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»Für mich klingt das nach einem ziemlich langweiligen Job.«

Isabelles transparenter Regenschirm war über und über mit bunten Blumen dekoriert – und das mit Abstand Mädchenhafteste, das Simon je an ihr gesehen hatte. Kein Wunder, dass Alec sich nicht bei seiner Schwester unterstellen wollte und sich stattdessen lieber dem Regen aussetzte, dachte er.

»Keine Ahnung, warum Dad auf die Stelle überhaupt scharf sein sollte«, fügte Alec hinzu.

»Es interessiert mich nicht, ob der Job langweilig ist«, zischte Isabelle im Flüsterton. »Wenn er den Posten bekommt, wird er ständig in Idris sein. Die ganze Zeit. Er kann nicht das Institut leiten und als Inquisitor arbeiten. Schließlich kann er nicht zwei Jobs gleichzeitig machen.«

»Falls es dir noch nicht aufgefallen sein sollte, Izzy: Er ist auch jetzt schon ständig in Idris.«

»Alec…« Der Rest ihrer Worte ging im Straßenlärm unter, als eine Ampel grün wurde und der Verkehr weiterbrauste. Clary versuchte, einer Wasserfontäne auszuweichen, und wäre dabei fast gegen Simon gestoßen, der sie reflexartig an der Hand packte.

»’tschuldigung«, murmelte sie.

Ihre Hand fühlte sich klein und kalt in der seinen an.

»Ich habe gerade nicht aufgepasst«, fügte sie hinzu.

»Ich weiß«, sagte Simon, darum bemüht, nicht allzu besorgt zu klingen. Seit zwei Wochen hatte Clary nun schon »gerade nicht aufgepasst«. Anfangs hatte sie viel geweint und dann war sie wütend geworden – weil sie nicht an der Suche nach Jace teilnehmen durfte und der Rat sie tagelang wieder und wieder befragte. Wie eine Gefangene musste sie zu Hause herumsitzen, solange sie unter Verdacht stand. Doch die meiste Zeit war sie auf sich selbst wütend gewesen, weil ihr beim besten Willen keine Rune einfiel, die bei der Suche helfen konnte. Ganze Nächte saß sie am Schreibtisch, die Stele so fest umklammert, dass ihre Fingerknöchel weiß hervortraten und Simon schon befürchten musste, Clary würde sie in der Mitte zerbrechen. Sie versuchte, ihren Verstand dazu zu zwingen, ihr irgendein Bild zu liefern mit dem Hinweis, wo Jace sich befand. Doch Nacht für Nacht passierte rein gar nichts.

Sie sah älter aus, überlegte Simon, während sie durch eine Lücke in der Steinmauer an der Fifth Avenue den Central Park betraten. Älter, aber keineswegs schlechter; nur eben ganz anders als das Mädchen, mit dem er damals in den Pandemonium Club gegangen war – an jenem Abend, der alles verändert hatte. Klar war sie in der Zwischenzeit gewachsen, aber das war noch nicht alles: Ihre Miene wirkte ernster, ihr Gang besaß mehr Kraft und Anmut und ihre grünen Augen zuckten weniger hin und her, schauten konzentrierter. Sie entwickelte allmählich immer größere Ähnlichkeit mit Jocelyn, stellte Simon überrascht fest.

In einem Kreis aus leise tropfenden Bäumen blieb Clary stehen; die dichten Zweige schützten vor dem starken Regen und die beiden Mädchen lehnten ihre Schirme gegen einen Baumstamm. Dann nahm Clary die Glocke von der Halskette und hielt sie in ihrer offenen Handfläche. Mit ernstem Gesichtsausdruck schaute sie die anderen der Reihe nach an. »Wenn ich die Glocke läute, gehe ich damit ein großes Risiko ein«, sagte sie, »und ich bin mir sicher, wenn ich das tue, werde ich keinen Rückzieher machen können. Falls also einer von euch nicht mitkommen möchte, ist das vollkommen in Ordnung. Ich verstehe das.«

Simon streckte den Arm aus und legte seine Hand über Clarys. Er brauchte nicht lange nachzudenken: Wo Clary hinging, da ging auch er hin. Sie hatten schon zu vieles gemeinsam durchgestanden, als dass irgendetwas anderes infrage gekommen wäre. Isabelle folgte seinem Beispiel und schließlich auch Alec. Von seinen langen schwarzen Wimpern tropfte der Regen wie Tränen, aber seine Miene wirkte entschlossen. Die vier hielten einander fest an den Händen.

Dann läutete Clary die Silberglocke.

