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»Robinson meinte, es gebe bestimmte Muskelrelaxanzien, einige seien ganz selten, mit denen Cogans Mitternachtsimbiss hätte versetzt sein können«, sagte Vince. »Vielleicht bekam er die ersten Bissen gut runter, in seinem Magen war schließlich etwas verdautes Fleisch, und beim letzten Bissen merkte er plötzlich, dass er nicht mehr schlucken konnte.«

»Das muss es gewesen sein!«, rief Stephanie. »Jemand hat das Fleisch vergiftet und sah zu, wie er erstickte! Als Cogan tot war, lehnte ihn der Mörder gegen die Mülltonne und nahm den Rest vom Steak mit, damit es nicht untersucht werden konnte! Es war gar keine Möwe! Es …« Sie unterbrach sich, schaute die beiden an. »Warum schüttelt ihr den Kopf?«

»Wegen der Obduktion, mein Mädchen«, antwortete Vince.

»Es fand sich nichts dergleichen bei der Gaschromatographie.«

»Aber wenn es ein richtig seltenes Gift war …«

»So wie bei Agatha Christie?«, fragte Vince mit einem Zwinkern und lächelte. »Nun, vielleicht … aber vergessen wir nicht das Stück Fleisch in seinem Hals.«

»Ach ja, natürlich. Dr. Cathcart hat es untersucht, nicht wahr?« Stephanie sackte in sich zusammen.

»Ah jo«, stimmte Vince zu. »Hat er. Auch wenn wir am Ende der Welt leben, haben wir durchaus dunkle Gedanken. An dem zerkauten Fleisch war keinerlei Gift, nur ein bisschen Salz.«

Kurz schwieg Stephanie. Dann sagte sie mit leiser Stimme:

»Vielleicht war es ein Gift, das sich auflöst.«

»Ah jo«, machte Dave und schob die Zunge in die Wange.

»Wie die Lichter an der Küste nach ein, zwei Stunden.«

»Oder die restliche Crew der Lisa Cabot«, fügte Vince hinzu.

»Nach der Überfahrt mit der Fähre hat ihn keiner mehr gesehen.«

»Nein«, bestätigte Vince. »Wir haben fünfundzwanzig Jahre lang gesucht und nie eine Menschenseele gefunden, die behauptet hat, ihn vor Johnny und Nancy gegen Viertel nach sechs am Morgen des 24. April gesehen zu haben. Und nur fürs Protokoll – nicht dass einer eins führt –, aber ich glaube nicht, dass jemand das restliche Steak stahl, nachdem Cogan am letzten Bissen erstickt war. Ich glaube, dass eine Möwe den Rest aus seiner leblosen Hand stibitzte, genau wie wir immer vermutet haben. Mensch noch mal, ich muss mich wirklich beeilen!«

»Und ich muss mit diesen Rechnungen weitermachen«, sagte Dave. »Aber zuerst ist wohl ein kleiner Abstecher zur Toilette angesagt.« Mit diesen Worten bewegte er sich gen WC.

»Ich denke, ich muss an meiner Kolumne arbeiten«, sagte Stephanie. Dann kam es halb lachend, halb ernst aus ihr heraus:

»Fast wäre mir lieber, wenn ihr mir nie davon erzählt hättet, wo ihr mich jetzt so hängen lasst! Das wird mir noch wochenlang im Kopf herumgeistern!«

»Es ist fünfundzwanzig Jahre her und geistert uns immer noch durch den Kopf«, gab Vince zurück. »Jetzt weißt du wenigstens, warum wir es nicht dem Typen vom Globe erzählt haben.«

»Ja. Auf jeden Fall.«

Lächelnd nickte er. »Du machst das gut, Stephanie.

Du wirst schon zurechtkommen.« Er klopfte ihr herzlich auf die Schulter und steuerte dann auf die Tür zu, nahm im Vorbeigehen das schmale Notizbuch von seinem überfüllten Schreibtisch und stopfte es sich in die Gesäßtasche. Er war neunzig und hatte noch immer einen federnden Schritt. Sein Rücken war vom Alter nur leicht gebeugt. Er trug ein weißes Businesshemd, auf dessen Rücken sich die Hosenträger kreuzten. Mitten im Raum hielt er inne und drehte sich zu Stephanie um. Ein Sonnenstrahl fing sich in seinem feinen weißen Haar und ließ es wie einen Heiligenschein leuchten.

»Es war wirklich schön, dich hier zu haben«, sagte er.

