten … Aber es war nicht zu ändern. Sie band ihr Haar zu einem Pferdeschwanz und trat zu Jace auf den Flur.

Church war bei ihm, murrte und streifte unruhig um seine Beine.

»Was ist mit dem Kater los?«, fragte Clary.

»Die Stillen Brüder machen ihn nervös.«

»Anscheinend machen sie jeden nervös.«

Jace lächelte matt. Church miaute, als sie den Korridor entlanggingen, folgte ihnen aber nicht. Wenigstens speicherten die dicken Mauern der Kathedrale die Nachtkühle, dachte Clary. Die langen Flure waren dunkel und kalt.

Als sie zur Bibliothek kamen, sah Clary zu ihrer Überraschung, dass dort keine einzige Lampe brannte. Nur der milchige Schein, der durch die hohen Fenster der gewölbten Decke fiel, erleuchtete den Raum. Hodge trug einen Anzug und saß hinter dem riesigen Schreibtisch; sein grau meliertes Haar schimmerte silbern im Licht der Morgendämmerung. Einen Moment lang dachte sie, er sei allein im Raum und Jace habe ihr einen Streich gespielt. Doch dann sah sie eine Gestalt aus dem Halbdunkel hervortreten und sie erkannte, dass das, was sie für einen dunkleren Schatten gehalten hatte, ein Mann war. Ein großer Mann in einer schweren Robe, die vom Kopf bis zu den Füßen reichte und ihn vollkommen umhüllte. Die Kapuze der Robe verdeckte sein Gesicht. Die Robe selbst hatte die Farbe von Pergament und die verschlungenen Runenmuster am Saum und an den Ärmeln sahen aus, als seien sie mit Blut aufgetragen worden. Clary spürte, wie sich ihre Nackenhaare aufstellten und fast schmerzhaft prickelten.

»Das ist Bruder Jeremiah aus der Stadt der Stille«, sagte Hodge.

Als der Mann auf sie zukam, wehte sein Umhang und Clary erkannte, was an ihm so seltsam war: Er erzeugte nicht das geringste Geräusch. Wenn er ging, war kein Schritt zu hören. Selbst seine Robe, die eigentlich hätte rascheln müssen, blieb still. Sie fragte sich schon, ob er ein Geist sei, wurde aber eines Besseren belehrt, als er vor ihr zum Stehen kam. Er verströmte einen merkwürdig süßlichen Duft, nach Weihrauch und Blut, der Geruch eines lebendigen Lebewesens.

»Und dies, Jeremiah«, sagte Hodge und erhob sich von seinem Schreibtisch, »ist das Mädchen, von dem ich dir geschrieben habe. Clarissa Fray.«

Das Gesicht unter der Kapuze wandte sich langsam in ihre Richtung. Clary fröstelte es bis in die Fingerspitzen. »Hallo«, sagte sie.

Keine Antwort.

»Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass du recht hattest, Jace«, sagte Hodge.

»Ja, schließlich habe ich meistens recht«, erwiderte Jace.

Hodge ignorierte diese Bemerkung. »Ich habe letzte Nacht einen Brief an den Rat geschickt, aber Clarys Erinnerungen gehören ihr. Nur sie kann entscheiden, wie sie mit dem Inhalt ihres Kopfes verfahren will. Wenn sie die Hilfe der Stillen Brüder in Anspruch nehmen möchte, dann sollte sie diese Möglichkeit auch bekommen.«

Clary schwieg. Dorothea hatte gesagt, in ihrem Kopf sei eine Blockade, hinter der sich etwas verberge. Natürlich wollte sie wissen, worum es sich dabei handelte. Aber die schemenhafte Gestalt des Stillen Bruders war so … so still. Er verströmte eine Stille, schwarz und dick wie Tinte, eine dunkle Flut. Es ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren.

Bruder Jeremiah schaute noch immer in ihre Richtung, doch unter seiner Kapuze konnte sie nichts als Dunkelheit erkennen. Das ist Jocelyns Tochter?

Clary schnappte kurz nach Luft und wich zurück. Die Worte hatten in ihrem Kopf vibriert, als habe sie selbst sie gedacht – aber das hatte sie nicht.

