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Jace lag neben der Treppe, dort wo der Dämon ihn zu Boden geschleudert hatte. Mühsam setzte er sich auf, während Clary die Stufen hinuntereilte und neben ihm niederkniete. »Jace …«

»Mir geht es gut.« Er wischte sich Blut aus dem Mundwinkel, musste husten und spuckte roten Schleim aus. »Alec …«

»Deine Stele«, unterbrach sie ihn und griff in ihre Tasche. »Brauchst du sie, um dich selbst zu heilen?«

Er schaute sie an. Durch das zerbrochene Oberlicht fiel Sonnenlicht auf sein Gesicht und es hatte den Anschein, als versuchte er mit aller Kraft, irgendetwas zu unterdrücken. »Mir geht es gut«, wiederholte er und schob sie fast schon grob zur Seite. Dann stand er auf, taumelte und wäre beinahe gestürzt – das erste Mal, dass Clary an ihm eine unbeholfene Bewegung sah. »Alec?«

Clary schaute ihm nach, wie er durch das Treppenhaus auf seinen bewusstlosen Freund zuhumpelte. Sie ließ den Kelch der Engel in die Tasche ihrer Kapuzenjacke gleiten, zog den Reißverschluss zu und erhob sich ebenfalls. Isabelle war zu ihrem Bruder gekrochen, wiegte seinen Kopf in ihrem Schoß und strich ihm über das Haar. Alecs Brust hob und senkte sich – langsam zwar, doch er atmete. Simon lehnte an einer Wand, beobachtete die ganze Szene und wirkte völlig erschöpft. Im Vorbeigehen drückte Clary seine Hand. »Vielen Dank«, flüsterte sie. »Das war einfach unglaublich.«

»Dank nicht mir«, sagte er, »dank lieber dem Bogenschützen-Programm im B’nai-B’rith-Ferienlager.«

»Simon, ich wollte nicht …«

»Clary!«, rief Jace. »Ich brauch die Stele.«

Simon ließ sie widerstrebend gehen. Als sie neben den Schattenjägern niederkniete, spürte sie, wie der Kelch der Engel gegen ihre Hüfte schlug. Alecs Gesicht war leichenblass und blutbespritzt, die Augen unnatürlich blau. Seine Hände hinterließen eine blutige Spur auf Jace’ Handgelenken. »Habe ich …«, setzte er an und schien dann Clary zum ersten Mal richtig wahrzunehmen. In seinem Blick lag etwas, das sie nicht erwartet hatte – Triumph. »Habe ich ihn umgebracht?«

Jace verzog gequält das Gesicht. »Du …«

»Ja«, antwortete Clary. »Er ist tot.«

Alec schaute sie an und lachte. Blutiger Schaum bildete sich in seinem Mundwinkel. Jace befreite seine Handgelenke aus Alecs Griff und berührte mit den Fingern sein Gesicht. »Nicht«, sagte er. »Halt still, halt einfach still, okay?«

Alec schloss die Augen. »Tu, was du tun musst«, flüsterte er.

Isabelle hielt Jace ihre Stele hin. »Hier.«

Er nickte und führte die Spitze der Stele von oben nach unten über Alecs Hemdbrust. Der Stoff fiel auseinander, als ob er ihn mit einem Messer zerschnitten hätte. Isabelle beobachtete mit verzweifeltem Blick, wie er das Hemd gänzlich aufriss und Alecs Brust freilegte. Seine Haut war sehr blass und an einigen Stellen mit alten, schimmernden Narben bedeckt. Daneben konnte man noch andere Verletzungen erkennen: ein rasch dunkler werdendes Netz von Klauenspuren, aus denen rotes Blut sickerte. Konzentriert fuhr Jace mit der Stele über Alecs Haut, bewegte sie mit geschmeidigen, hundertfach geübten Bewegungen hin und her. Doch irgendetwas war anders als sonst: Noch während er die Heilrunen zeichnete, verschwanden sie so schnell, als hätte er sie auf eine Wasseroberfläche gekritzelt.

Jace schleuderte die Stele zur Seite. »Verdammt!«

»Was ist los?«, fragte Isabelle mit schriller Stimme.

