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»Was soll denn schon passieren?«, gab Clary zurück.

In dem Moment krachte es. Erstaunt schnellte Clary herum und sah, dass Luke eines der gerahmten Bilder umgestoßen hatte, die an der Wand lehnten. Sichtlich verärgert stellte er es wieder auf. Als er sich aufrichtete, bemerkte sie seinen verbissenen Gesichtsausdruck. »Ich werd dann mal gehen.«

Jocelyn biss sich auf die Lippe. »Warte.« Sie hastete ihm bis zur Wohnungstür nach, wo sie ihn einholte, als er den Türknauf schon in der Hand hatte. Clary, die vom Sofa aus spitze Ohren machte, konnte das eindringliche Flüstern ihrer Mutter nur halb verstehen. »… Bane«, wisperte sie, »ich versuche schon seit drei Wochen, ihn zu erreichen. Laut Anrufbeantworter ist er in Tansania. Was soll ich denn machen?«

»Jocelyn«, erwiderte Luke kopfschüttelnd, »du kannst doch nicht bis in alle Ewigkeit ständig zu ihm laufen.«

»Aber Clary …«

»… ist nicht Jonathan«, zischte Luke. »Du hast dich total verändert, seit das passiert ist, bist danach nie mehr dieselbe gewesen, aber Clary ist nun mal nicht Jonathan

Was hat mein Vater denn damit zu tun?, dachte Clary verblüfft.

»Ich kann sie nicht ständig im Haus behalten und nicht mehr vor die Tür lassen. Das macht sie nicht mit.«

»Natürlich nicht!« Luke klang nun wirklich aufgebracht. »Sie ist kein Haustier, sondern ein Teenager, fast schon erwachsen.«

»Aber wenn wir aus der Stadt raus wären …«

»Du musst mit ihr reden, Jocelyn.« Luke klang entschlossen. »Ich meine es ernst.« Er griff nach dem Türknauf.

In dem Moment flog die Tür auf. Jocelyn stieß vor Schreck einen kleinen Schrei aus.

»Großer Gott!«, entfuhr es Luke.

»Ich bin’s nur«, erklärte Simon unbekümmert, »obwohl ich oft zu hören bekomme, dass ich ihm verblüffend ähnlich sehe.« Er winkte Clary von der Tür aus zu. »Bist du so weit?«

Jocelyn holte tief Luft, dann fasste sie sich. »Simon, hast du etwa an der Tür gelauscht?«

Simon blinzelte überrascht. »Nein, ich bin gerade erst gekommen.« Er bemerkte Jocelyns bleiche Mine und Lukes angespannten Gesichtsausdruck. »Stimmt was nicht? Soll ich wieder gehen?«

»Keine Sorge, wir sind sowieso gerade fertig.« Luke quetschte sich an Simon vorbei und polterte geräuschvoll die Treppe hinunter. Unten hörte man die Haustür zuschlagen.

Simon drückte sich unsicher im Eingang herum. »Ich kann auch später noch mal wiederkommen. Wirklich. Das macht mir nichts aus.«

»Das wäre vielleicht …«, setzte Jocelyn an, aber Clary war schon aufgesprungen.

»Vergiss es, Simon, wir gehen«, sagte sie schnell, riss ihre Kuriertasche vom Garderobehaken im Flur und warf sie sich über die Schulter. Ihrer Mutter schenkte sie einen feindseligen Blick. »Bis später, Mom.«

Jocelyn biss sich auf die Unterlippe. »Clary, lass uns noch mal darüber reden.«

»Dafür haben wir im Urlaub ja mehr als genug Zeit«, konterte Clary giftig und sah mit Genugtuung, wie ihre Mutter zusammenzuckte. »Warte nicht auf mich«, fügte sie noch hinzu, dann packte sie Simon am Arm und zerrte ihn förmlich in Richtung Tür.

Er sträubte sich und warf Clarys Mutter, die allein und verloren in der Diele stand und die Hände verkrampft zusammenpresste, über die Schulter einen halb entschuldigenden Blick zu. »Ciao, Mrs Fray«, rief er. »Schönen Abend noch!«

»Ach, halt die Klappe, Simon …«, fauchte Clary und schlug die Tür hinter sich zu, sodass die Antwort ihrer Mutter ungehört verhallte.

»Mann, du reißt mir ja den Arm ab«, protestierte Simon, als Clary ihn hinter sich die Treppe hinunterzog. Ihre grünen Skechers dröhnten mit jedem wütenden Schritt auf den Holzstufen. Sie schaute zurück nach oben und rechnete fast damit, das Gesicht ihrer Mutter am Geländer zu sehen, doch die Wohnungstür blieb verschlossen.

»Tut mir leid«, murmelte Clary und ließ Simons Handgelenk los. Sie blieb kurz am Fuß der Treppe stehen, um ihre Tasche richtig umzuhängen.

