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Clary konnte sich nicht erinnern, dass Izzy in ihrer Gegenwart jemals geweint hätte, und sie gab sich auch jetzt alle Mühe, nicht in Tränen auszubrechen. Aber ihre Augen glänzten verdächtig. Und auch Alec schaute auf seine Schuhe. Plötzlich spürte Clary, wie eine Woge aus Kummer und Leid sie zu überwältigen drohte, doch sie unterdrückte sie mit aller Macht. Sie durfte jetzt nicht an Jace denken, wie er sich als Zwölfjähriger im dunklen Wald verirrt hatte, weil sie sonst daran denken musste, wo er sich jetzt wohl befand – irgendwo eingesperrt, allein in der Dunkelheit, wartend, dass sie zu ihm kam und ihm half… Sobald sie darüber nachdachte, würde sie komplett zusammenbrechen. »Danke, Aline«, presste sie stattdessen hervor, da weder Isabelle noch Alec in der Lage waren zu sprechen. »Danke.«

Das Mädchen schenkte ihr ein schüchternes Lächeln. »Ich bin sicher, er findet zurück.«

»Aline!«, rief Helen in dem Moment und zog mit festem Griff einen Jungen hinter sich her, dessen Hände mit blauem Wachs verschmiert waren. Er hatte wohl mit den Kerzen in den riesigen Ständern herumgespielt, die die Seitengänge des Kirchenschiffs erhellten. Dem Aussehen nach musste er um die zwölf Jahre alt sein; ein lausbübisches Grinsen lag auf seinem kleinen Gesicht und seine Augen funkelten schelmisch. Derselbe aufsehenerregende Blaugrünton wie bei seiner Schwester, dachte Clary, allerdings besaß er dunkelbraune Haare. »Ich glaube, wir sollten uns besser auf den Weg machen, ehe Jules noch das gesamte Institut verwüstet. Ganz zu schweigen davon, dass ich keine Ahnung habe, wo Tibs und Livvy stecken könnten.«

»Sie sind dahinten und essen Wachs«, erklärte der Junge – Jules – hilfsbereit.

»Oh Gott«, stöhnte Helen und schaute dann entschuldigend in die Runde. »Tut mir leid. Aber ich bin die Zweitälteste von uns und hab noch sechs jüngere Geschwister. Bei uns geht es immer zu wie in einem Zoo.«

Jules betrachtete Alec, dann Isabelle und schließlich Clary. »Wie viele Brüder und Schwestern habt ihr denn?«, fragte er.

Helen erbleichte. Doch Isabelle erklärte mit bemerkenswert ruhiger Stimme: »Wir sind zu dritt.«

Mit großen Augen musterte Jules Clary und meinte dann: »Du siehst den anderen gar nicht ähnlich.«

»Wir sind auch nicht miteinander verwandt«, sagte Clary. »Ich hab keine Geschwister.«

»Keinen einzigen Bruder oder Schwester?« Jules klang ziemlich erstaunt, als hätte Clary ihm gerade erzählt, sie besäße Schwimmhäute zwischen den Zehen. »Bist du deshalb so traurig?«

Clary musste an Sebastian denken, mit den weißblonden Haaren und den schwarzen Augen. Schön wär’s, dachte sie. Wenn ich doch nur keinen Bruder hätte, denn dann wäre all das hier nicht passiert. Ein heißer Anflug von Hass jagte durch ihren Körper und wärmte ihr eisiges Blut. »Ja«, bestätigte sie leise, »deshalb bin ich so traurig.«

2

Dornen

Simon wartete vor dem Institut auf Clary, Alec und Isabelle. Er stand unter einem Mauervorsprung, der ihn notdürftig vor dem schlimmsten Regen abschirmte, und drehte sich um, als die drei das Gebäude verließen. Clary sah, dass die dunklen Haare ihm vor lauter Nässe an Hals und Nacken klebten. Mit einer ungeduldigen Handbewegung schob er sie zur Seite und schaute Clary fragend an.

»Ich bin von allen Vorwürfen freigesprochen«, erklärte sie, doch als sich ein Lächeln auf Simons Gesicht ausbreitete, schüttelte sie den Kopf. »Aber die Suche nach Jace hat nicht mehr oberste Priorität. Ich… bin mir sicher, dass der Rat ihn für tot hält.«

Kopfschüttelnd senkte Simon die Augen und blickte auf seine nasse Jeans und das T-Shirt, ein zerknittertes graues Ringershirt mit farblich abgesetztem Kragen und der Aufschrift clearly i have made some bad decisions. »Tut mir echt leid«, meinte er mitfühlend.

