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„‚Camelot’, sagte er.“

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Kohärentes Licht

Seit ich denken kann, verspüre ich einen so starken und heftigen Drang nach Gelehrsamkeit in mir, daß weder die Ermahnungen anderer, noch meine eigenen Überlegungen mich davon abhalten konnten, dieser natürlichen Neigung nachzugehen, die mir Gott gegeben hat. Er allein weiß den Grund; er weiß auch, wie heiß und innig ich ihn darum gebeten habe, das helle Licht des Verstehens von mir zu nehmen und nur so viel davon zu lassen, wie ich brauche, um nach seinem Gebot zu leben.

Denn es gibt Menschen, die sagen, daß alles andere Übermaß sei für eine Frau. Manche sagen auch, daß es schädlich sei.

Juana Ines de la Cruz, Antwort an den Bischof von Puebla (1691), der die Schriften dieser gelehrten Frau angriff, weil er sie als ihrem Geschlecht unangemessen erachtete.

Ich möchte dem Leser zu wohlwollender Überlegung eine Doktrin empfehlen, die ihm vermutlich unerhört paradox und umstürzlerisch erscheinen wird. Die fragliche Doktrin ist die folgende: Es ist nicht wünschenswert, an eine Behauptung zu glauben, wenn kein Grund vorliegt, sie für wahr zu halten. Ich gebe natürlich zu, daß eine solche Anschauung, wenn sie Gemeingut würde, unser Zusammenleben und unser politisches System von Grund auf verwandeln würde, und die Tatsache, daß beide zur Zeit nicht zu beanstanden sind, dürfte gegen jene Doktrin sprechen.

Bertrand Russell, Skepsis, I (1928)

Um die Äquatorialebene des blauweißen Sterns kreiste ein riesiger Ring aus Schutt — Felsbrocken, Eis, Metalle und organische Substanzen. An seiner Peripherie schimmerte der Ring rötlich, näher zum Stern hin bläulich. Durch eine Lücke in den Schichten dieses Ringes stürzte das gigantische Polyeder hindurch, um dann auf der anderen Seite wieder aufzutauchen. Im Bereich des Ringes befand es sich zeitweilig im Schatten der dahinrasenden Eisblöcke und Felsgebirge, fetzt aber, auf seiner Flugbahn zu einem Punkt über dem entgegengesetzten Pol des Sterns fortgetragen, glänzten die Millionen kugelförmigen Gebilde im Sonnenlicht. Ein genauer Beobachter hätte womöglich sehen können, wie eines davon seine Ausrichtung leicht korrigierte. Was niemand sehen konnte, waren die Radiowellen, die aus dem Polyeder in die Tiefen des Weltalls drangen.

Seit es Menschen auf der Erde gibt, ist ihnen der Nachthimmel Gefährte und Quelle der Inspiration zugleich gewesen. Die Sterne spendeten Trost. Sie zeigten, so glaubte man, daß das Himmelsgewölbe zum Wohle und zur Belehrung der Menschheit geschaffen worden war. Diese rührend menschliche Auslegung wurde auf der ganzen Welt zu einer anerkannten Wahrheit. Sie fehlte in keiner Kultur. Manche Menschen fanden über den Himmel Zugang zu religiösen Gefühlen. Viele wurden angesichts der Herrlichkeit und Größe des Kosmos von Ehrfurcht und Demut ergriffen. Andere wurden von ihm zu Höhenflügen der Phantasie angeregt. Genau zu dem Zeitpunkt, als die Menschen die wahren Ausmaße des Universums entdeckten und merkten, daß selbst ihre farbigsten Phantasien angesichts der Dimensionen auch nur der Milchstraße blasse Schatten blieben, taten sie Schritte, die zur sicheren Folge hatten, daß ihre Nachkommen die Sterne überhaupt nicht mehr sehen konnten. Eine Million Jahre lang waren die Menschen aufgewachsen mit einem aus direkter sinnlicher Wahrnehmung herrührenden, sich täglich erneuernden Wissen um das Himmelsgewölbe. In den letzten Jahrtausenden hatten sie angefangen, Städte zu bauen und dorthin zu ziehen. Und in den letzten Jahrzehnten hatte ein Großteil der menschlichen Bevölkerung sein ländliches Leben aufgegeben. Mit dem Fortschritt der Technik und der Verschmutzung der Städte wurden die Nächte sternenlos. Neue Generationen wuchsen in völliger Unkenntnis des Himmels heran, der ihre Vorfahren noch gefesselt und das moderne Zeitalter der Wissenschaft und Technologie in Gang gesetzt hatte. Ohne auch nur zu bemerken, daß gerade für die Astronomie ein goldenes Zeitalter anbrach, schnitten sich die meisten Menschen vom Himmel ab. Die Isolation vom Kosmos fand erst mit dem Beginn der Erforschung des Weltraums ein Ende.

