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Clary schaute mürrisch. »Es ist zu kurz.«

»Es ist nicht zu kurz. Es ist prima«, meinte Isabelle und fummelte mit den Füßen unter dem Bett herum. Sie holte ein Paar Stiefel und schwarze Netzstrümpfe hervor. »Hier, das kannst du dazu anziehen. Damit siehst du größer aus.«

»Genau, denn ich bin flachbrüstig und ein Zwerg.« Clary zog den Saum ihres Kleides herunter, das gerade die obere Hälfte ihrer Oberschenkel bedeckte. Sie trug fast nie Röcke, und schon gar keine kurzen, und empfand es daher als äußerst beunruhigend, dass man so viel von ihren Beinen sah. »Wenn es schon an mir so kurz ist, wie kurz muss es dann erst an dir sein?«, überlegte sie laut. Isabelle grinste. »Ich trage es als Oberteil.«

Clary ließ sich auf das Bett fallen und zog die Strümpfe und die Schnürstiefel an, die ein wenig weit um die Waden waren, ansonsten aber passten. Sie band die Stiefel zu, stand auf und betrachtete sich im Spiegel. Sie musste zugeben, dass die Kombination aus schwarzem Kleid, Netzstrümpfen und hohen Stiefeln ziemlich scharf aussah. Das Einzige, was den Anblick verdarb, waren …

»Deine Haare«, sagte Isabelle. »Sie müssen unbedingt hochgesteckt werden. Setz dich.« Sie zeigte gebieterisch in Richtung Frisiertisch. Clary setzte sich davor und kniff die Augen zusammen, als Isabelle – nicht besonders sanft – ihre Zöpfe öffnete, die Haare auskämmte und mit Haarklammern hochsteckte. Clary öffnete die Augen genau in dem Moment, als ihr ein Puderquast ins Gesicht gedrückt wurde und sie in eine dichte Glitterwolke einhüllte. Sie hustete und sah Isabelle vorwurfsvoll an.

Isabelle lachte. »Schau nicht mich an, sondern dich.« Als sie in den Spiegel blickte, sah Clary, dass Isabelle ihre Haare zu einer eleganten Hochsteckfrisur eingeschlagen hatte, die von funkelnden Nadeln zusammengehalten wurde. Plötzlich erinnerte sie sich an ihren Traum, an das schwere Haar, das ihren Kopf nach unten drückte, als sie mit Simon tanzte … Unruhig rutschte sie auf dem Stuhl hin und her.

»Noch nicht aufstehen. Wir sind noch nicht fertig«, sagte Isabelle und nahm einen Eyeliner. »Mach die Augen auf.«

Clary riss die Augen auf und war froh, dass sie so ihre Tränen unterdrücken konnte. »Isabelle, kann ich dich mal was fragen?«

»Klar«, antwortete Isabelle und setzte fachmännisch den Eyeliner an.

»Ist Alec schwul?«

Isabelles Handgelenk zuckte, der Eyeliner rutschte ab und hinterließ einen langen schwarzen Strich von Clarys Augenwinkel bis zum Haaransatz. »Verdammt«, murmelte Isabelle und legte den Stift weg.

»Schon gut«, begann Clary und führte eine Hand an ihr Auge.

»Nein, ist es nicht.« Isabelle klang, als sei sie den Tränen nah, während sie in dem Chaos auf ihrem Frisiertisch wühlte. Schließlich fand sie ein Wattebällchen und reichte es Clary. »Hier, nimm das.« Sie setzte sich auf die Bettkante, ließ ihre Fußkettchen klimpern und schaute Clary durch ihren Haarvorhang an. »Wie bist du dahintergekommen?«, fragte sie schließlich.

»Ich …«

»Du darfst es auf keinen Fall irgendjemandem sagen.«

»Nicht einmal Jace?«

»Vor allem nicht Jace.«

»In Ordnung.« Clary merkte, wie steif ihre Stimme sich anhörte. »Ich glaube, mir war nicht klar, dass es so eine große Sache ist.«

»Für meine Eltern wäre es eine ziemlich große Sache«, sagte Isabelle leise. »Sie würden Alec verstoßen und ihn aus dem Rat werfen …«

»Wie? Man darf als Schattenjäger nicht schwul sein?«

»Es gibt zwar keine offizielle Vorschrift, aber es wird nicht gern gesehen. Ich meine, die Leute in unserem Alter sind weniger das Problem – glaube ich«, fügte sie unsicher hinzu und Clary erinnerte sich, dass Isabelle bisher nur wenigen Jugendlichen ihres Alters begegnet war. »Aber die ältere Generation. Wenn jemand schwul ist, dann wird nicht darüber gesprochen.«

»Oh«, sagte Clary und wünschte sich, sie hätte nie davon angefangen.

