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Mit einem leisen Fluch löste Jace sich ein wenig von ihr, hielt sie jedoch noch immer fest im Arm. »Krieg jetzt keine Panik, aber wir haben Besuch.«

Clary drehte den Kopf. Nur wenige Meter entfernt hockte Hugo auf einem Ast und beobachtete sie mit schimmernden schwarzen Knopfaugen. Dann war das, was sie für wahnsinnige Leidenschaft gehalten hatte, also tatsächlich das Geräusch von Flügelschlägen gewesen – irgendwie enttäuschend, dachte sie.

»Wenn Hugo hier ist, ist Hodge nicht mehr weit«, sagte Jace leise. »Wir sollten gehen.«

»Spioniert er dir etwa hinterher?«, flüsterte Clary empört. »Hodge, meine ich.«

»Nein. Er kommt nur gern zum Nachdenken hier hoch. Zu schade, wo wir doch gerade eine solch prickelnde Unterhaltung geführt haben.« Er lachte leise.

Vorsichtig stiegen sie dieselben Stufen wieder hinunter, die sie kurz zuvor hinaufgeklettert waren – doch für Clary fühlte es sich vollkommen anders an. Jace hielt ihre Hand in seiner und schickte überall, wo seine Haut sie berührte, winzige elektrische Stöße durch ihre Finger, ihre Handfläche, ihr Handgelenk, ihre Adern. Tausend Fragen schossen ihr durch den Kopf, aber sie fürchtete sich davor, diese besondere Stimmung zu zerstören, indem sie sie aussprach. Er hatte »zu schade« gesagt, daher nahm sie an, dass der gemeinsame Abend vorbei war – zumindest der Teil, in dem geküsst wurde.

Vor ihrer Zimmertür blieben sie stehen. Clary lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand und schaute zu Jace hoch. »Danke für das Geburtstagspicknick«, sagte sie und versuchte, ihre Stimme möglichst neutral klingen zu lassen.

Er schien ihre Hand nicht loslassen zu wollen. »Willst du jetzt schlafen gehen?«

Er ist nur höflich, ermahnte sie sich. Andererseits: Vor ihr stand Jace und der war niemals höflich. Sie beschloss, seine Frage mit einer Gegenfrage zu beantworten: »Bist du denn nicht müde?«

Seine Stimme klang tief und dunkel. »Ich habe mich nie wacher gefühlt.«

Er beugte sich zu ihr hinab. Mit der freien Hand umfasste er behutsam ihr Gesicht und küsste sie. Ihre Lippen berührten einander, erst vorsichtig und leicht, dann drängender und fordernder. Genau in diesem Moment riss Simon die Zimmertür auf und trat auf den Flur hinaus.

Seine Haare waren verwuschelt und er blinzelte, da er seine Brille nicht trug. Doch er sah auch so genug. »Was zum Teufel …?«, rief er so laut, dass Clary sich mit einem Ruck von Jace löste, als habe seine Berührung ihre Haut verbrannt.

»Simon! Was machst du … ich meine … ich dachte, du würdest …«

»Schlafen? Ja, das hab ich auch«, erwiderte er. Seine Wangenknochen schimmerten dunkelrot durch seine leicht gebräunte Haut hindurch – wie jedes Mal, wenn er verlegen oder wütend war. »Aber dann bin ich aufgewacht und du warst nicht da. Daher dachte ich …«

Clary überlegte fieberhaft, was sie sagen sollte. Warum hatte sie nicht daran gedacht, dass so etwas passieren konnte? Warum hatte sie nicht vorgeschlagen, in Jace’ Zimmer zu gehen? Die Antwort war so einfach wie erschreckend: Sie hatte Simon vollkommen vergessen.

»Tut mir leid«, murmelte sie schließlich, wobei sie nicht genau wusste, wen sie eigentlich damit meinte. Aus den Augenwinkeln glaubte sie zu sehen, wie Jace ihr einen zornigen Blick zuwarf; doch als sie ihn anschaute, wirkte er wie immer – lässig, selbstsicher, leicht gelangweilt.

»Um solch ermüdende Situationen zu vermeiden, Clarissa, solltest du in Zukunft vielleicht erwähnen, dass du bereits einen Mann in deinem Bett hast«, sagte er.

»Du hast ihn in dein Bett gebeten?«, rief Simon entsetzt.

»Lächerlich, nicht wahr?«, meinte Jace. »Wir hätten nie und nimmer alle drei hineingepasst.«

»Ich habe ihn nicht in mein Bett gebeten«, fauchte Clary. »Wir haben uns nur geküsst.«

»Nur geküsst?«, spottete Jace mit gespieltem Schmerz in der Stimme. »Oh, wie schnell verleugnest du doch unsere Liebe.«

»Jace …«

Sie sah das maliziöse Leuchten in seinen Augen und verstummte. Es hatte keinen Zweck. Plötzlich wurde ihr das Herz schwer. »Simon, es ist spät«, sagte sie müde. »Tut mir leid, dass wir dich geweckt haben.«

»Und mir erst.« Er marschierte in ihr Zimmer und warf die Tür hinter sich zu.

