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»Hugo hat mich angegriffen.« Clary versuchte, nicht zusammenzuzucken, als sich die blutstillende Flüssigkeit beißend auf ihren Wunden verteilte.

»Hugo?«, meinte Luke verblüfft.

»Hodges Vogel. Zumindest nehme ich an, es ist sein Vogel.

Er könnte natürlich auch zu Valentin gehören.«

»Hugin«, sagte Luke leise. »Hugin und Munin waren Valentins zahme Vögel. Ihre Namen bedeuten ›Gedanke‹ und ›Erinnerung‹.«

»Eigentlich sollten sie ›Angriff‹ und ›Tod‹ heißen«, meinte Clary. »Hugo hätte mir fast die Augen ausgekratzt.« »Dafür hat man ihn abgerichtet.« Luke klopfte mit den Fingerspitzen einer Hand auf seinen anderen Arm. »Hodge muss ihn nach dem Aufstand mitgenommen haben. Aber er war immer noch Valentins Geschöpf.«

»Genau wie Hodge«, sagte Clary und verzog das Gesicht, als Gretel die lange Risswunde an ihrem Arm säuberte, die mit Schmutz und getrocknetem Blut verkrustet war, und an schließend verband.

»Clary …«

»Ich will nicht weiter über die Vergangenheit reden«, unterbrach sie ihn aufgebracht. »Sag mir lieber, was wir nun tun sollen. Jetzt hat Valentin meine Mom, Jace und den Kelch. Und wir haben gar nichts.«

»Das würde ich nicht gerade behaupten«, erwiderte Luke.

»Wir haben ein mächtiges Wolfsrudel. Unser Problem ist nur, dass wir nicht wissen, wo Valentin steckt.«

Clary schüttelte den Kopf und mehrere Haarsträhnen fielen ihr ins Gesicht, die sie mit einer ungeduldigen Handbewegung zur Seite strich. Mein Gott, ich bin ja völlig verdreckt, dachte sie. Ich würde alles – na ja, fast alles – für eine Dusche geben.

»Hat Valentin nicht irgendeine Art von Versteck? Ein geheimes Lager?«

»Falls er so etwas besitzt«, sagte Luke, »dann ist es ihm wirklich gelungen, das geheim zu halten.«

Inzwischen war Gretel mit Clarys Verband fertig und sie bewegte vorsichtig ihren Arm. Die grünliche Salbe, die Gretel ihr auf die Wunde geschmiert hatte, unterdrückte den Schmerz, aber der Arm fühlte sich noch immer steif und starr an. »Warte mal«, sagte Clary.

»Diesen Spruch werde ich nie verstehen«, meinte Luke. »Ich hatte nicht vor wegzugehen.«

»Könnte Valentin noch irgendwo in New York sein?« »Möglich wär’s.«

»Als ich ihn im Institut sah, kam er durch ein Portal. Magnus erzählte mir, dass es in New York nur zwei Portale gäbe, eines bei Madame Dorothea und eines bei Renwicks. Aber das bei Madame Dorothea ist zerstört und außerdem kann ich mir nicht vorstellen, dass er sich dort verstecken würde, also …« »Bei Renwicks?«, meinte Luke verwirrt. »Renwick ist kein Schattenjäger-Name.«

»Und wenn Renwick gar keine Person ist?«, fragte Clary.

»Was ist, wenn damit ein Ort gemeint wäre? Bei Renwicks. So wie ein Restaurant oder … oder ein Hotel oder etwas in der Art.«

Plötzlich schien Luke ein Gedanke zu kommen. Er wandte sich an Gretel, die mit dem Tablett in den Händen auf ihn zutrat und ihn verarzten wollte. »Ich brauche ein Telefonbuch.«

Gretel hielt mitten in der Bewegung inne, das Tablett anklagend vor sich ausgestreckt. »Aber Sir, Ihre Wunden …« »Vergiss meine Wunden und hol mir ein Telefonbuch«,

knurrte er. »Wir sind in einer Polizeistation, da sollten genug alte Exemplare herumliegen.«

Gekränkt stellte Gretel das Tablett auf den Boden und marschierte aus der Zelle. Luke warf Clary über seine halb auf der Nase thronende Brille einen Blick zu und meinte: »Schlaues Mädchen.«

Clary schwieg. Ihr Magen fühlte sich an wie ein einziger fester Klumpen und sie hatte das Gefühl, als müsse sie um ihn herumatmen. Irgendwo in ihrem Gehirn meldete sich ein winziger Gedanke, der sich den Weg zu einer ausgewachsenen Erkenntnis bahnen wollte. Doch sie schob ihn mit Macht beiseite – im Augenblick konnte sie es sich nicht leisten, ihre Energie an Dinge zu verschwenden, die nichts mit den aktuellen Problemen zu tun hatten.

