Hertzog blinzelte.
»Vielleicht hatte er einen Gehirnrumor, oder so etwas«, sagte Bach.
»Ganz wie Sie meinen.« Hertzog zuckte eindeutig missbilligend mit den Schultern, nahm aber trotzdem eine kleine, motorbetriebene Knochensäge und brachte mich dazu, meinen Gedanken von gerade zu revidieren: der unangenehme Teil kam erst.
Offenbar erging es nicht nur mir so. Walt würgte, schlug die Hand vor den Mund und stürmte zur Tür. Er musste zwei-, dreimal mit der flachen Hand dagegenschlagen, ehe sie von außen geöffnet wurde; und auch dann erst, nachdem Bach mit erhobener Stimme sein Okay gegeben hatte.
Steel grinste schadenfroh, vor allem, als auch ich mich herumdrehte und einen Schritt in Richtung Tür machte. »Macht dein Magen nicht mit?« fragte er.
»Lassen Sie ihn, Lieutenant«, sagte Bach streng. »Sie können draußen warten, John. Ich rufe Sie, wenn ich Sie brauche.«
Ich nickte dankbar. Hinter mir heulte Hertzogs Knochensäge schriller auf, und plötzlich hatte auch ich es eilig, den Raum zu verlassen. Normalerweise bin ich nicht besonders empfindlich, aber ich war der Meinung, dass ich mir für einen Tag hinlänglich genug selbst bewiesen hatte, wie tapfer ich doch war.
Walt stand auf der anderen Seite des Ganges und versuchte mit zitternden Fingern, sich eine Zigarette anzuzünden. Er war sehr blass.
»Alles in Ordnung?« fragte ich.
»Sicher.« Walt nahm die zweite Hand zu Hilfe, um das Feuerzeug ruhig zu halten, und sog gierig an seiner Zigarette. »Mir geht es großartig. Warum?«
Das Kreischen der Knochensäge drang selbst durch die geschlossene Labortür. Ich sparte mir eine Antwort, und schluckte ein paarmal, um die bittere Galle loszuwerden, die sich unter meiner Zunge angesammelt hatte.
»Kommt so etwas öfter vor?« fragte ich.
»Obduktionen?«
»So etwas wie gestern Abend«, antwortete ich.
Walt schüttelte den Kopf, sog nervös an seiner Zigarette und nickte praktisch gleichzeitig. »Nicht so«, sagte er. »Wir haben ein paar ... getroffen. Aber sie haben nie versucht, jemanden umzubringen.«
»Sie?«
Walt sah hoch, blickte einen Moment lang mich und einen etwas längeren Moment die Tür zum Labor an und sagte dann halblaut: »Frag ihn.«
Da war ein Ton von Verbitterung in seiner Stimme, der mir nicht gefiel. Dass Bach Geheimnisse vor seinen Leuten hatte, überraschte mich nicht. Selbst in einer Organisation, die sich mit weitaus weniger brisanten Themen beschäftigte, wäre das ganz normal gewesen. Aber ich fragte mich, ob Bach vielleicht den schmalen Grat zwischen Geheimnissen und kränkendem Misstrauen kannte.
»Was wolltest du vorhin von ihm?« fragte Walt plötzlich.
»Vorhin?«
»Auf dem Weg hierher.« Walt machte eine Kopfbewegung den Gang hinunter. »Ihr habt geflüstert. Worüber?«
Ich fand, dass ihn das im Grunde nichts anging. Aber Walt war mir irgendwie sympathisch. Obwohl sich die beiden Männer nicht im geringsten ähnelten, erinnerte er mich an Mark. »Ich wollte Kim anrufen, aber der große Meister erlaubt es nicht.«
»Mach dir keine Sorgen. Man kann eine Menge über Bach sagen, aber er kümmert sich um seine Leute. Manchmal sogar ein bisschen zu sehr.«
Diese letzte Bemerkung irritierte mich, aber Walt wandte sich mit einer demonstrativen Bewegung um und sog heftig an seiner Zigarette, so dass ich keine entsprechende Frage mehr stellte. Stattdessen drehte ich mich ebenfalls herum und ging ins Labor zurück.
