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Der Geruch nach Blut und Tinte war erdrückend. Clary wurde von Panik erfasst. »Stopp …«

»Clary.« Es war Hodge, der in sanftem Ton zu ihr sprach. »Es ist durchaus möglich, dass es Erinnerungen gibt, die du vergessen oder unterdrückt hast, Erinnerungen, die entstanden sind, als du zu jung warst, um dich bewusst daran zu erinnern, und an die Bruder Jeremiah herankommen kann. Es würde uns sehr weiterhelfen.«

Sie schwieg und biss sich auf die Lippe. Sie hasste die Vorstellung, dass jemand in ihren Kopf eindrang und Erinnerungen berührte, die so persönlich und verborgen waren, dass nicht einmal sie selbst Zugang dazu hatte.

»Sie muss nichts tun, was sie nicht will«, sagte Jace plötzlich. »Oder?«

Clary fiel Hodge ins Wort, ehe er antworten konnte. »Schon gut. Ich mache es.«

Bruder Jeremiah nickte kurz und bewegte sich mit einer Geräuschlosigkeit auf sie zu, die ihr einen eiskalten Schauer über den Rücken jagte. »Wird es wehtun?«, flüsterte sie.

Statt einer Antwort berührte er ihr Gesicht mit seinen schmalen weißen Händen. Die mit Runen übersäte Haut seiner Finger war so dünn wie Pergament. Sie konnte die Kraft der Runen spüren, die wie statische Energie auf ihrer Haut prickelte. Bevor sie die Augen schloss, sah sie den ängstlichen Ausdruck auf Hodges Gesicht.

Farben wirbelten in der Dunkelheit hinter ihren Augenlidern. Sie spürte eine Art Druck, ein Ziehen in Kopf, Händen und Füßen. Die Hände zu Fäusten geballt, versuchte sie, diesem Gewicht und der Dunkelheit standzuhalten. Es fühlte sich an, als würde sie gegen etwas Hartes und Unnachgiebiges gedrückt und langsam zermalmt. Sie hörte sich selbst nach Luft ringen und plötzlich war ihr eiskalt. Das Bild einer vereisten Straße blitzte vor ihr auf, graue, hoch aufragende Häuser, eine Explosion von Weiß, die ihr Gesicht mit stechenden Eispartikeln überzog …

»Das reicht!« Jace’ Stimme durchschnitt die Winterkälte und der fallende Schnee verschwand in einem Regen aus weißen Funken. Clary riss die Augen auf.

Langsam sah sie die Bibliothek wieder scharf – die von Büchern gesäumten Wände, die besorgten Gesichter von Hodge und Jace. Bruder Jeremiah stand reglos da, ein geschnitzter Abgott aus Elfenbein und roter Tinte. Clary spürte einen stechenden Schmerz in ihren Händen und schaute auf die roten Furchen, die ihre Nägel in die Haut gegraben hatten.

»Jace«, sagte Hodge mahnend.

»Sieh dir ihre Hände an.« Jace deutete auf Clary, die ihre Finger eingezogen hatte, um die verletzten Handinnenflächen zu verbergen.

Hodge legte ihr seine breite Hand auf die Schulter. »Alles in Ordnung?«

Sie nickte langsam. Das erdrückende Gewicht war verschwunden, aber sie spürte den Schweiß, der ihre Haare durchnässte und ihr T- Shirt am Rücken haften ließ wie Klebeband.

In deinem Kopf ist eine Blockade, sagte Bruder Jeremiah. Es gibt keinen Zugang zu deinen Erinnerungen.

»Eine Blockade?«, fragte Jace. »Du meinst, sie verdrängt ihre Erinnerungen?«

Nein. Ich meine, sie sind durch einen Bann aus ihrem Bewusstsein ausgesperrt worden. Ich kann den Bann hier nicht brechen. Sie muss in die City of Bones, die Stadt der Gebeine, kommen und vor die Bruderschaft treten.

»Ein Bann?«, fragte Clary ungläubig. »Wer sollte mir einen Bann auferlegen?«

Niemand antwortete ihr. Jace schaute seinen Tutor an. Er war überraschend blass, dachte Clary, wenn man bedachte, dass dies alles seine Idee gewesen war. »Hodge, sie sollte nicht gehen müssen, wenn sie nicht …«

»Schon gut.« Clary atmete tief ein. Dort, wo sich ihre Nägel in die Haut gekrallt hatten, schmerzten ihre Handflächen und sie sehnte sich danach, sich irgendwo hinzulegen und im Dunkeln auszuruhen. »Ich werde gehen. Ich will die Wahrheit wissen. Ich will wissen, was in meinem Kopf ist.«

Jace nickte. »Gut. Dann komme ich mit dir.«

Als sie das Institut verließen, erschien es Clary, als würde sie eine heiße Waschküche betreten. Feuchte Luft drückte auf die Stadt und legte sich wie eine schwüle Glocke darüber.