Immer, wenn Ellie zur Venus hinaufsah, stellte sie sich vor, daß es dort vielleicht eine Welt gab, die der Erde glich — besiedelt von Pflanzen, Tieren und Zivilisationen, allerdings ganz anderen Arten als auf der Erde. Kurz nach Sonnenuntergang stand Ellie am Rande der Stadt und sah zum nächtlichen Himmel auf. Immer wieder starrte sie fasziniert auf den stetig brennenden, hellen Lichtpunkt der Venus. Im Vergleich zu den Wolken direkt über ihr, die noch von der Sonne erleuchtet wurden, schien er fast gelb zu sein. Sie versuchte sich auszumalen, was dort oben vor sich ging. Dazu stellte sie sich auf die Zehenspitzen, um dem Planeten näher zu sein. Manchmal konnte sie sich fast selbst davon überzeugen, daß sie etwas sah. Der gelbe Nebelschleier lichtete sich dann plötzlich und gab für einen Moment den Blick auf eine große Stadt aus Edelsteinen frei. Luftautos sausten zwischen den kristallenen Turmspitzen hindurch. Manchmal stellte sie sich vor, daß sie in eines dieser Autos hineinsehen und einen von denen dort oben erspähen konnte. Oder sie stellte sich einen jungen Bewohner der Venus vor, der zu einem Punkt hellen, blauen Lichts an seinem Himmel hinaufsah und sich Gedanken über die Bewohner der Erde machte. Der Gedanke war unwiderstehlich: Ein tropisch schwüler Planet, überquellend vor intelligenten Lebewesen, und sozusagen direkt vor der eigenen Haustür.

Ellie fand sich damit ab, bestimmte Dinge rein mechanisch auswendig lernen zu müssen, obwohl sie wußte, daß das bestenfalls ein Abklatsch wirklicher Bildung war. Sie lernte gerade soviel, wie notwendig war, um ihre Kurse gut zu bestehen. Ansonsten ging sie eigenen Interessen nach. Sie richtete es so ein, daß sie ihre unterrichtsfreien Stunden während des Schultags und manchmal auch eine Stunde nach der Schule in der schuleigenen Werkstatt verbringen konnte. Es war eine schmutzige, enge Werkstatt, die zu einer Zeit eingerichtet worden war, als die Schulen noch größeren Wert auf eine berufsorientierte Ausbildung legten. Heute galt das nicht mehr als modern. „Berufsorientierte Ausbildung“

bedeutete, vor allem mit den Händen zu arbeiten. In der Werkstatt gab es Drehbänke, Bohrer und andere Maschinen, die Ellie freilich nicht benutzen durfte, ganz egal, ob sie dazu imstande war oder nicht, denn sie war ja nur „ein Mädchen“. Nur widerstrebend gestattete man ihr, eigenen Projekten in der elektrotechnischen Abteilung der Werkstatt nachzugehen. Dort baute sie erst aus Einzelteilen Radios zusammen und wandte sich dann interessanteren Dingen zu. Zunächst baute sie ein Chiffrierungsgerät. Die Konstruktion war simpel, aber sie funktionierte. Man konnte eine beliebige englischsprachige Nachricht einlesen und mit Hilfe eines einfachen Schlüssels in einen Text transformieren, der wie Kauderwelsch aussah. Einen Apparat zu bauen, der genau das Umgekehrte tat, also eine chiffrierte Nachricht entschlüsselte, wobei man die Ersetzungsregeln nicht kannte, war allerdings viel schwieriger. Einen solchen Apparat konnte man alle Ersetzungsmöglichkeiten durchlaufen lassen (A steht für B, A steht für C, A steht für D…), oder sich daran orientieren, daß im Englischen einige Buchstaben häufiger vorkamen als andere. Von der Häufigkeit der Buchstaben konnte man eine Vorstellung bekommen, wenn man sich in der Druckerei nebenan die Größe der Behälter für jede Letter anschaute. „ETAOIN SHRDLU“, sagten die Jungs in der Druckerei, und damit war ziemlich genau die Reihenfolge der zwölf am häufigsten gebrauchten Buchstaben des Englischen angegeben. Beim Dechiffrieren einer langen Nachricht stand dann der Buchstabe, der am häufigsten auftauchte, für ein E. Außerdem entdeckte Ellie, daß bestimmte Konsonanten die Tendenz hatten zusammenzugehen. Vokale dagegen verteilten sich mehr oder weniger zufällig. Das gebräuchlichste Wort mit drei Buchstaben war in der englischen Sprache „the“. Wenn innerhalb eines Wortes ein Buchstabe zwischen einem T und einem E stand, handelte es sich größter Wahrscheinlichkeit um ein H. Wenn nicht, dann konnte man auf ein R oder einen Vokal wetten. Ellie leitete noch andere Regeln ab und verbrachte viele Stunden damit, die Häufigkeit von Buchstaben in verschiedenen Schulbüchern zu ermitteln, bevor sie entdeckte, daß solche Häufigkeitstabellen bereits zusammengestellt und veröffentlicht worden waren. Das Chiffrierungsgerät hatte sie nur zum eigenen Vergnügen gebaut. Sie verwendete es nicht, um Freunden geheime Nachrichten zu schicken. Sie wußte ja nicht einmal, mit wem sie offen über ihr Interesse für Elektronik und Geheimschriften hätte sprechen sollen. Die Jungen reagierten gereizt oder überheblich, und die Mädchen sahen sie nur hilflos mit großen Augen an.