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Mit einem kühnen und unerschrockenen Satz springe ich ins Bett, genau neben den stöhnenden Thomas. Es ist wirklich erstaunlich, dass Carolin ihn nicht hört, denn sie liegt mehr oder weniger unter ihm. Ich erwähnte es bereits: Menschen haben wirklich grottenschlechte Ohren. Aber keine Sorge, Thomas, du hast ja jetzt einen neuen treuen Freund. In seinen Schmerzen windet er sich regelrecht, das Gesicht nach unten gedreht. Ich schlecke ihm schnell den Nacken ab, er soll wissen, dass Hilfe nah ist. Er zuckt zusammen. Dann beginne ich, möglichst laut zu bellen. Schließlich soll Carolin endlich aufwachen.

Das Nächste, an was ich mich noch erinnern kann, ist, dass ich quer durch den ganzen Raum fliege und sehr unsanft neben der Tür lande. Dann wird es plötzlich ganz hell. Thomas - wie durch ein Wunder spontan genesen - steht über mir und funkelt mich böse an.

»Du Scheißköter! Was fällt dir ein! Dich mach ich platt!«

Er holt aus - will er mich etwa schlagen? Ich versuche, mich wegzuducken. Nur wohin? In Panik jaule ich auf. Zur Hilfe - was ist hier bloß los?

In diesem Moment steht auf einmal Carolin hinter Thomas. Von dem ganzen Lärm ist sie nun doch aufgewacht. Sie packt Thomas von hinten an der Schulter und zerrt ihn zurück.

»Unterstehe dich, Herkules ein Haar zu krümmen! Er hat uns schließlich nicht absichtlich gestört.«

Thomas fährt zu ihr herum. »Bitte? Die Töle springt in unser Bett, als ich gerade richtig in Fahrt bin, und du verteidigst sie? Dem dummen Vieh werde ich gleich mal zeigen, was ich von seiner kleinen Einlage halte.«

»Thomas!«, kommt es jetzt ganz scharf von Carolin. »Du lässt sofort die Finger von Herkules. Sofort!«

Sie bückt sich zu mir herunter und nimmt mich auf den Arm. Mittlerweile zittere ich wie Espenlaub. Das ist einfach zu viel für mein empfindliches Nervenkostüm. Und überhaupt verstehe ich nur noch Bahnhof: Was heißt hier stören? Und in Fahrt? Thomas soll doch froh sein, dass wenigstens ich seinen kritischen Zustand erkannt habe. Stattdessen hatte er ernsthaft vor, mich zu vermöbeln. Und mein Dackelpo tut auch noch weh von dem Tritt, den er mir im Bett verpasst hat. Ich fange an zu winseln. Noch nie bin ich so ungerecht behandelt worden. Gegen diesen Psychopathen ist der alte von Eschersbach ja die Mildtätigkeit in Person!

»Du Armer, du zitterst ja ganz doll!« Carolin drückt mich an sich und presst ihr Gesicht in meinen Nacken. »Keine Angst, ich bin bei dir. Ich passe schon auf dich auf.«

Thomas schnauft verächtlich. »Also echt, Carolin. Hast du jetzt etwa ein erotisches Verhältnis zu einem Hund? Dir scheint die Unterbrechung ja überhaupt nichts auszumachen. Wahrscheinlich war sie dir ganz recht. Musst du wenigstens nicht wieder sagen, dass du Kopfschmerzen hast.«

Halt maclass="underline" Thomas stöhnt, und Carolin hat Kopfschmerzen? Unterbrechung wovon? So sehr ich mir auch Mühe gebe, ich kann mir überhaupt keinen Reim darauf machen. Nur eins ist völlig klar: Mein Versuch, bei Thomas gut Wetter respektive Dackel zu machen, ist gründlich danebengegangen. Und ich weiß nicht mal, warum. Ob ich meinen neuen Kauknochen wohl mit ins Tierheim nehmen darf? Wobei es auch egal ist, wahrscheinlich nehmen mir Bozo und Boxer den als Erstes weg.

Die restliche Nacht verbringe ich in meinem Körbchen. Obwohl ich todmüde bin, kann ich nach diesem ganzen Desaster natürlich erst recht nicht schlafen. Ab und zu hebe ich ein Öhrchen an und lausche in die Dunkelheit. Völlige Stille. Aber selbst wenn ich wieder ein Geräusch hören würde - keine zehn Pferde brächten mich noch einmal in einen Raum, in dem sich auch dieser Thomas aufhält.

Die Sonne scheint durch die Werkstattfenster, mehrere einladende Fleckchen bilden sich auf dem alten Dielenboden und rufen »Komm, Carl-Leopold, leg dich auf mich und ruh dich ein bisschen aus!« Diese Aufforderung kommt mir sehr gelegen, die letzte Nacht steckt mir noch ziemlich in den Knochen. Ich schwanke nur, ob ich mir ein Fleckchen in Carolins Raum aussuchen soll, oder ob ich mich neben den Tisch lege, an dem Daniel gerade arbeitet.