»Er hat ihn mit seinen Klauen erwischt«, sagte Jace. »Alec hat Dämonengift in den Adern. Die Male helfen nicht.« Erneut berührte er sanft Alecs Gesicht. »Alec«, sagte er, »hörst du mich?«

Alec bewegte sich nicht; die Schatten unter seinen Augen waren so dunkel, dass sie wie Blutergüsse aussahen. Wenn er nicht geatmet hätte, hätte Clary ihn für tot gehalten. Isabelle ließ den Kopf sinken; ihre Haare bedeckten Alecs Gesicht. »Vielleicht«, flüsterte sie, »können wir …«

»Ihn ins Krankenhaus bringen.« Simon stand über ihnen, den Bogen locker in einer Hand. »Ich helfe euch, ihn in den Transporter zu tragen. Unten auf der Seventh Avenue ist das Methodist …«

»Kein Krankenhaus«, sagte Isabelle. »Wir müssen ihn ins Institut schaffen.«

»Aber …«

»Die Leute im Krankenhaus werden nicht wissen, wie sie ihn behandeln sollen«, erklärte Jace. »Er ist von einem Dämonenfürsten verwundet worden. Kein irdischer Arzt könnte diese Wunden heilen.«

Simon nickte. »Verstehe. Wir bringen ihn zum Auto.«

Sie hatten Glück – der Bus war nicht abgeschleppt worden. Isabelle drapierte eine schmutzige Decke über den Rücksitz; dann legten sie Alec so darauf, dass sein Kopf in Isabelles Schoß ruhte. Jace hockte sich auf den Boden neben seinen Freund. Sein Hemd war an den Ärmeln und auf der Brust dunkel vor Blut, das teils von dem Dämon, teils von ihm selbst stammte. Als er Simon anschaute, sah Clary, dass der goldene Schimmer aus seinen Augen verschwunden war und etwas anderem Platz gemacht hatte – Panik.

»Fahr schnell, Irdischer«, stieß er hervor. »Fahr, als ob der Teufel dir auf den Fersen wäre.«

Und Simon raste los.

Sie jagten schwankend durch Fiatbush und rasten über die Brücke, so schnell wie der Zug, der neben ihnen über das blaue Wasser donnerte.

Das helle Sonnenlicht ließ Lichtreflexe auf der Wasseroberfläche aufblitzen und schmerzte Clary in den Augen. Sie klammerte sich am Sitz fest, während Simon mit fünfundsiebzig Stundenkilometern die Kurve der Brückenabfahrt nahm. Sie musste an die schrecklichen Dinge denken, die sie zu Alec gesagt hatte, daran, wie er sich auf Abbadon gestürzt hatte, und an den triumphalen Ausdruck auf seinem Gesicht. Dann drehte sie den Kopf und schaute sich zu Jace um, der neben seinem Freund kniete, während Blut durch die Decke unter Alec sickerte. Sie dachte an den kleinen Jungen mit dem toten Falken. Lieben heißt zerstören.

Als Clary sich wieder umwandte, spürte sie einen Kloß tief in der Kehle. Im Rückspiegel, der in einem seltsamen Winkel herabhing, konnte sie Isabelle sehen, die die Decke über Alec zurechtzog. Sie schaute auf und bemerkte Clarys Blick. »Wie lange noch?«

»Vielleicht zehn Minuten. Simon fährt, so schnell er kann.« »Ich weiß«, sagte Isabelle. »Simon, was du da eben getan hast, war unglaublich. Du hast blitzschnell reagiert. Ich hätte nie gedacht, ein Irdischer könnte auf so eine Idee kommen.«

Simon schien das Lob aus dieser für ihn unerwarteten Richtung kaltzulassen; seine Augen blieben auf die Straße gerichtet. »Das Oberlicht zu zerschießen, meinst du? Der Gedanke kam mir schon, als ihr ins Haus gegangen seid. Ich musste an das Oberlicht denken und daran, dass du gesagt hattest, Dämonen könnten kein direktes Sonnenlicht ertragen. Im Grunde habe ich also eine ganze Weile gebraucht, um auf die Idee zu kommen. Und mach dir keine Vorwürfe«, fügte er hinzu, »ohne von der Existenz des Oberlichts zu wissen, hätte man es niemals entdecken können.«

Ich wusste, dass es da war, dachte Clary. Ich hätte reagieren müssen. Obwohl ich keinen Pfeil und Bogen hatte wie Simon, hätte ich etwas dagegenwerfen oder Jace davon erzählen können. Sie kam sich dumm, nutzlos und unfähig vor, als hätte sie lauter Watte im Kopf. Tatsächlich war sie verängstigt gewesen – zu verängstigt, um einen klaren Gedanken zu fassen. Eine Woge der Scham durchflutete sie und brandete heiß gegen ihre geschlossenen Augenlider.

»Das war richtig gut«, mischte Jace sich ein.

Simon kniff die Augen leicht zusammen. »Falls es dir nichts ausmacht, beantworte mir eine Frage: Wo kam das Ding, der Dämon, her?«

»Es war Madame Dorothea«, sagte Clary. »Ich meine, irgendwie war sie es.«

»Die Gute war ja nie ein Supermodel, aber ich kann mich nicht daran erinnern, dass sie je dermaßen mies ausgesehen hätte.«

»Ich glaube, sie war besessen«, erwiderte Clary langsam, im Versuch, eine Erklärung für die Ereignisse zu finden. »Sie wollte, dass ich ihr den Kelch gebe. Und dann hat sie das Portal geöffnet …«