»Ich möchte, dass du das weißt.«

»Danke.« Sie hoffte, dass man ihrer Stimme nicht anmerkte, wie nah sie den Tränen war. »Es war herrlich … anfangs hatte ich so meine Zweifel, aber … aber jetzt kann ich das Kompliment zurückgeben. Es macht wirklich Spaß, hier zu sein.«

»Hast du dir mal überlegt zu bleiben? Bestimmt, oder?«

»Ja. Kannst du mir glauben.«

Er nickte ernst. »Dave und ich haben darüber gesprochen. Es wäre gut, frisches Blut in der Redaktion zu haben! Junges Blut.«

»Ihr beiden macht das doch noch jahrelang«, sagte sie.

»Ja, natürlich«, erwiderte er leichthin, als sei das selbstverständlich, und als er sechs Monate später starb, saß Stephanie in der kalten Kirche, machte in ihrem eigenen schmalen Büchlein Notizen über den Gottesdienst und dachte: Er sah es kommen. »Ich mache noch jahrelang weiter. Trotzdem, wenn du bleiben willst, wir würden dich gerne nehmen. Du musst dich jetzt noch nicht entscheiden, es ist nur ein Angebot.«

»Gut, ich denke drüber nach. Wir wissen, glaube ich, beide, wie die Antwort ausfallen wird.«

»Das freut mich.« Er wollte gehen, drehte sich aber noch einmal um. »Der Unterricht für heute ist so gut wie beendet, aber eines könnte ich dir noch über unsere Arbeit verraten. Darf ich?«

»Natürlich.«

»Es gibt tausende von Zeitungen und zehntausende von Menschen, die für sie schreiben, aber es gibt nur zwei Sorten von Berichten. Das eine sind Meldungen. Das sind gar keine richtigen Geschichten, sondern schlicht Wiedergabe von Fakten. Sie brauchen auch gar keine Geschichten zu sein. Die Leute kaufen eine Zeitung, weil sie von Blut und Tränen lesen wollen, so wie sie bei einem Unfall auf der Autobahn langsamer fahren, um alles sehen zu können, und anschließend geht’s weiter. Aber was finden sie in der Zeitung?«

»Reportagen«, sagte Stephanie und dachte an Hanratty und seine ungelösten Rätsel.

»Ah jo. Das sind richtige Geschichten. Jede hat einen Anfang, eine Mitte und ein Ende. Deshalb sind es gute Nachrichten, Steffi, deshalb sind sie gut. Selbst wenn sie von einer Sekretärin handeln, die wahrscheinlich die halbe Gemeinde beim Picknick umgebracht hat, weil ihr Geliebter sie sitzen ließ, sind es gute Nachrichten. Weißt du, warum?«

»Keine Ahnung.«

»Wäre aber besser«, sagte Dave, der gerade von der Toilette kam und sich die Hände an einem Papiertuch abtrocknete. »Das solltest du wissen, wenn du in diesem Geschäft arbeiten und verstehen willst, was du tust.« Er warf das Tuch in seinen Papierkorb.

Stephanie dachte nach. »Reportagen sind gute Geschichten, weil sie vorbei sind.«

»Stimmt!«, rief Vince strahlend. Er warf die Hände in die Luft wie ein Erweckungsprediger. »Sie haben einen Schluss! Sie sind gelöst! Aber im richtigen Leben, Stephanie, haben die Dinge da auch einen Anfang, eine Mitte und ein Ende? Was sagt dir deine Erfahrung?«

»Was das Schreiben angeht, habe ich nicht viel Erfahrung«, sagte sie. »Nur an der Uni und diese Kolumne hier.«

Vince winkte abwehrend mit der Hand. »Dein Herz, was sagt dir das?«

»Dass es im Leben meistens nicht so ist.« Sie dachte an einen jungen Mann, um den sie sich kümmern musste, falls sie sich entschied, über die Praktikumszeit von vier Monaten hier zu bleiben … das könnte unangenehm werden. Würde es sogar ziemlich sicher. Rick würde die Nachricht nicht positiv aufnehmen, denn in Ricks Kopf sollte die Geschichte eigentlich anders weitergehen.

»Ich habe noch keine Reportage gelesen, in der nicht irgendwas gelogen war«, sagte Vince milde, »aber meistens reichen sie für den Innenteil. Mit dieser Geschichte würde das nicht gehen. Es sei denn …« Er zuckte leicht mit den Schultern.

Einen Moment lang wusste Stephanie nicht, was dieses Schulterzucken zu bedeuten hatte. Dann fiel ihr ein, was Dave gesagt hatte, kurz nachdem sie sich draußen auf die Veranda in den späten Augustsonnenschein gesetzt hatten. Sie gehört uns, hatte er gesagt, und es klang trotzig. Ein Typ vom Globe, einer, der nicht von hier kommt, der würde sie nur vermasseln.

»Wenn ihr sie Hanratty erzählt hättet, hätte er sie verwendet, stimmt’s?«, fragte Stephanie.

»Wir hätten es nicht verbieten können, sie gehört uns ja nicht«, erwiderte Vince. »Sie gehört dem, der sie findet.«