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»Ah jo. Nun Johnny wollte mit ihr zum nächsten Telefon laufen, das wäre vor der öffentlichen Bücherei gewesen. Er wollte George Wournos anrufen, den damaligen Wachtmeister von Moose-Look, längst in die ewigen Jagdgründe eingegangen, der Gute. Nancy war einverstanden, aber zuerst sollte Johnny ›den Mann‹ wieder aufsetzen. Sie nannte ihn immer ›den Mann‹. Nie ›den Toten‹ oder ›die Leiche‹, sondern immer nur ›den Mann‹.

Johnny sagte: ›Ich glaube nicht, dass es die Polizei gut findet, wenn wir ihn bewegen, Nan.‹

Nancy meinte: ›Du hast ihn schon bewegt, du sollst ihn nur wieder so hinsetzen, wie er war.‹

Und er erwiderte: ›Das habe ich nur getan, weil du es wolltest.‹

Worauf sie antwortete: ›Bitte, Johnny, ich kann es nicht ertragen, ihn da so liegen zu sehen, ich will ihn nicht so in Erinnerung behalten.‹ Dann begann sie zu weinen und damit war die Sache geklärt. Johnny ging zurück zur Leiche, die noch immer auf der linken Seite im Sand lag.

An dem Abend im Breakers hat Johnny mir erzählt, dass er nie getan hätte, was sie von ihm verlangte, wenn sie ihm nicht dabei zugeschaut und auf ihn vertraut hätte. Das glaube ich ihm. Für eine Frau tut ein Mann viele Dinge, die er allein nicht wagen würde, vor denen er zu neunzig Prozent zurückschrecken würde, selbst wenn er betrunken wäre und seine Freunde ihn dazu drängten. Johnny sagte, je näher er diesem Mann kam, der mit angezogenen Beinen im Sand lag, als säße er auf einem unsichtbaren Stuhl, desto überzeugter war er, dass sich die geschlossenen Augen öffnen und der Mann sich auf ihn stürzen würde. Auch das Wissen, dass der Mann tot war, konnte ihm dieses Gefühl nicht nehmen, sagte Johnny, sondern hätte es nur noch schlimmer gemacht. Schließlich stand er vor dem Toten, riss sich zusammen, legte die Hände auf die hölzernen Schultern und richtete den Mann auf, lehnte ihn mit dem Rücken wieder gegen die schiefe Mülltonne. Johnny meinte, er habe sich die ganze Zeit vorgestellt, der Mülleimer würde polternd umkippen und er vor Schreck laut losschreien. Aber die Tonne kippte nicht um und Johnny schrie nicht. Ich bin der tiefen Überzeugung, Steffi, dass wir armen Kreaturen immer vom Schlimmsten ausgehen, weil es in Wahrheit so selten eintrifft. So erscheint uns das Mittelmäßige schon erträglich – fast gut sogar – und wir kommen zurecht.«

»Glaubst du das wirklich?«

»Na klar! Jedenfalls wollte Johnny gerade gehen, als er eine Schachtel Zigaretten entdeckte, die in den Sand gefallen war. Und weil das Schlimmste vorbei und es nur noch mittelmäßig war, konnte er sie aufheben – er nahm sich sogar vor, George Wournos zu erzählen, dass er das getan hatte, für den Fall, dass die Polizei sie auf Fingerabdrücke absuchte und seine auf der Zellophanfolie fand – und wieder in die Brusttasche des weißen Hemdes stecken. Dann ging er zurück zu Nancy, die in ihrer Trainingsjacke mit dem BCHS-Aufdruck dastand, wahrscheinlich die Arme um sich geschlungen hatte und von einem Bein aufs andere hüpfte, weil ihr in der knappen kurzen Hose kalt war. Obwohl natürlich nicht die Kälte schuld war, dass sie fror.

Jedenfalls war ihr nicht mehr lange kalt, denn die beiden liefen runter zur Bücherei, und ich wette, wenn man die Zeit gestoppt hätte, wäre es ein Rekord für die halbe Meile gewesen oder wenigstens nah dran. Nancy hatte mehrere Vierteldollarmünzen in einem kleinen Portemonnaie in ihrer Trainingsjacke. Sie rief George Wournos an, der sich gerade anzog – er war der Inhaber von Western Auto, da halten die Kirchenfrauen jetzt die Basare ab.«

Da Stephanie in ihrer Kolumne über mehrere Basare berichtet hatte, nickte sie.

»George fragte, ob der Mann mit Sicherheit tot sei, und Nancy bejahte. Dann bat er sie, ihm Johnny zu geben, und er stellte Johnny dieselbe Frage. Johnny bejahte ebenfalls. Er erklärte, er habe den Mann geschüttelt, er sei steif wie ein Brett. Er schilderte George, wie der Mann zur Seite gekippt sei, die Zigaretten aus der Tasche gerutscht seien und er sie wieder zurückgesteckt hätte. Johnny glaubte, George würde ihm die Hölle heiß machen, aber es passierte nichts. Niemand rügte ihn deswegen. Nicht wie bei den Krimis im Fernsehen, was?«

»Bis jetzt noch nicht«, erwiderte Stephanie und dachte, dass die Geschichte sie doch ein klein bisschen an eine Folge von Mord ist ihr Hobby erinnerte, die sie mal gesehen hatte. Doch angesichts des Gesprächs, das dieser Geschichte vorausgegangen war, nahm sie nicht an, dass Angela Lansbury auftauchen und das Rätsel lösen würde … obwohl irgendjemand irgendetwas herausgefunden haben musste. Immerhin wussten die Männer ja, dass der Tote aus Colorado stammte.

