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Ich lief durch die Nacht, teils als Mensch, teils als Werwolf, bis ich die Grenze überquerte. Ich platzte mitten hinein in das Werwolflager, zog meinen Dolch und forderte denjenigen, der mich gebissen und in einen der ihren verwandelt hatte, zum Kampf. Lachend zeigte das ganze Rudel auf den Anführer. Klauen und Zähne immer noch blutig von der Jagd, erhob er sich und kam auf mich zu.

Ich habe den Kampf Mann gegen Mann nie gemocht. Die Armbrust war meine Waffe; ich besaß ein hervorragendes Auge und eine ruhige Hand. Aber im Zweikampf war ich nie sehr gut gewesen – so etwas hatte Valentin immer mehr gelegen als mir. Doch dieses Mal wollte ich nur sterben und dabei die Kreatur mit in den Tod nehmen, die mir das angetan hatte. Wahrscheinlich habe ich gedacht, wenn ich mich rächen und zugleich die Wölfe töten könnte, die Valentins Vater auf dem Gewissen hatten, würde er um mich trauern. Während wir miteinander rangen, teilweise in menschlicher, teilweise in Wolfsgestalt, sah ich, wie sehr meine wilde Entschlossenheit meinen Gegner überraschte. Als der Morgen dämmerte, wurde er langsam müde, doch meine Wut kannte keine Grenzen. Bei Sonnenaufgang jagte ich ihm meinen Dolch in den Hals und er starb und tränkte mich mit seinem Blut.

Eigentlich hatte ich erwartet, dass sich nun das ganze Rudel auf mich stürzen und mich in Stücke reißen würde. Stattdessen knieten sie vor mir nieder und boten mir unterwürfig ihre Kehlen dar. Bei den Wölfen gibt es ein ehernes Gesetz: Wer auch immer den Anführer tötet, nimmt dessen Platz ein. Ich war in das Lager der Wölfe eingedrungen, doch statt Rache und Tod fand ich dort ein neues Leben.

Ich ließ mein altes Selbst hinter mir und vergaß beinahe, wie es war, ein Schattenjäger zu sein. Nur Jocelyn konnte ich nicht vergessen; der Gedanke an sie war mein ständiger Begleiter. Ich hatte Angst um sie, weil sie mit Valentin zusammenleben musste, aber ich wusste, wenn ich auf das Landgut zurückkehrte, würde der Kreis mich jagen und töten.

Und dann kam sie eines Tages zu mir. Ich schlief in unserem Lager, als mein Erster Offizier mich weckte und mir mitteilte, dass draußen eine junge Schattenjägerin sei, die mich sehen wollte. Ich wusste sofort, um wen es sich handelte. Als ich in aller Hektik aufstand, um sie zu empfangen, sah ich das Missfallen in den Augen meines Untergebenen. Natürlich wusste das ganze Lager, dass ich einst ein Schattenjäger gewesen war, doch das wurde als dunkles Geheimnis behandelt, von dem niemand offen sprach. Valentin hätte sich köstlich amüsiert.

Jocelyn wartete außerhalb des Lagers auf mich. Sie war nicht mehr schwanger und wirkte blass und abgespannt. Sie erzählte mir, dass sie einen Jungen zur Welt gebracht hatte, Jonathan Christopher. Als sie mich sah, begann sie zu weinen. Und sie war wütend auf mich, weil ich sie nicht hatte wissen lassen, dass ich noch lebte. Valentin hatte dem Kreis erzählt, ich hätte mich umgebracht, doch sie hatte ihm nicht geglaubt – sie wusste, dass ich so etwas nie tun würde. Ich hielt ihr Vertrauen in mich für ungerechtfertigt, war aber so erleichtert, sie wiederzusehen, dass ich ihr nicht widersprach.

Ich fragte sie, wie sie mich gefunden hatte, und sie erzählte mir, dass in Alicante Gerüchte von einem Werwolf die Runde machten, der einst ein Schattenjäger gewesen sei. Auch Valentin hatte von diesen Gerüchten gehört; daher sei sie zu mir gekommen, um mich zu warnen. Kurze Zeit später tauchte er tatsächlich vor unserem Lager auf, doch ich verbarg mich vor ihm, wie nur Werwölfe es können, und er zog wieder ab, ohne dass es zum Blutvergießen gekommen wäre.

Danach begann ich, mich regelmäßig heimlich mit Jocelyn zu treffen. Es war das Jahr des Abkommens und in der ganzen Schattenwelt machten die wildesten Gerüchte die Runde – so hieß es unter anderem, Valentin werde möglicherweise versuchen, den Abschluss des Abkommens zu verhindern. Ich hörte, dass er sich im Rat leidenschaftlich gegen das Abkommen ausgesprochen hatte, jedoch ohne Erfolg. Also schmiedete der Kreis in aller Stille einen neuen Plan: Sie verbündeten sich mit den Dämonen, den größten Feinden der Schattenjäger, um so an Waffen zu kommen, die unentdeckt in die Große Halle des Erzengels geschmuggelt werden konnten, wo das Abkommen unterzeichnet werden sollte. Und mit der Hilfe eines Dämons stahl Valentin den Kelch der Engel und ließ an seiner Stelle eine Nachbildung zurück. Es sollte Monate dauern, bis der Rat bemerkte, dass der Engelskelch gestohlen worden war, und da war es längst zu spät.