Jace’ Lächeln war ironisch und unverbindlich. »Na los, geh ihm nach. Tätschle ihm das Köpfchen und sag ihm, dass er noch immer dein allerbester kleiner Freund ist. Oder hattest du das nicht vor?«

»Hör auf damit«, sagte sie. »Hör auf damit, dich so zu benehmen.«

Sein Lächeln wurde noch breiter. »Wie zu benehmen?«

»Wenn du sauer auf mich bist, dann sag es einfach. Tu nicht so, als könnte dich nichts berühren. Es scheint fast, als würdest du nie irgendwas empfinden.«

»Vielleicht hättest du darüber nachdenken sollen, bevor du mich geküsst hast«, erwiderte er.

Ungläubig starrte sie ihn an. »Ich habe dich geküsst?«

Das Funkeln in seinen Augen wurde noch stärker. »Keine Sorge«, meinte er, »für mich war es auch kein besonders denkwürdiger Moment.«

Clary sah ihm nach, wie er den Flur entlangging, und verspürte gleichermaßen den unwiderstehlichen Drang, in Tränen auszubrechen und hinter ihm herzulaufen und ihm einen Tritt vors Schienbein zu verpassen. Doch da sie wusste, dass sowohl die eine wie auch die andere Reaktion ihn mit Genugtuung erfüllen würde, hielt sie sich zurück und ging stattdessen niedergeschlagen in ihr Zimmer.

Simon stand in der Mitte des Raums und wirkte vollkommen verloren. Er hatte seine Brille aufgesetzt. Clary hörte Jace’ gehässige Stimme in ihrem Kopf: Tätschle ihm das Köpfchen und sag ihm, dass er noch immer dein allerbester kleiner Freund ist.

Sie ging auf ihn zu, doch als sie sah, was er in der Hand hielt, blieb sie abrupt stehen. Ihren Skizzenblock – aufgeschlagen auf der Seite mit der Zeichnung, an der sie zuletzt gearbeitet hatte, die Skizze von Jace mit den Engelsschwingen. »Gut getroffen«, höhnte er. »Dann haben sich die ganzen Zeichenstunden ja doch noch gelohnt.«

Normalerweise hatte Clary ihm eine Standpauke gehalten, weil er in ihren Skizzenblock geschaut hatte, doch jetzt war nicht der richtige Moment dafür. »Simon, hör zu …«

»Ich gebe zu, dass es kein besonders eleganter Abgang war, in dein Zimmer zurückzukehren und beleidigt die Tür zuzuknallen«, unterbrach er sie steif und warf den Skizzenblock auf ihr Bett. »Aber ich musste ja schließlich meine Sachen holen …«

»Wo willst du denn jetzt hin?«, fragte sie.

»Nach Hause. Ich denke, ich bin schon viel zu lange hier gewesen. Irdische wie ich gehören nicht an einen Ort wie diesen.«

Sie seufzte. »Hör zu, es tut mir leid, okay? Ich hatte nicht vor, ihn zu küssen; es ist einfach passiert. Ich weiß, dass du ihn nicht magst.«

»Nein«, erwiderte Simon noch förmlicher. »Ich mag keine abgestandene Cola. Ich mag keine dämliche BoygroupPopmusik. Ich mag es nicht, im Stau festzustecken. Ich mag keine Mathehausaufgaben. Aber ich hasse Jace. Erkennst du den Unterschied?«

»Er hat dir das Leben gerettet«, bemerkte Clary, wobei sie sich wie eine Lügnerin vorkam – schließlich war Jace nur ins Hotel Dumort mitgekommen, weil er fürchtete, Ärger zu bekommen, falls ihr irgendetwas zustieß.

»Das sind nur Details«, erwiderte Simon abschätzig. »Er ist ein Arschloch. Ich hätte nicht gedacht, dass du so tief sinken kannst.«

Clary spürte heiße Wut auflodern. »Ach, und jetzt glaubst ausgerechnet du, aufs hohe Ross steigen zu müssen?«, fauchte sie. »Du bist doch derjenige, der die ›Braut mit dem geilsten Body‹ zur Herbstfete einladen wollte.« Sie imitierte Erics träge, schleppende Stimme. Simon presste die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. »Also was kümmert es dich, wenn Jace sich manchmal wie ein Blödmann benimmt? Du bist weder mein Bruder noch mein Vater – du musst ihn nicht mögen. Ich habe noch keine einzige deiner Freundinnen leiden können, aber ich hatte immer den Anstand, das für mich zu behalten.«