»George sagte Johnny, er und Nancy sollten schnell zum Strand zurücklaufen und dort auf ihn warten«, fuhr Dave fort.

»Er sagte, sie sollten aufpassen, dass niemand näher herankäme.

Johnny erklärte sich einverstanden. George sagte: ›Wenn ihr die Fähre um halb acht verpasst, John, schreibe ich dir und deiner Freundin eine Entschuldigung.‹ Johnny meinte, das wäre das Letzte, über das er sich im Moment Gedanken machen würde. Dann kehrte er mit Nancy Arnault zurück an den Hammock Beach, jetzt trabten sie gemächlich, anstatt zu rennen.«

Das konnte Stephanie verstehen. Vom Hammock Beach nach Moosie Village ging es bergab. Der Rückweg war anstrengender, zumal jetzt nicht mehr so viel Adrenalin durch ihr Blut rauschte.

»In der Zwischenzeit«, erklärte Vince, »rief George Wournos Doc Robinson in der Beach Lane an.« Er hielt inne, lächelte wie in Gedanken versunken – oder vielleicht auch um des Effektes willen. »Dann sagte er mir Bescheid.«

6

»Ein Mordopfer liegt am einzigen öffentlichen Strand der Insel und der örtliche Gesetzesvertreter ruft den Herausgeber der örtlichen Zeitung an?«, fragte Stephanie. »Mensch, das ist wirklich was anderes als in Mord ist ihr Hobby!«

»Das Leben an der Küste von Maine ist selten so wie in Mord ist ihr Hobby«, sagte Dave trocken, »und damals lief es hier nicht anders als heute, Steffi, besonders wenn die Urlauber fort sind und nur noch wir da sind – die Einheimischen, die alle im selben Boot sitzen. Das ist nichts Romantisches, nur irgendwie … keine Ahnung, nenn es Sonnenscheinpolitik, wie in Korea. Wenn alle wissen, was es zu wissen gibt, braucht sich niemand unnütz das Maul zu zerreißen. Allerdings: Mordopfer! Gesetzesvertreter! Du preschst aber ganz schön weit vor, was?«

»Daraus kannst du ihr keinen Vorwurf machen«, entgegnete Vince. »Wir haben ihr den Floh selbst ins Ohr gesetzt, als wir ihr von dem vergifteten Eiskaffee drüben in Tashmore erzählten. Steffi, Chris Robinson hat zwei meiner Kinder auf die Welt geholt. Meine zweite Frau Ariette, die ich sechs Jahre nach Joannes Tod geheiratet habe, war gut mit den Robinsons befreundet, war in der Schule sogar mit Chris’ Bruder Henry zusammen. Es ist so, wie Dave sagt, aber es war mehr als rein geschäftlich.«

Er stellte sein Glas Cola (das er »meine Droge« nannte) auf der Brüstung ab, zog den Kopf ein und breitete die Hände aus. Stephanie fand die Geste charmant und entwaffnend – ich habe nichts zu verbergen, besagte sie. »Wir hocken hier draußen ziemlich dicht beisammen. So war es schon immer, und so wird’s wohl auch bleiben, denn viel größer werden wir hier nicht werden.«

»Gott sei Dank«, grummelte Dave. »Bloß keinen scheiß Wal-Mart. Entschuldige die Ausdrucksweise, Steffi.«

Sie lächelte ihn an und sagte: »Schon gut.«

»Jedenfalls«, fuhr Vince fort, »möchte ich jetzt, dass du den Gedanken an Mord vorerst vergisst, Steffi. In Ordnung?«

»Ja.«

»Ich denke, am Ende wirst du zu dem Schluss kommen, dass du ihn weder gänzlich vom Tisch wischen noch richtig drauf stehen lassen kannst. So ist das mit vielen Dingen bei Colorado Kid und deshalb eignet sich die Geschichte nicht für den Globe. Von Yankee, Downeast und Coast ganz zu schweigen. Sie hat sich nicht mal richtig für den Weekly Islander geeignet. Wir haben natürlich drüber berichtet, klar, schließlich sind wir ’ne Zeitung, Nachrichten sind unser Metier – auf mich warten Ellen Dunwoodie und der Hydrant, vom kleinen Sohn der Lesters ganz zu schweigen, der in Boston eine neue Niere bekommt, vorausgesetzt er hält lange genug durch –, und natürlich musst du den Leuten von der Heuwagenfahrt draußen auf dem Gernerd-Hof berichten, oder?«