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Ich betete ihn an. Ich glaubte wirklich, die Sonne drehte sich nur dank Valentin Morgenstern um die Erde. Natürlich war ich nicht der einzige Außenseiter, dessen er sich annahm. Da gab es andere wie Hodge Starkweather, der mit Büchern besser zurechtkam als mit Menschen, Maryse Trueblood, deren Bruder eine Irdische geheiratet hatte, oder Robert Lightwood, der sich mehr vor den Malen fürchtete als vor allem anderen – und Valentin kümmerte sich um uns alle. Damals hielt ich es für Freundschaft; heute bin ich mir dessen nicht mehr so sicher. Inzwischen glaube ich, er schuf sich in dieser Zeit seine Anhängerschaft.

Valentin war besessen von dem Gedanken, dass mit jeder Generation weniger und weniger Schattenjäger zur Welt kamen und dass wir eine vom Aussterben bedrohte Rasse seien. Er glaubte fest daran, man könne mehr Schattenjäger erschaffen, wenn der Rat nur etwas großzügiger mit dem Engelskelch umgehen würde. Für die Lehrer war diese Vorstellung ein Sakrileg: Es ist nicht jedem gegeben zu entscheiden, wer ein Schattenjäger werden kann und wer nicht. Darauf fragte Valentin dann immer spöttisch, warum man nicht einfach alle Menschen zu Schattenjägern machte. Warum schenkten wir ihnen nicht allen die Fähigkeit, die Verborgene Welt zu sehen? Warum behielten wir diese Macht selbstsüchtig für uns?

Wenn die Lehrer antworteten, dass die meisten Menschen diese Verwandlung nicht überleben würden, behauptete Valentin, die Lehrer würden lügen und versuchten, die Kräfte der Nephilim für eine kleine Elite zu bewahren. So argumentierte er damals – heute glaube ich, dass seiner Ansicht nach der Zweck wahrscheinlich jedes Mittel und sämtliche zu erwartenden Schäden heiligt. Na, jedenfalls überzeugte er unsere kleine Gruppe von der Richtigkeit seiner Ansichten und wir gründeten den Kreis, mit dem erklärten Ziel, die Rasse der Schattenjäger vor dem Aussterben zu bewahren. Natürlich waren wir als Siebzehnjährige nicht ganz sicher, wie wir das schaffen sollten, aber das hinderte uns nicht, fest daran zu glauben, dass wir eines Tages etwas Bedeutendes erreichen würden.

Dann kam die Nacht, in der Valentins Vater bei einer Routineaktion gegen ein Werwolflager getötet wurde. Als Valentin nach der Beerdigung in die Schule zurückkehrte, trug er die roten Male der Trauer. Doch das war nicht die einzige Veränderung: Ab jetzt neigte er immer häufiger zu Wutausbrüchen, die teilweise grausame Züge trugen. Ich machte seine Trauer für dieses an ihm neuartige Verhalten verantwortlich und versuchte mehr denn je, ihm jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Nicht ein einziges Mal reagierte ich auf seinen Zorn meinerseits mit Zorn – stattdessen fühlte ich mich schuldig, weil ich ihn enttäuscht hatte.

Die Einzige, die seine Wutausbrüche lindern konnte, war deine Mutter. Sie hatte nie so richtig zu unserer Gruppe gehört und uns manchmal spöttisch als Valentins Fanclub bezeichnet. Das änderte sich nach dem Tod seines Vaters: Valentins Schmerz weckte ihr Mitgefühl und sie verliebten sich ineinander.

Auch ich liebte Valentin: Er war mein bester Freund und ich freute mich, dass Jocelyn nun mit ihm zusammen war. Nachdem wir die Schule beendet hatten, heirateten die beiden und lebten danach auf dem Landsitz von Jocelyns Familie. Ich kehrte ebenfalls nach Hause zurück, aber der Kreis blieb bestehen. Was ursprünglich einmal als eine Art Schülerstreich begonnen hatte, nahm an Umfang und Macht immer mehr zu und Valentins Bedeutung wuchs in gleichem Maße. Auch seine Ideale hatten sich verändert: Der Kreis beanspruchte immer noch den Kelch der Engel für sich, aber nach dem Tod seines Vaters hatte Valentin sich außerdem zu einem offenen Befürworter eines Krieges gegen alle Schattenwesen entwickelt – und nicht nur gegen jene, die das Abkommen missachtet hatten. Diese Welt sollte ausschließlich den Menschen vorbehalten sein, argumentierte er, Halbdämonen hätten keinen Platz darin. Denn schließlich könnte man einem Dämon nie wirklich vertrauen.