Schließlich lege ich mich neben Daniel. Ich fühle mich ziemlich mickrig und habe Angst, dass Carolin mir die ganze Geschichte auch übelnehmen könnte. Hat sie zwar mit keinem Wort gesagt, aber es ist mir doch noch ein bisschen unangenehm. Denn irgendetwas habe ich wohl komplett falsch gemacht. Auch wenn ich nach gründlichem Nachdenken immer noch nicht weiß, was eigentlich. Aber dass mich Carolin nun schon wieder vor Thomas verteidigen musste, das ist mir wirklich peinlich.

»Na, wie war dein Wochenende? Wie lebt es sich mit deinem neuen Hund?«, will Daniel von Carolin wissen.

Ich klappe die Ohren an und senke die Nase zwischen meine Vorderläufe. Die Geschichte, die jetzt unweigerlich kommen wird, will ich gar nicht hören.

»Du - super! Thomas ist auch ganz begeistert von dem kleinen Kerlchen. Na ja, du weißt ja, wie tierlieb er ist.«

Hä? War heute Morgen was im Futter? Offensichtlich halluziniere ich.

»Echt? Ne, wusste ich gar nicht, dass er Tiere so gerne mag. Aber umso besser, dann werden die beiden sich sicher blendend verstehen. Können sie ja mal allein wandern gehen oder ein Überlebenstraining machen oder was man sonst so als richtig harter Kerl mit seinem Hund unternimmt.«

Täusche ich mich, oder höre ich da eine feine Ironie in Daniels Worten? Das ist übrigens für mich als Hund gar nicht so leicht zu unterscheiden - Menschen benutzen oft die gleichen Worte und meinen dann etwas völlig anderes. Erinnere mich noch gut, wie von Eschersbach erst sagte »Feiner Hund, gute Idee!«, als ich mit nassen Pfoten auf das Sofa im Salon gesprungen war, dann aber anschließend mit seinem Gehstock ausholte und mir damit auf die Hinterläufe schlug. Ich konnte mich zwei Stunden überhaupt nicht beruhigen, bis mir Mama erklärte, dass Menschen oft das Gegenteil von dem sagen, was sie meinen, um damit klarzumachen, dass sie das auf keinen Fall meinen. Verrückt, oder? Im Kopf eines Menschen muss es ein paar sehr unpraktische und überflüssige Windungen geben. Wahrscheinlich, weil sie ihn durch ihren aufrechten Gang viel zu hoch über der Erde tragen. Das ist ganz offensichtlich nicht gut für's Gehirn.

Interessant ist in diesem Zusammenhang allerdings auch die Frage, wie Carolin dazu kommt, so etwas zu erzählen? Warum will sie nicht zugeben, dass unser Start in die gemeinsame Zukunft eine totale Pleite war? Ist Tierliebe vielleicht etwas, was den Wert des Menschenmännchens erhöht? So wie etwa Raubwildschärfe, Wachtrieb und Schussfestigkeit den herausragenden Jagdhund auszeichnen? Mit herausragenden Jagdhunden kenne ich mich nämlich bestens aus: Mama war dreimal im Finale des Bundeschampionats, die Regale auf Schloss Eschersbach biegen sich unter ihren Pokalen, und nie bekam sie eine schlechtere Note als »Vorzüglich 1«, kurz V1. Also wenn Tierliebe quasi in den Katalog gehört, und Carolin demonstrieren möchte, dass Thomas ein Kandidat für V1 ist, dann macht ihre Geschichte natürlich Sinn. Aber andererseits sieht sogar ein kleiner Hund wie ich auf den ersten Blick, dass Thomas höchstens ein »Genügend« bekommen würde, selbst mit Tierliebe. Wenn sie denn tatsächlich vorhanden wäre.

Aber zurück zum Thema Ironie: Ehrlicherweise hoffe ich, dass Daniel das gerade nicht so gemeint hat. Denn die Kombination der Worte Thomas mit allein und Überlebenstraining wecken bei mir ganz andere Assoziationen als die von großartiger Freundschaft zwischen Mensch und Hund. Vielmehr sehe ich vor meinem inneren Auge Thomas, wie er mich über einen Felsvorsprung in einen sehr tiefen Abgrund befördert oder mich in einem einsamen Wald an einen Baum bindet und einfach geht. Dann lieber wieder Tierheim. Vielleicht kann ich dort mit Fritz, der leider bestimmt noch da ist, eine Hunde-WG gründen, und wir bekommen einen eigenen kleinen Zwinger? Meinetwegen auch neben dem Katzengehege - rückblickend stelle ich nämlich fest, dass es eigentlich ganz lustig war, Beck in den Schwanz zu beißen.