»Ja«, antwortete Hodge und fügte schnell hinzu: »Aber ihr Vater war ein Irdischer.«

Das spielt keine Rolle, sagte Jeremiah. Das Blut des Rates ist dominant.

»Warum haben Sie meine Mutter Jocelyn genannt?«, fragte Clary und suchte vergeblich nach einem Hinweis auf ein Gesicht unter der Kapuze. »Haben Sie sie gekannt?«

»Die Brüder besitzen Aufzeichnungen über alle Mitglieder des Rats«, erklärte Hodge. »Umfangreiche Aufzeichnungen …«

»So umfangreich können sie nicht sein«, meinte Jace, »wenn sie nicht einmal wussten, dass sie noch lebt.«

Sehr wahrscheinlich hat ein Hexenmeister ihr geholfen unterzutauchen. Die meisten Schattenjäger können dem Rat nicht so leicht entfliehen. Jeremiahs Stimme klang vollkommen ausdruckslos; er schien Jocelyns Handeln weder gutzuheißen noch zu missbilligen.

»Eine Sache verstehe ich nicht«, sagte Clary. »Warum denkt Valentin, dass meine Mom den Kelch der Engel hat? Wenn sie, wie Sie sagen, so viel Mühe auf sich genommen hat zu verschwinden, warum sollte sie ihn dann mitnehmen?«

»Um zu verhindern, dass er Valentin in die Hände fällt«, erwiderte Hodge. »Sie hat wie kein anderer Mensch gewusst, was passieren würde, wenn Valentin den Kelch in seine Hände bekommt. Und ich vermute, sie hatte kein großes Vertrauen zum Rat und fürchtete, dass der Kelch dort nicht sicher sein würde. Schließlich hatte Valentin ihn dem Rat schon einmal entwendet.«

»Aha.« Clary konnte die Zweifel in ihrer Stimme nicht verbergen. Das Ganze erschien ihr so unglaublich. Sie versuchte, sich ihre Mutter vorzustellen, wie sie im Schutz der Dunkelheit flüchtete, einen großen goldenen Kelch in der Tasche ihres Overalls versteckt. Aber es gelang ihr nicht.

»Jocelyn stellte sich gegen ihren Mann, als sie herausfand, wozu er den Kelch verwenden wollte«, erklärte Hodge. »Es ist nicht abwegig anzunehmen, dass sie alles in ihrer Macht Stehende getan hätte, um zu verhindern, dass der Kelch in seine Hände gelangt. Auch der Rat hätte sich als Allererstes an sie gewandt, wenn er geglaubt hätte, sie sei noch am Leben.«

»Mir kommt es so vor«, sagte Clary gereizt, »dass niemand, den der Rat für tot hält, auch wirklich tot ist. Vielleicht sollte er in zahnmedizinische Aufzeichnungen investieren.«

»Mein Vater ist tot«, sagte Jace, ebenso gereizt. »Ich brauche keine zahnmedizinischen Aufzeichnungen, um das zu wissen.«

Clary drehte sich zu ihm um. »Hör zu, ich wollte nicht …«

Das reicht, unterbrach Bruder Jeremiah sie. Du hast jetzt Gelegenheit, die Wahrheit zu erfahren, wenn du geduldig genug bist zuzuhören.

Mit einer schnellen Bewegung hob er die Hände und zog die Kapuze von seinem Gesicht. Clary vergaß Jace und unterdrückte den Impuls, laut aufzuschreien. Der Kopf des Archivars war kahl, glatt und weiß wie ein Ei; dort, wo einst die Augen gesessen hatten, befanden sich nur dunkle Höhlen. Seine Lippen waren von einem Muster dunkler Linien überzogen, das an Operationsnähte erinnerte. Jetzt verstand sie, was Alec mit Verstümmelung gemeint hatte.

Die Brüder der Stadt der Stille lügen nicht, sagte Jeremiah. Wenn du die Wahrheit von mir hören willst, dann werde ich sie dir offenbaren, aber ich verlange im Gegenzug von dir das Gleiche.

Clary hob das Kinn. »Auch ich lüge nicht.«

Der Geist kann nicht lügen. Jeremiah trat auf sie zu. Ich will deine Erinnerungen.