»Ich verstehe nicht, warum wir nicht sofort mit Bruder Jeremiah mitgehen durften«, murrte Clary. Sie standen an der Ecke vor dem Institut. Die Straßen waren verlassen, bis auf einen Müllwagen, der langsam den Block entlangfuhr. »Ist es ihm peinlich, mit Schattenjägern gesehen zu werden, oder was?«

»Die Angehörigen der Bruderschaft sind Schattenjäger«, erklärte Jace. Irgendwie schaffte er es, trotz der Hitze cool auszusehen. Clary hätte ihn dafür schlagen können.

»Ich nehme an, er holt sein Auto?«, fragte sie sarkastisch. Jace grinste. »So ungefähr.«

Sie schüttelte den Kopf. »Irgendwie wäre mir wohler, wenn Hodge mitkäme.«

»Wieso? Reicht dir mein Schutz nicht?«

»Ich brauche jetzt keinen Schutz, sondern jemanden, der mir hilft zu denken.« Plötzlich erinnerte sie sich und schlug sich die Hand vor den Mund. »Oh – Simon!«

»Nein, ich bin Jace«, meinte Jace geduldig. »Simon ist der wieselartige kleine Typ mit dem schlechten Haarschnitt und dem grässlichen Modegeschmack.«

»Ach, sei still«, sagte sie, wenn auch eher automatisch als wirklich ernst gemeint. »Ich wollte ihn vor dem Schlafengehen doch noch anrufen. Fragen, ob er gut nach Hause gekommen ist.«

Jace schüttelte den Kopf und schaute zum Himmel, als könnte dieser sich jeden Moment öffnen und die Geheimnisse des Universums preisgeben. »Bei all dem, was passiert ist, machst du dir Sorgen um Wieselgesicht?«

»Nenn ihn nicht so. Er sieht nicht aus wie ein Wiesel.«

»Vielleicht hast du recht«, entgegnete Jace. »Ich hab schon attraktivere Wiesel gesehen. Er erinnert eher an eine Ratte.«

»Das tut er nicht …«

»Wahrscheinlich ist er zu Hause und liegt in einer Pfütze seines eigenen Geifers. Warte nur, bis er Isabelle langweilt und du ihn wieder aufpäppeln darfst.«

»Glaubst du, dass er Isabelle langweilen wird?«, fragte Clary.

Jace dachte einen Augenblick nach. »Ja.«

Clary fragte sich, ob Isabelle vielleicht klüger war, als Jace sie einschätzte. Vielleicht würde sie erkennen, was für ein toller Typ Simon war: wie lustig, wie schlau, wie cool. Vielleicht würden sie zusammen ausgehen. Die Vorstellung erfüllte Clary mit unbeschreiblichem Entsetzen.

Sie hing ihren Gedanken nach und brauchte einen Moment, bis sie bemerkte, dass Jace etwas zu ihr gesagt hatte. Als sie ihn blinzelnd anschaute, sah sie, dass er ironisch grinste. »Was ist?«, fragte sie genervt.

»Ich wünschte, du würdest deine verzweifelten Versuche einstellen, meine Aufmerksamkeit zu erregen«, sagte er. »Es wird langsam peinlich.«

»Sarkasmus ist der letzte Ausweg der Fantasielosen«, konterte sie.

»Ich kann nichts dafür. Ich nutze meine Schlagfertigkeit, um meinen inneren Schmerz zu verbergen.«

»Dein Schmerz wird sich schneller zeigen, als dir lieb ist, wenn du nicht auf den Verkehr achtest. Willst du, dass dich ein Taxi überfährt?«

»Mach dich nicht lächerlich«, sagte er. »In dieser Gegend würden wir nie so einfach ein Taxi bekommen.«

Wie auf Kommando fuhr ein schmaler schwarzer Wagen mit getönten Scheiben an den Randstein und hielt mit laufendem Motor vor Jace. Er war lang und schnittig, besaß nach außen gewölbte Scheiben und eine Straßenlage wie eine Limousine.

Jace schaute sie von der Seite an; sein Blick war amüsiert, hatte aber auch etwas Drängendes. Sie betrachtete den Wagen erneut, entspannte ihre Augen und ließ die Kraft des Wahrhaftigen den Schleier des Zauberglanzes durchdringen.

Im nächsten Moment erinnerte der Wagen an Aschenputtels Kutsche, die jedoch nicht pink, golden und blau wie ein Osterei leuchtete, sondern schwarz wie Samt schimmerte und dunkel getönte Scheiben besaß. Auch die Räder und das Verdeck waren schwarz. Auf dem Kutschbock aus schwarzem Metall saß Bruder Jeremiah und hielt die Zügel in seinen behandschuhten Händen. Sein Gesicht war unter der Kapuze seiner pergamentfarbenen Robe verborgen. Am anderen Ende der Zügel standen zwei pechschwarze Pferde, die schnaubten und mit den Hufen scharrten.