Gretel kam mit einem feucht wirkenden Branchenbuch zurück und warf es Luke hin. Er blätterte die Seiten im Stehen durch, während die Wolfsfrau sich mit Verbänden und klebrig aussehenden Salben an seinen Verletzungen zu schaffen machte. »Es gibt sieben Renwicks im Telefonbuch«, sagte er schließlich. »Aber keine Restaurants, Hotels oder Ähnliches.« Er schob seine Brille hoch, die jedoch sofort wieder ein Stück nach unten rutschte. »Die aufgeführten Renwicks sind alles keine Schattenjäger«, fuhr er fort, »und es erscheint mir unwahrscheinlich, dass Valentin sein Hauptquartier im Haus eines Irdischen oder Schattenwesens aufschlägt. Obwohl, vielleicht …«

»Habt ihr ein Telefon?«, unterbrach Clary ihn.

»Ich hab meins nicht dabei.« Luke schaute Gretel an.

»Kannst du uns das Telefon holen?«

Mit einem angewiderten Schnauben schleuderte sie das Bündel blutiger Verbände, das sie in den Händen hielt, zu Boden und stapfte ein weiteres Mal aus der Zelle. Luke legte das Telefonbuch auf den Tisch, griff nach einer Bandage und begann, damit die Schnittwunde zu verbinden, die quer über seine Rippen verlief. »Tut mir leid«, sagte er, als er Clarys Blick bemerkte. »Ich weiß, dass es abstoßend aussieht.«

»Wenn wir Valentin kriegen«, fragte sie plötzlich, »können wir ihn dann töten?«

Luke ließ fast das Verbandszeug fallen. »Was?«

Clary spielte mit einem Faden, der aus der Tasche ihrer Jeans herabhing. »Er hat meinen großen Bruder umgebracht. Er hat meine Großeltern getötet. Oder etwa nicht?« Luke legte den Rest der Bandage auf den Tisch und zog sein Hemd zurecht. »Und was willst du mit seinem Tod erreichen? Seine Taten ungeschehen machen?«

Ehe Clary antworten konnte, tauchte Gretel wieder auf. Mit einem gequälten Ausdruck in den Augen hielt sie Luke ein klobiges, altmodisches Mobiltelefon hin. Clary fragte sich, wer wohl die Rechnungen dafür bezahlte.

Dann streckte sie ihre Hand aus. »Ich muss jemanden anrufen.«

Luke zögerte. »Clary …«

»Es geht um Renwicks. Dauert nicht lange.«

Misstrauisch reichte er ihr das Telefon. Sie tippte eine Nummer ein und drehte sich dann halb von ihm weg, um für sich selbst die Illusion von Privatsphäre zu schaffen. Nach dem dritten Klingeln hob Simon den Hörer ab. »Hallo?«

»Ich bin’s.«

Sein Tonfall wanderte eine Oktave nach oben. »Wo bist du? Alles in Ordnung mit dir?«

»Mir geht’s prima. Warum? Hast du irgendwas von Isabelle gehört?«

»Nein. Was sollte Isabelle mir denn erzählen? Ist was nicht in Ordnung? Geht es um Alec?«

»Nein«, erwiderte Clary, die nicht lügen und behaupten wollte, Alec sei wohlauf. »Es geht nicht um Alec. Eigentlich wollte ich dich nur bitten, im Internet was für mich rauszusuchen.«

Simon schnaubte. »Machst du Witze? Habt ihr da drüben etwa keinen Computer? Schon gut, erspar mir die Antwort.«

Clary hörte, wie eine Tür geöffnet wurde und dann ein lautes Miau, als Simon die Katze seiner Mutter von ihrem Lieblingsplatz auf seiner Computertastatur verscheuchte. Sie sah ihn genau vor sich, wie er sich vor den PC setzte und die Finger über das Keyboard fliegen ließ. »Was soll ich checken?« Sie sagte es ihm. Während sie mit Simon sprach, konnte sie Lukes besorgten Blick auf sich spüren. Genauso hatte er sie damals angesehen, als sie mit elf Jahren eine schwere Grippe hatte und ihr Fieber einfach nicht sinken wollte. Er hatte ihr Eiswürfel zum Lutschen gebracht, ihr aus ihren Lieblingsbüchern vorgelesen und dabei alle Stimmen gesprochen. »Du hast recht«, riss Simons Stimme sie aus ihren Erinnerungen. »Es ist ein Gebäude. Oder besser, es war eines – und ist heute verlassen.«

Fast wäre ihr das Telefon aus den schweißfeuchten Fingern gerutscht. Sie umklammerte den Hörer fester. »Erzähl mal mehr darüber.«

 

»Renwick Smallpox Hospital war das berühmteste aller Irrenhäuser, Schuldnergefängnisse und Krankenhäuser, die während des neunzehnten Jahrhunderts auf Roosevelt Island erbaut wurden«, las Simon pflichtbewusst vor. »Vom Architekten Jacob Renwick entworfen, diente es als Quarantänestation für die ärmsten Opfer der unkontrollierbaren Pockenepidemie, die Manhattan heimsuchte. Fast alle, die dieses makabre neugotische Gebäude betraten, starben innerhalb seiner Mauern. Im Laufe des nächsten Jahrhunderts wurde das Hospital aufgrund seines schlechten baulichen Zustands aufgegeben. Der Zugang zu den Ruinen ist heute verboten.«