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»Du musst verstehen …«

»Das sagen Sie andauernd«, erwiderte Clary verärgert. »Ich weiß nicht, warum ich irgendwas verstehen muss. Sagen Sie mir doch einfach die Wahrheit und entweder verstehe ich sie oder nicht.«

Hodges Mundwinkel zuckten. »Wie du meinst.« Er hielt inne, um Hugo zu streicheln, der wichtigtuerisch am Rand des Schreibtischs herumstolzierte. »Das Abkommen hatte nie die Unterstützung des gesamten Rats. Besonders die ehrwürdigeren Familien sehnten sich nach den alten Zeiten, als die Schattenwesen noch getötet werden durften. Nicht nur aus Hass, sondern weil sie sich dadurch sicherer fühlten. Es ist einfacher, eine Bedrohung als Masse zu behandeln, als Gruppe und nicht als Individuen, die einzeln beurteilt werden müssen … und die meisten von uns kannten jemanden, der von einem Schattenwesen verletzt oder getötet worden war. Es gibt nichts, was mit dem moralischen Absolutismus der Jugend vergleichbar wäre. Als Kind ist es einfach, an Gut und Böse, Hell und Dunkel zu glauben. Valentin hat das nie aufgegeben, weder seinen destruktiven Idealismus noch seinen leidenschaftlichen Hass auf alles, das für ihn ›nicht menschlich‹ ist.«

»Aber meine Mutter hat er geliebt«, sagte Clary.

»Ja. Er hat deine Mutter geliebt. Und er liebte Idris …«

»Was war denn so toll an Idris?«, fragte Clary und hörte selbst den mürrischen Ton in ihrer Stimme.

»Es war«, setzte Hodge an, korrigierte sich dann aber, »es ist die Heimat der Nephilim – der Ort, an dem sie wirklich sie selbst sein können, sich nicht verstecken und nichts mit dem Schleier des Zauberglanzes kaschieren müssen. Ein vom Erzengel gesegneter Ort. Erst wenn du Alicante mit seinen Gläsernen Türmen gesehen hast, weißt du überhaupt, was eine Stadt ist. Diese Metropole ist schöner, als du dir vorstellen kannst.« In seiner Stimme klang ein tiefer Schmerz mit.

Clary erinnerte sich plötzlich an ihren Traum. »Haben in der Gläsernen Stadt jemals … Tanzveranstaltungen stattgefunden?«

Hodge blinzelte sie an, als erwache er gerade aus einem Traum. »Jede Woche. Ich habe nie daran teilgenommen, aber deine Mutter ging regelmäßig auf die Bälle. Genau wie Valentin.« Er lachte leise in sich hinein. »Ich war eher ein Gelehrter, verbrachte meine Tage in der Bibliothek von Alicante. Die Bücher, die du hier siehst, sind nur ein Bruchteil der Schätze, die dort stehen. Ich hatte gehofft, mich eines Tages vielleicht der Bruderschaft anschließen zu können, aber nach dem, was ich getan hatte, kam das natürlich nicht mehr infrage.«

»Das tut mir leid«, sagte Clary unbeholfen. Ihre Gedanken wurden noch immer von der Erinnerung an ihren Traum beherrscht. Gab es auf den Bällen einen Brunnen mit einer Meerjungfrau? Trug Valentin Weiß, sodass meine Mutter die Male auf seiner Haut durch den Stoffsehen konnte?

»Kann ich das behalten?«, fragte sie und zeigte auf das Foto.

Hodge zögerte einen Moment. »Mir wäre es lieber, wenn du es Jace nicht zeigen würdest«, sagte er schließlich. »Es gibt schon genug Dinge, mit denen er fertig werden muss – da sollte nicht auch noch ein Foto von seinem toten Vater auftauchen.«

»Natürlich.« Sie drückte das Foto an ihre Brust. »Danke.«

»Nicht der Rede wert.« Er schaute sie fragend an. »Bist du in die Bibliothek gekommen, um mit mir zu sprechen, oder hattest du einen anderen Grund?«

»Ich wollte wissen, ob Sie etwas vom Rat gehört haben. Über den Kelch. Und … meine Mom.«

»Ich habe heute Morgen eine kurze Antwort erhalten.«

»Und, hat der Rat Leute geschickt? Schattenjäger?«, fragte sie und konnte die Ungeduld in ihrer Stimme hören.

