Выбрать главу

Dhutu war wenigstens freundlich und half ihr bei den Feinheiten des Fliegens, wobei Yua feststellte, daß sie rasche Fortschritte machte. Sie schien instinktiv Entfernungen schätzen und die träge Luft ›fühlen‹ und ›sehen‹ zu können. Trotzdem fehlte es ihr noch an völligem Zutrauen zu ihrer Fähigkeit, so daß sie sich immer wieder an Bäume klammerte und ihren Weg häufig unterbrach. Dhutu war belustigt, aber geduldig, und bei den Zwischenaufenthalten erfuhr Yua mehr über die Kultur der Awbri.

Die Männer verbrachten ihre Zeit offenbar zumeist bei sportlichen Wettkämpfen und maßen sich auf andere Art miteinander, überwachten aber auch Wirtschaft und Handel und tauschten, was ihr Klan an Gütern hervorbrachte, aus gegen das, was benötigt wurde. Sie entschieden, was an den Asten und in den mit Dünger ausgefüllten Hohlräumen von Zweigen angebaut wurde; sie entschieden praktisch über alles. Nur Männer erhielten überhaupt eine Ausbildung. Yua empfand Dhutus Unwissenheit als beinahe schreckenerregend. Die Awbri-Frau betrachtete Lesen und Schreiben als Zauberei; Bücher und Schrift waren geheimnisvolle Symbole, die nur zu Männern ›sprachen‹. Sie hatte keine Ahnung, was im nächsten Hain außerhalb ihrer eigenen Nachbarschaft lag, und wußte auch nicht, daß sie sich auf einem Planeten befand — oder auch nur, was ein Planet sei. Sie wußte natürlich, daß es andere Rassen gab; die Sechsecke waren zu klein, als daß dies hätte verborgen bleiben können. Aber sie besaß keine näheren Kenntnisse von ihnen, denn sie waren alle Ungeheuer und zu begreifen nur von Klanführern. Und außerdem kannte sie keine Neugier.

Die Frauen verrichteten, wie sich zeigte, die Arbeit. Sie brachten nicht nur die Jungen zur Welt und zogen sie auf, sie ernteten die Äste ab, brachten die Ranken und Früchte ein, stellten den Spezialdünger für besseren Ertrag her und waren auch die Handwerker und Warenerzeuger. In Holz zu arbeiten, war hier komplizierte Arbeit, mußte aber geschehen, ohne den Baum abzutöten. Sie bauten und hielten verschachtelte Wohnungen im Inneren der Bäume instand und erzeugten die reichverzierten Holzarbeiten, die auffälligen Möbel, Kunstgegenstände und Haushaltgeräte, wie etwa Vasen. Sie bauten ferner fremdartige Musikinstrumente für kunstvoll gearbeitete Kompositionen — natürlich von Männern geschrieben — und die Werkzeuge und Waffen für ihre eigenen Arbeiten und die Sportarten der Männer.

Die beiden erreichten einen Baum — ihren Baum, erklärte ihr Dhutu — und landeten auf einem niedrigen Ast. »Das ist ein neuer Baum«, wurde Yua mitgeteilt, »das heißt, er ist bei einem Handel mit dem Mogid-Klan erworben worden, der zusätzliche Früchtepflanzungen benötigte. Wir hatten überzählige Fruchtbäume in der Nähe ihrer Grenze, sie besaßen einige freie Wohnbäume nahebei, und wir brauchten mehr Raum. Für uns war das sehr aufregend, weil so etwas vorher noch nie vorgekommen ist. Wir beginnen erst jetzt damit, den Baum richtig zu entwickeln, eine Arbeit, an der du dich beteiligen kannst.« Dhutu sagte es mit solcher Begeisterung, daß Yua vermutete, man erwarte von ihr, daß sie vor Freude außer sich sei.

Sie betraten eine große Höhlung und stiegen eine Leiter zu einem niedrigeren Geschoß hinunter, das schon stärker ausgebaut war. Die Bäume waren riesig; Yua vermutete, daß dieser hier einen Durchmesser von dreißig Metern und mehr haben mußte; das eigene Lebenssystem in seinem Außenbereich. Die Bäume schienen von Natur aus hohl zu sein, so daß sie wenig Schaden erlitten, wenn sie im Inneren bewohnt wurden, aber was dort getan worden war, erwies sich in der Tat als überaus eindrucksvoll.

Die neue Etage stand im Begriff, umgewandelt zu werden. Frauen waren eifrig damit beschäftigt, alles abzuschmirgeln. Sie gebrauchten Hobel und kleine Werkzeuge, um das Innere so umzubauen und umzugestalten, daß es eher von Hand gefertigt als natürlich gewachsen aussah. Sie taten das aber mit solchem Bedacht, daß die Konturen des Baumes und der verschiedenen natürlichen Gegebenheiten genutzt wurden. An verschiedenen Stellen wurde gleichzeitig geschmirgelt, gedrechselt, poliert und abgeschliffen, während Handwerkerinnen in das Holz komplizierte Muster einschnitten. Es war offensichtlich, daß auch der dicke Boden zum größten Teil natürlicher Art war, aber man hatte ihn so glatt gemacht, daß er völlig eben geworden war und wie poliertes Holz von Möbeln glänzte.