Wie die meisten Sandsteinbauten in Park Slope hatte Clarys Haus früher einer reichen Familie gehört. Ein Abglanz seiner einstigen Pracht ließ sich noch an dem geschwungenen Treppenlauf und dem angeschlagenen Marmorboden der Eingangshalle erkennen, deren Oberlicht von einer einzigen Glasscheibe bedeckt wurde. Vor langer Zeit hatte man das Gebäude in mehrere Wohnungen unterteilt. Clary und ihre Mutter bewohnten das dreigeschossige Haus gemeinsam mit einer älteren Dame, die in ihrer Wohnung im Erdgeschoss als Hellseherin arbeitete. Sie verließ ihre Räumlichkeiten fast nie, obwohl sie nur selten Kundschaft empfing. Das goldene Schild an ihrer Tür wies sie als »MADAME DOROTHEA, SEHERIN UND WAHRSAGERIN« aus.

Der süße, schwere Duft nach Räucherstäbchen quoll aus der halb geöffneten Tür in die Eingangshalle. Clary hörte leises Gemurmel.

»Schön, dass ihr Geschäft floriert«, meinte Simon, »in unseren Zeiten findet sich für Seher viel zu selten regelmäßige Arbeit.« »Kannst du dir deine sarkastischen Sprüche mal sparen?«, fauchte Clary ihn an.

Simon schaute verdutzt, ehrlich betroffen. »Ich dachte, du magst es, wenn ich geistreich und ironisch bin.«

Clary wollte gerade etwas darauf erwidern, als sich Madame Dorotheas Tür ganz öffnete und ein Mann heraustrat. Er war hochgewachsen, hatte goldbraune Haut, katzengleiche goldgrüne Augen und wirres schwarzes Haar. Der Mann schenkte ihr ein blendendes Lächeln, das seine scharfen weißen Zähne zum Vorschein kommen ließ.

Ein Schwindelgefühl überkam sie, ganz so, als ob sie jeden Moment ohnmächtig werden könnte.

Simon starrte sie besorgt an. »Alles in Ordnung? Du siehst aus, als würdest du gleich umfallen.«

Clary blinzelte und setzte eine erstaunte Miene auf. »Äh, was? Nein, nein, mir geht’s gut.«

Doch anscheinend nahm Simon ihr das nicht ab. »Du siehst aus, als hättest du gerade einen Geist gesehen.«

Sie schüttelte den Kopf. Vor ihrem inneren Auge tauchte eine vage Erinnerung auf, die Erinnerung an etwas, das sie gesehen hatte. Aber als sie sich darauf konzentrierte, löste sie sich in Luft auf. »Nein, es ist nichts. Ich dachte, ich hätte Dorotheas Katze gesehen, aber es war wohl bloß eine Lichtspiegelung.« Simon musterte sie ernst. »Außerdem habe ich seit gestern nichts gegessen«, rechtfertigte sie sich. »Wahrscheinlich bin ich deswegen ein bisschen daneben.«

Beschützend legte er ihr den Arm um die Schultern.

»Komm, ich lad dich zum Essen ein.«

»Ich versteh einfach nicht, wie man so sein kann«, sagte Clary zum vierten Mal und versuchte, mit einem Nacho etwas Guacamole von ihrem Teller zu schaufeln. Sie saßen beim Mexikaner um die Ecke, einem winzigen Laden namens »Nacho Mama«. »Es ist schon schlimm genug, dass sie mir alle zwei Wochen Hausarrest verpasst. Aber jetzt werd ich auch noch für den Rest des Sommers ins Exil geschickt.« »Du kennst doch deine Mutter. Ab und zu ist sie nun mal so – etwa jede zweite Minute«, grinste Simon sie über seinen vegetarischen Burrito hin an.

»Du hast gut lachen«, erwiderte sie beleidigt. »Du wirst ja auch nicht Gott weiß wie lange in die hinterletzte Pampa verschleppt …«

»Clary.« Simon unterbrach ihre Tirade. »Erstens hab ich dir nichts getan und zweitens ist es nicht für immer.«

»Und woher willst du das wissen?«

»Weil ich deine Mutter kenne«, erwiderte Simon nach kurzem Zögern. »Ich meine, du und ich, wir sind jetzt schon seit … hm … seit zehn Jahren befreundet. Ich weiß eben, dass sie manchmal so ist. Sie wird sich schon wieder beruhigen.« Clary spießte eine Chilischote auf und knabberte geistesabwesend an der Spitze. »Ja, aber kennst du sie tatsächlich?

Manchmal frage ich mich nämlich, ob überhaupt jemand sie wirklich kennt.«

Simon machte ein ratloses Gesicht. »Was willst du damit sagen?«