Mir gefiel die Richtung nicht, in die der Kreis steuerte, aber ich blieb loyal – teils, weil ich es immer noch nicht über mich brachte, Valentin zu enttäuschen, teils, weil Jocelyn mich darum gebeten hatte. Sie hoffte, ich würde einen mäßigenden Einfluss auf den Kreis ausüben können, doch das erwies sich als Trugschluss. Niemand von uns war in der Lage, Valentin zu mäßigen, und Robert und Maryse Lightwood – inzwischen miteinander verheiratet – unterstützten ihn und gingen dabei fast ebenso rücksichtslos vor wie er. Michael Wayland hatte seine Zweifel, so wie ich, doch trotz unserer Bedenken machten wir weiter mit. Unermüdlich jagte unsere Gruppe Schattenwesen – und bekämpfte dabei selbst jene, die sich nur geringe Verstöße gegen das Abkommen hatten zuschulden kommen lassen. Valentin tötete zwar nur Kreaturen, die das Abkommen missachtet hatten, aber auch gegen alle anderen ging er grausam vor. Ich habe gesehen, wie er einem Werwolfmädchen Silbermünzen an den Augenlidern befestigte, bis sie erblindete, nur weil er wissen wollte, wo der Bruder der Kleinen war. Ich habe gesehen, wie … aber das musst du dir nicht anhören. Nein. Entschuldige.

Irgendwann war Jocelyn schwanger. Am selben Tag, an dem sie mir davon erzählte, gestand sie mir auch, dass sie inzwischen Angst vor ihrem Ehemann hatte. Sein Verhalten war immer seltsamer, unberechenbarer geworden. Manchmal verschwand er ganze Nächte in den Kellern ihres Landguts und dann hörte sie gelegentlich Schreie, selbst durch die dicken Mauern hindurch …

Ich konfrontierte ihn damit. Er lachte mich aus, tat ihre Ängste als die Gefühlsschwankungen einer Frau ab, die ihr erstes Kind erwartet. Und dann lud er mich ein, am selben Abend mit ihm auf die Jagd zu gehen. Wir versuchten damals schon seit einiger Zeit, das Lager jener Werwölfe auszuräuchern, die Jahre zuvor seinen Vater getötet hatten. Valentin und ich waren Parabatai, ein perfektes Jägerpaar, Krieger, die füreinander starben. Also glaubte ich Valentin, als er mir an diesem Abend versprach, er würde mir den Rücken decken. Ich sah den Wolf erst, als er über mir war. Ich weiß nur noch, wie seine Zähne sich in meine Schulter gruben – der Rest der Nacht ist aus meiner Erinnerung gelöscht. Als ich erwachte, lag ich in Valentins Haus, die Schulter bandagiert, und Jocelyn war bei mir.

Nicht alle Werwolfbisse führen dazu, dass man sich in einen Wolf verwandelt. Meine Wunde heilte und ich verbrachte die nächsten Wochen in quälender Angst, in Erwartung des Vollmonds. Wenn der Rat davon erfahren hätte, hätte man mich in eine Beobachtungszelle gesperrt. Aber Valentin und Jocelyn hielten dicht. Drei Wochen später stand der Vollmond groß und leuchtend am Himmel und ich begann, mich zu verändern. Die erste Veränderung ist immer die schwerste. Ich erinnere mich an völlige Verwirrung, Todesqualen, tiefe Dunkelheit. Stunden später kam ich wieder zu mir, auf einer Wiese, Kilometer von der Stadt entfernt. Ich war von Kopf bis Fuß mit Blut bespritzt und um mich herum lagen die zerrissenen Kadaver kleiner Waldtiere.

Ich stolperte zurück zum Landgut, wo mich die beiden an der Tür erwarteten. Jocelyn fiel mir weinend um den Hals, aber Valentin zog sie weg. Ich stand nur da, blutig und am ganzen Körper zitternd, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen, immer noch den Geschmack von rohem Fleisch im Mund. Keine Ahnung, was ich erwartet hatte, aber ich schätze, ich hätte es wissen müssen.

Valentin zerrte mich die Treppe hinunter in den Wald. Er sagte mir, dass er mich eigentlich töten müsste, es aber nicht über sich brächte. Stattdessen holte er einen Dolch hervor, der einst seinem Vater gehört hatte – er war aus Silber und verbrannte meine Haut, als ich ihn berührte. Er meinte, ich sollte das einzig Ehrenhafte tun und meinem Leben selbst ein Ende setzen. Dann küsste er den Dolch, gab ihn mir, ging zurück ins Haus und verbarrikadierte die Tür.