Hodge wandte den Blick von ihr ab. »Ja, das haben sie.«

»Warum wohnen sie dann nicht hier?«

»Man ist besorgt, dass das Institut von Valentin beobachtet wird. Je weniger er weiß, desto besser.« Hodge sah ihren verzweifelten Gesichtsausdruck und seufzte. »Es tut mir leid, dass ich dir nicht mehr sagen kann, Clarissa. Der Rat vertraut mir nicht besonders, selbst jetzt noch nicht. Man hat mir nur sehr wenig mitgeteilt. Ich wünschte, ich könnte dir helfen.«

Die Trauer in seiner Stimme hinderte sie daran, ihn weiter zu drängen. »Sie können mir helfen … Ich kann nämlich nicht schlafen«, sagte sie. »Ich grüble zu viel. Könnten Sie …«

»Ah, ein unruhiger Geist.« Seine Stimme war voller Mitgefühl. »Dagegen kann ich dir etwas geben. Warte hier.«

Der Trank, den Hodge ihr gab, roch angenehm nach Wacholder und Laub. Clary öffnete die Phiole auf dem Weg in ihr Zimmer und schnupperte daran. Unglücklicherweise war das Fläschchen noch offen, als Clary ihr Zimmer betrat, wo Jace ausgestreckt auf ihrem Bett lag und seelenruhig in ihrem Skizzenblock blätterte. Erschrocken schrie Clary auf und ließ die Phiole fallen; sie rollte über den Boden und die blassgrüne Flüssigkeit ergoss sich auf die Holzdielen.

»Oje«, sagte Jace, setzte sich auf und legte den Skizzenblock beiseite. »Ich hoffe, das war nichts Wichtiges.«

»Es war ein Schlaftrunk«, sagte sie wütend und berührte die Phiole mit der Spitze ihres Turnschuhs. »Und jetzt ist er hinüber.«

»Wenn bloß Simon hier wäre. Er könnte dich vermutlich in den Schlaf langweilen.«

Clary war nicht in der Stimmung, Simon zu verteidigen. Stattdessen setzte sie sich neben Jace aufs Bett und nahm ihm den Skizzenblock ab. »Normalerweise erlaube ich keinem, einen Blick darauf zu werfen.«

»Warum nicht?« Jace sah zerzaust aus, als hätte er eben noch geschlafen. »Du bist eine ziemlich gute Malerin. Stellenweise sogar hervorragend.«

»Meine Skizzen sind … wie ein Tagebuch. Nur dass ich nicht in Worten denke. Ich denke in Bildern, also male ich. Aber trotzdem ist es sehr privat.« Sie fragte sich, ob sie so verrückt klang, wie sie befürchtete.

Jace sah gekränkt aus. »Ein Tagebuch ohne Bilder von mir? Wo sind die heißen Fantasien? Die Titelbilder von Liebesromanen? Die …«

»Verlieben sich eigentlich alle Mädchen, denen du begegnest, in dich?«, fragte Clary leise.

Die Frage ließ seine Selbstsicherheit verpuffen, als hätte man mit einer Nadel in einen Luftballon gestochen. »Ich würde es nicht als Liebe bezeichnen«, sagte er nach einer Weile. »Zumindest …«

»Du könntest versuchen, nicht die ganze Zeit den Charmeur zu spielen«, sagte Clary. »Vielleicht wäre das für alle eine Erleichterung.«

Er schaute auf seine Hände. Sie sahen bereits aus wie die Hände von Hodge, übersät mit winzigen weißen Narben, auch wenn die Haut jung und faltenlos war. »Wenn du wirklich müde bist, könnte ich dafür sorgen, dass du einschläfst. Ich könnte dir eine Gutenachtgeschichte erzählen«, sagte er.

Sie sah ihn an. »Meinst du das ernst?«

»Ich meine alles ernst.«

Sie fragte sich, ob die Müdigkeit sie beide ein bisschen verrückt gemacht hatte. Aber Jace sah nicht müde aus, eher traurig. Sie schob den Skizzenblock auf den Nachttisch, streckte sich aus und rollte sich auf die Seite. »Okay.«

»Mach die Augen zu.«

Als sie die Augen schloss, sah sie immer noch kleine Lichtpunkte an den Innenseiten ihrer Lider, die an winzige Sternenexplosionen erinnerten.

»Es war einmal ein Junge«, begann Jace.

»Ein Schattenjäger-Junge?«, unterbrach Clary ihn sofort.

»Natürlich.« Einen Moment klang seine Stimme leicht amüsiert, doch als er weitersprach, war der Unterton verschwunden. »Als der Junge sechs Jahre alt war, schenkte sein Vater ihm einen Falken, den er abrichten sollte. ›Falken sind Raubvogels sagte der Vater, ›die Schattenjäger der Lüfte.‹

Der Falke mochte den Jungen nicht und der Junge mochte den Falken nicht. Sein spitzer Schnabel machte ihn nervös und die scharfen Augen schienen ihn ständig zu beobachten. Wenn er in seine Nähe kam, hackte der Falke mit dem Schnabel nach ihm und kratzte ihn mit den Krallen. Wochenlang bluteten die Handgelenke und Hände des Jungen. Er wusste nicht, dass der Vater einen Falken ausgesucht hatte, der über ein Jahr in freier Wildbahn gelebt hatte und daher fast unmöglich zu zähmen war. Aber der Junge versuchte es, weil der Vater ihm gesagt hatte, er solle den Falken abrichten, und er wollte seinen Vater nicht enttäuschen.