Im nächsten Moment kam es ihr so vor, als würde sich die Welt um sie herum bewegen. Es fühlte sich aber ganz und gar nicht wie die Reise durch ein Portal an – als wäre sie in einen Meeresstrudel geraten –, sondern eher wie eine Fahrt in einem Karussell, das sich immer schneller drehte. Clary wurde schwindlig und sie musste nach Luft schnappen, als die Kreiselbewegung abrupt endete und sie wieder festen Boden unter den Füßen spürte. Doch Isabelle, Alec und Simon hielten sie noch immer an den Händen.

Die vier Jugendlichen lösten sich voneinander und Clary schaute sich um. Sie war schon einmal hier gewesen, in diesem dunkelbraunen Erdgang, dessen Wände aussahen, als wären sie aus Tigeraugenquarz gemeißelt. Der Boden schimmerte, glatt poliert von kleinen Elbenfüßen, die seit Jahrtausenden diesen Weg gegangen waren. Glitzernde Goldpartikel in den Wänden strahlten Licht aus und am Ende des Gangs hing ein bunter Vorhang, der langsam vor und zurück schwang, als würde er durch einen Luftzug bewegt – obwohl es hier unten nicht den geringsten Windhauch gab. Als Clary näher kam, erkannte sie, dass der Querbehang aus Schmetterlingen genäht war. Manche der Falter lebten noch und ihr Todeskampf ließ den Vorhang leicht flattern.

Clary schluckte den bitteren Geschmack in ihrem Mund hinunter. »Hallo?«, rief sie. »Ist da jemand?«

Im nächsten Moment wurde der Vorhang raschelnd beiseitegeschoben und der Elbenritter Meliorn betrat den Gang. Er trug dieselbe weiße Rüstung wie bei ihrer letzten Begegnung, nun jedoch mit dem gleichen Siegel auf der linken Brust, das auch Lukes Ratsrobe zierte und ihn als Mitglied der Kongregation auswies – dem vierfachen C. Eine frische Narbe schimmerte direkt unterhalb seiner blattgrünen Augen. Kühl musterte er Clary. »Man begrüßt die Königin des Lichten Volkes nicht mit einem barbarischen ›Hallo‹, als würde man einen Bediensteten herbeirufen«, teilte er ihr frostig mit. »Die korrekte Form der Anrede lautet ›Seid gegrüßt‹.«

»Aber wie kann ich sie grüßen, wenn ich nicht einmal weiß, ob sie überhaupt hier ist?«, erwiderte Clary.

Meliorn warf ihr einen verächtlichen Blick zu. »Wenn die Königin nicht anwesend und bereit wäre, dich zu empfangen, hätte das Läuten der Glocke dich nicht hierhergebracht. Und jetzt komm und sag deinen Begleitern, dass sie mir folgen sollen.«

Clary gab den anderen ein Zeichen und tauchte dann hinter Meliorn durch den Vorhang aus gemarterten Schmetterlingen hindurch, wobei sie die Schultern krümmte in der Hoffnung, nicht mit den Falterflügeln in Berührung zu kommen.

Der Reihe nach betraten die vier die Gemächer der Königin. Verwundert schaute Clary sich um: Der Raum sah völlig anders aus als bei ihrem letzten Besuch. Der Boden bestand aus schwarzen und weißen Steinquadern und erinnerte an ein gigantisches Schachbrett, in dessen Mitte die Elbenkönigin auf einem weißen, mit Gold verzierten Diwan ruhte. Ranken mit spitzen Dornen hingen wie Schnüre von der Decke und auf jedem Dorn war ein Irrlicht aufgespießt. Während sie ihr Leben aushauchten, flackerte ihr einst so helles Leuchten kläglich und tauchte den Raum in ein gedämpftes Licht.

Außer Meliorn, der sich direkt neben der Königin postierte, war nicht ein einziger ihrer Höflinge anwesend. Langsam setzte die Elbenkönigin sich auf. Sie war so schön wie eh und je: ihr Kleid ein durchscheinendes Gewebe aus Silber- und Goldfäden, ihr Haar so schimmernd wie glänzendes Kupfer. Lasziv drapierte sie es über ihre weißen Schultern. Clary fragte sich, wozu sie sich überhaupt die Mühe machte: Denn von allen Anwesenden im Raum war Simon der Einzige, den ihre Schönheit möglicherweise berühren konnte, aber er hasste sie aus ganzem Herzen.

»Seid gegrüßt, Nephilim, Tageslichtler«, sagte die Königin und neigte den Kopf in ihre Richtung. »Valentinstochter, was führt dich zu mir?«

Clary öffnete ihre Hand. Die schimmernde Silberglocke wirkte wie ein lebender Vorwurf. »Ihr habt mir durch Eure Dienerin ausrichten lassen, dass ich diese Glocke läuten soll, wenn ich jemals Eure Hilfe brauchen würde.«