»So ist der Rat nun mal«, erklärte Isabelle. »Vermutlich hätten wir nichts anderes erwarten dürfen.«

»Basia coquum«, sagte Simon. »Oder wie auch immer dieses Nephilim-Motto heißt.«

»Unser Motto lautet: Facilis descensus Averni – ›der Abstieg zur Hölle ist leicht‹«, berichtigte Alec ihn. »Und du hast gerade gesagt: ›Küss den Koch.‹«

»Verdammt«, stieß Simon hervor. »Ich hab doch gewusst, dass Jace mich verarscht.« Als ihm seine feuchten dunklen Haare erneut in die Augen fielen, schob er sie ein weiteres Mal so ungeduldig zurück, dass Clary einen kurzen Blick auf das silbern schimmernde Kainsmal auf seiner Stirn werfen konnte. »Und was machen wir jetzt?«, fragte er.

»Jetzt besuchen wir die Königin des Lichten Volkes«, verkündete Clary. Sie berührte die Glocke an ihrer Halskette, während sie Simon rasch von der Elfe Kaelie erzählte, die an Lukes und Jocelyns Polterabend zu ihr gekommen war und ihr die Hilfe der Elbenkönigin angeboten hatte.

Simon musterte sie skeptisch. »Das ist doch diese arrogante rothaarige Dame, die dich gezwungen hat, Jace zu küssen, oder? Ich mag sie nicht.«

»Ist das alles, woran du dich im Zusammenhang mit der Königin erinnerst? Dass sie Clary dazu gebracht hat, mit Jace zu knutschen?«, meinte Isabelle aufgebracht. »Die Königin des Lichten Volkes ist gefährlich. Damals hat sie sich mit uns nur ein wenig amüsiert. Normalerweise treibt sie schon vor dem Frühstück wenigstens eine Handvoll Menschen in den Wahnsinn.«

»Ich bin kein Mensch«, sagte Simon. »Nicht mehr.« Er warf Isabelle einen kurzen Blick zu, schaute dann rasch zu Boden und wandte sich anschließend an Clary: »Möchtest du, dass ich mitkomme?«

»Ich denke, es wäre gut, dich dabeizuhaben. Tageslichtler, Kainsmal – mit manchen Dingen müsste selbst die Elbenkönigin zu beeindrucken sein.«

»Ich würde nicht darauf wetten«, bemerkte Alec.

Clary schaute an ihm vorbei und fragte: »Wo ist Magnus?«

»Er meinte, es sei wohl besser, wenn er uns nicht begleitet. Anscheinend verbindet ihn und die Elbenkönigin eine gemeinsame Geschichte.«

Verwundert zog Isabelle die Augenbrauen hoch.

»Nicht die Art von Geschichte«, erwiderte Alec gereizt. »Eher eine Fehde. Obwohl…«, fügte er leise hinzu, »so wie Magnus vor meiner Zeit herumgekommen ist, würde mich das auch nicht wundern.«

»Alec!« Isabelle blieb abrupt stehen, um mit ihrem Bruder zu reden, während Clary ihren Schirm mit einem Klick aufspringen ließ. Simon hatte ihr den Taschenschirm vor Jahren im Museum of Natural History gekauft und Clary sah ihn grinsen, als er das Dinosauriermuster wiedererkannte.

»Lust auf einen Spaziergang?«, fragte er und bot ihr seinen Arm an.

Der Regen prasselte unablässig vom Himmel und bildete kleine Rinnsale, die sich vor den Gullis stauten und von den Rädern vorbeifahrender Taxis in einem Schwall auf den Gehweg gespritzt wurden. Seltsam, dachte Simon – obwohl er keine Kälte mehr spürte, fühlte sich die völlig durchnässte Kleidung auf seiner Haut noch immer unangenehm an. Vorsichtig warf er einen Blick über die Schulter, zu Alec und Isabelle. Seit die drei aus dem Institut gekommen waren, hatte Isabelle ihm noch nicht richtig in die Augen gesehen, und Simon fragte sich, was sie wohl dachte. Sie schien mit ihrem Bruder viel zu besprechen zu haben, und als sie an der Ecke zur Park Avenue kurz stehen blieben, hörte er, wie sie Alec fragte: »Und, was hältst du jetzt davon? Dass Dad sich für den Posten des Inquisitors beworben hat?«