Jocelyn versuchte herauszufinden, was Valentin mit dem Kelch vorhatte, doch es gelang ihr nicht. Aber sie wusste, dass der Kreis plante, die unbewaffneten Schattenwesen in der Großen Halle zu überfallen und zu töten. Nach einem solchen Massenmord wäre das Abkommen ein für alle Mal zum Scheitern verurteilt gewesen.

In diesen unruhigen Zeiten waren wir seltsamerweise sehr glücklich. Jocelyn und ich sandten geheime Botschaften an die Elben, die Hexenmeister und selbst an die Erzfeinde der Werwölfe, die Vampire, in denen wir sie vor Valentins Plänen warnten und aufforderten, sich auf einen Kampf vorzubereiten. Wir arbeiteten zusammen – Werwölfe und Nephilim.

Am Tage des Abkommens beobachtete ich aus einem Versteck, wie Jocelyn und Valentin das Herrenhaus verließen. Ich erinnere mich, wie sie sich niederbeugte und das flachsblonde Haar ihres Sohnes küsste. Ich erinnere mich, wie die Sonne auf ihr Haar schien; ich erinnere mich an ihr Lächeln.

Sie fuhren mit der Kutsche nach Alicante hinein; ich folgte ihnen auf vier Pfoten und mein Rudel begleitete mich. Die Große Halle des Erzengels war bis zum Bersten gefüllt mit den versammelten Mitgliedern des Rats und großen Abordnungen aus allen Teilen der Schattenwelt. Als das Abkommen unterzeichnet werden sollte, sprang Valentin auf und die Mitglieder des Kreises erhoben sich mit ihm und zogen ihre Waffen aus den Gewändern. Als daraufhin in der Großen Halle Panik ausbrach, lief Jocelyn zu der gewaltigen, doppelflügligen Eingangstür und riss sie auf.

Mein Rudel lauerte direkt vor dem Portal. Wir stürmten in die Halle, zerrissen die Nacht mit unserem Geheul und wurden gefolgt von Elbenrittern mit Waffen aus Glas und gewundenen Dornen. Nach ihnen kamen die Kinder der Nacht, die Fänge kampfbereit, und die Hexenmeister mit Flammen und Schwertern. Während die Massen in Panik aus der Großen Halle flohen, stürzten wir uns auf die Mitglieder des Kreises.

Nie zuvor hatte die Halle des Erzengels ein solches Blutbad erlebt. Wir versuchten, jene Schattenjäger zu schonen, die nicht zum Kreis gehörten – Jocelyn hatte sie mithilfe eines Hexenmeister-Spruchs markiert. Doch viele von ihnen kamen dennoch ums Leben und ich fürchte, dass mein Rudel für einige der Morde verantwortlich war. Mit Sicherheit hat man uns im Nachhinein alle toten Schattenjäger angelastet. Was den Kreis betraf, so waren seine Mitglieder viel zahlreicher, als wir erwartet hatten, und sie attackierten die Schattenwesen mit größter Erbitterung. Ich kämpfte mich durch das Gemetzel bis zu Valentin vor. Mein einziges Streben galt ihm – ich wollte derjenige sein, der ihn tötete, ich wollte, dass mir diese Ehre zuteil wurde. Ich entdeckte ihn schließlich bei der großen Statue des Erzengels, wo er einen Elbenritter mit einem einzigen, blitzschnellen Stoß seines bluttriefenden Dolches niederstreckte. Als er mich sah, lächelte er grausam und entschlossen. »Ein Werwolf, der mit Schwert und Dolch kämpft«, sagte er, »ist so unnatürlich wie ein Hund, der mit Messer und Gabel isst.«

»Du kennst dieses Schwert, du kennst diesen Dolch«, erwiderte ich. »Und du weißt, wer ich bin. Wenn du mit mir reden willst, nenn mich beim Namen.«

»Ich kenne keine Halbmenschen mit Namen«, höhnte Valentin. »Einst hatte ich einen Freund, einen ehrbaren Mann, der lieber gestorben wäre, als sein Blut verunreinigen zu lassen. Jetzt steht ein namenloses Monster vor mir, das sein Gesicht trägt.« Er hob seine Klinge. »Ich hätte dich schon damals töten sollen!«, brüllte er und stürzte sich auf mich.

Ich wehrte seinen Stoß ab und wir kämpften miteinander auf dem Rednerpodium, während die Schlacht um uns tobte und ein Mitglied des Kreises nach dem anderen sein Leben aushauchte. Ich sah, wie die Lightwoods ihre Waffen fallen ließen und flohen – Hodge war schon längst verschwunden, er hatte sich gleich am Anfang der Schlacht aus dem Staub gemacht. Und dann stürzte Jocelyn die Stufen hinauf auf mich zu, das Gesicht verzerrt vor Angst. »Valentin, hör auf!«, rief sie. »Das ist Luke, dein Freund, dein Bruder …«