Dhutu blieb stehen und rief:»Meine Schwestern! Lernt unsere neue Schwester Yua kennen, die bei uns wohnen wird!« Die anderen unterbrachen ihre Arbeit, drehten sich herum, nickten ihr freundlich zu und arbeiteten weiter.

»Komm, daß wir dich unterbringen«, fuhr die Awbrierin fort, ging zu einer geschickt verborgenen Falltür, öffnete sie und kletterte hinunter. Yua folgte ihr. Es schien ihr nichts anderes übrigzubleiben.

Untere Geschosse waren fertig und wirkten dadurch noch eindrucksvoller. Das Faszinierendste schien die Art zu sein, wie ringsum eine Art Leuchtfirnis angebracht worden war, so daß das Licht ganz winziger, glasbedeckter Lampen die großen Räume zu erhellen vermochte. Der lebende Baum war so feucht, daß von den kleinen Öllampen fast überhaupt keine Brandgefahr ausging. Trotzdem wäre ein helleuchtendes Feuer, wie es unter normalen Umständen nötig gewesen wäre, um den Raum zu erhellen, viel zu gefährlich gewesen, selbst wenn es einen Rauchabzug gegeben hätte.

In einer bestimmten Etage hielten sie sich überhaupt nicht auf; diese war vom Boden bis zur Decke durch Vorhänge verhüllt. »Die Unterkunft der Männer«, erklärte Dhutu, als sie weiterstiegen. Das nächste Geschoß enthielt Unterkünfte für eine Reihe älterer Awbri-Frauen, den Aufseherinnen dieser Welt. »Alle über ihre Zeit hinaus«, flüsterte Dhutu geheimnisvoll. »Man muß ihnen stets Respekt bezeugen.«

Yua wurde zu einer alten Awbri-Frau geführt, die auf einem großen weichen Kissen lag wie eine Katze. Yua brauchte keinen Hinweis, um zu wissen, daß diese Frau sehr alt war; ihr Schnabel zeigte Altersflecken; ihre Hände waren faltig und runzlig, und sie war so dünn, daß sie beinahe wie ein Skelett aussah; ihre Haut, wegen der Membranen schon schlaff, schien überall, vom Gesicht bis zum Schwanz, herabzuhängen.

»Verehrte Großmutter«, sagte Dhutu mit einer leichten Verbeugung, »das ist die, deren Ankunft man uns mitgeteilt hat.«

Die alte Frau blickte kurzsichtig zum Neuzugang hinauf. Schließlich sagte sie mit spröder, brüchiger Stimme:»Du bist diejenige, die einmal ein anderes Wesen war?«

Yua entschied, daß es in diesem Stadium besser war, die führende Garnitur, vor allem die untere, nicht zu verärgern; sie nickte deshalb und schwieg.

Die Alte schien zufrieden zu sein.

»Es wird dir hier nicht gefallen«, sagte sie abrupt.

Yua fand, daß das nach einer Antwort verlangte.

»Es ist nicht das, was ich gewöhnt bin«, erwiderte sie. »Ich bewundere die Bäume und die Leistung, aber nicht alle Gebräuche, von denen ich höre, daß ihr sie hier habt.«

Die Alte nickte.

»Was hast du vorher gemacht?« fragte sie.

»Ich war eine Sprecherin, eine, die reiste, eine… eine religiöse Führerin«, erwiderte Yua, nach den richtigen Worten in der neuen Sprache suchend.

»Du könntest also ein Buch so halten, daß es zu dir spricht?«

Yua nickte.

»Das könnte ich — aber in meiner alten Sprache, versteht sich.«

Die ältere Frau seufzte.

»Dir wird es hier gar nicht gefallen«, wiederholte sie mit Nachdruck, dann verstummte sie für so lange Zeit, daß Yua verlegen wurde und fürchtete, die Alte sei eingeschlafen. Aber Dhutu blieb in achtungsvoller Haltung stehen, so das Yua es für angebracht hielt, ihrem Beispiel zu folgen.

Schließlich öffnete die alte Frau ihre Augen wieder und sah Yua an.

»Du wärst besser Zimmererin, Landwirtin oder Handwerkerin gewesen«, krächzte sie. »Du hast keine Fähigkeiten, die hier von Nutzen wären, so daß du nur für die langweiligste, eintönigste Hilfsarbeit zu gebrauchen bist. Sie wird dich wahnsinnig machen. Du wirst versuchen, deine Schlauheit zu zeigen, und wenn es etwas gibt, das die Männer von Frauen nicht hinnehmen, dann das. Du wirst eine Bedrohung sein, und Bedrohungen muß man ausschalten. Schließlich wird man dich zu einem Heilenden schicken, und dann wirst du nicht mehr denken.«