»Ich liebe meinen Bruder«, fuhr Isabelle leise fort. »Ich würde alles für ihn tun. Aber daran kann ich nichts ändern.«

»Wenigstens hat er dich«, sagte Clary unbeholfen und dachte einen Moment an Jace, der Liebe als etwas betrachtete, das dem Betreffenden nur das Herz brach. »Glaubst du wirklich, dass es Jace … etwas ausmachen würde?«

»Ich weiß es nicht«, antwortete Isabelle in einem Ton, dem zu entnehmen war, dass sie lieber das Thema wechseln wollte. »Aber das habe nicht ich zu entscheiden.«

»Vermutlich nicht«, meinte Clary. Sie beugte sich zum Spiegel vor und wischte mit dem Wattebällchen, das Isabelle ihr gegeben hatte, den verschmierten Eyeliner weg. Als sie sich wieder zurücklehnte, ließ sie die Watte vor Überraschung fast fallen: Was hatte Isabelle mit ihr angestellt? Ihre Wangenknochen sahen scharf und kantig aus, ihre Augen lagen tief in den Höhlen und waren von einem geheimnisvollen leuchtenden Grün umrahmt.

»Ich sehe aus wie meine Mom«, sagte sie verblüfft.

Isabelle hob die Augenbrauen. »Was? So alt? Vielleicht noch ein wenig Glitter …«

»Nein, kein weiterer Glitter«, stammelte Clary hastig. »Nein, es ist gut so. Es gefällt mir.«

»Prima.« Isabelles Fußkettchen klimperten, als sie vom Bett aufsprang. »Lass uns gehen.«

»Ich muss noch mal in mein Zimmer, etwas holen«, sagte Clary und stand auf. »Ach, noch was: Brauche ich irgendwelche Waffen? Trägst du welche?«

»Ich habe jede Menge davon.« Isabelle lächelte und streckte abwechselnd ihre Füße in die Luft, sodass ihre Kettchen bimmelten wie Weihnachtsglocken. »Die hier zum Beispiel. Die linke Kette ist aus Gold, was für Dämonen giftig ist, und die rechte ist gesegnetes Eisen, für den Fall, dass ich irgendwelchen unfreundlichen Vampiren oder Elben begegne – Elben hassen Eisen. In beide Kettchen sind Kraftrunen eingraviert, damit ich mordsmäßig zutreten kann.«

»Dämonenjagd und Mode«, sagte Clary. »Ich hätte nie gedacht, dass das zusammenpasst.«

Isabelle lachte laut auf. »Du würdest staunen …«

Die Jungs warteten am Eingang auf sie. Sie waren vollkommen in Schwarz gekleidet, sogar Simon, der eine etwas zu große schwarze Hose und sein eigenes, auf links gedrehtes TShirt trug, um das Band-Logo zu verbergen. Er stand unbehaglich ein wenig abseits, während Jace und Alec an der Wand lehnten und gelangweilt dreinschauten. Simon blickte auf, als Isabelle näher kam, ihre goldene Peitsche ums Handgelenk geschlungen und die Fußkettchen bimmelnd wie Glöckchen. Clary hatte erwartet, dass er sie verblüfft anstarren würde, denn Isabelle sah umwerfend aus. Aber seine Augen bewegten sich an ihr vorbei zu Clary, wo sie mit einem Ausdruck der Verwunderung haften blieben.

»Was ist das denn?«, fragte er und richtete sich auf. »Was du da anhast, meine ich.«

Clary schaute an sich herunter. Sie hatte eine leichte Jacke übergeworfen, damit sie sich nicht so nackt fühlte, und den Rucksack aus ihrem Zimmer geholt. Er hing über ihrer Schulter und baumelte wie gewohnt zwischen ihren Schulterblättern. Aber Simon blickte nicht auf ihren Rucksack; er blickte auf ihre Beine, als habe er sie noch nie zuvor gesehen.

»Das ist ein Kleid, Simon«, sagte Clary trocken. »Ich weiß, ich trage nicht oft Kleider, aber übertreibst du nicht ein wenig?« »Es ist so kurz«, erwiderte er verwirrt. Selbst in Dämonenjägerkluft sah er immer noch aus wie die Sorte Jungen, die bei einer Verabredung das Mädchen zu Hause abholen, nett zu den Eltern und freundlich zu den Haustieren sind, dachte Clary.

Jace hingegen sah aus wie die Sorte Jungen, die plötzlich hereingeschneit kommt und dann das Haus nur so zum Spaß niederbrennt. »Mir gefällt das Kleid«, sagte er und stieß sich von der Wand ab. Seine Augen wanderten langsam an ihr auf und ab, wie die streichelnden Pfoten einer Katze. »Aber es fehlt noch etwas.«

»Seit wann bist du Modeexperte?« Ihre Stimme klang stockend – er stand dicht vor ihr, so nah, dass sie seine Wärme spüren und den leicht verbrannten Geruch neu aufgebrachter Male riechen konnte.