Das Kreischen der Knochensäge hatte aufgehört, aber ich war trotzdem nicht lange genug draußen geblieben, um das Schlimmste zu verpassen. Hertzog hatte einen sauberen Schnitt rings um Brandons Kopf ausgeführt und war gerade dabei, seine Schädeldecke abzuheben wie das obere Drittel einer geöffneten Kokosnuss. Die Gehirnmasse, die darunter zum Vorschein kam, war voller Blut, aber das schien Hertzog nicht zu irritieren; wahrscheinlich war es nur eine Folge des Eingriffes, den er selbst ausgeführt hatte.
»Na, dann wollen wir mal sehen, was wir da haben«, sagte Hertzog in - meiner Meinung nach - völlig unangemessen fröhlichem Tonfall. »Das sieht ja eigentlich ganz normal ...«
Er blinzelte, beugte sich weiter vor und begann mit einem Skalpell in Brandons Gehirn herumzustochern. »Was ist denn das?« murmelte er. »Es - mein Gott!«
Hertzog prallte so überrascht zurück, dass auch Bach einen hastigen Schritt zur Seite tat, um nicht unliebsame Bekanntschaft mit seinem Skalpell zu machen. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Steels rechte Hand unter die Jacke glitt.
»Was ist los?« fragte Bach alarmiert.
»Es ... es bewegt sich«, stammelte Hertzog. Sein Gesicht hatte alle Farbe verloren. »Sein Gehirn. Etwas darin ... bewegt sich!«
»Vielleicht nur ein ... ein Nervenzucken oder so etwas«, sagte Steel nervös. »So etwas soll es doch geben. Wie bei einem Huhn, das ohne Kopf weiterläuft.«
Bach würdigte ihn nicht einmal eines Blickes. Er drückte mit einer übertrieben ausholenden Bewegung Hertzogs Hand herunter, die immer noch nervös mit dem Skalpell herumfummelte, und wies mit dem anderen Arm auf Brandon.
»Doktor, ist dieser Mann nun tot oder nicht?« fragte er.
Wäre die Situation nicht so grausam gewesen, hätte ich schallend gelacht. Brandon war aufgeschlitzt wie eine Weihnachtsgans, die fürs Stopfen vorbereitet ist. Die Hälfte seiner Organe lag in verschiedenen Schalen und Behältnissen auf dem Tisch, und seine Schädeldecke lag neben seinem Gesicht. Der Mann war so tot, wie es nur ging.
Trotzdem sah Hertzog Bach nur eine Sekunde lang nervös an, dann nahm er sein Stethoskop, horchte Brandons geöffnete Brust ab und leuchtete ihm anschließend mit einer winzigen Taschenlampe in die Pupillen.
»Keine Lebenszeichen«, sagte er. Dann schüttelte er den Kopf. »Trotzdem ... die Leichenstarre hätte längst eintreten müssen. Und der Körper scheint mir ... zu warm.«
»Sein Gehirn, Doktor«, erinnerte Bach.
Hertzog nickte nervös, legte die Taschenlampe mit einer übertrieben pedantischen Bewegung auf den Tisch zurück und ging dann mit langsamen Schritten an Bach und mir vorbei, um sich wieder Brandons geöffnetem Schädel zuzuwenden. Es war offensichtlich, dass er um jeden Preis Zeit gewinnen wollte, und seien es nur ein paar Sekunden.
»Geben Sie mir das Endoskop, Mister ...«
»Loengard«, antwortete ich. »John.«
Hertzog nickte. »John. Der schwarze Schlauch, dort auf dem Schrank.«
Ich reichte ihm das Instrument, ein knapp zwei Fuß langes, kleinfingerdickes Kabel mit einer winzigen, aber sehr starken Lichtquelle an einem Ende und einer Art Okular am anderen. Hertzog schaltete die Lampe ein, presste das linke Auge gegen das Okular und kniff das andere zu, während er den Schlauch vorsichtig in Brandons Schädel hineinschob. Mein Magen begann schon wieder zu revoltieren, aber ich war viel zu aufgeregt, um darauf zu achten. Hertzog wirkte hypernervös, und auch Steel trat unbewusst immer wieder von einem Fuß auf den anderen, aber Bachs Reaktion stimmte mich sehr nachdenklich. Auch er war sehr angespannt, aber zugleich hatte ich auch den Eindruck, dass er nicht besonders überrascht war. Ganz im Gegenteil, schien er ... auf etwas zu warten.
»Nichts«, murmelte Hertzog. »Wahrscheinlich habe ich mich getäuscht. Nur ein geplatztes Blutgefäß, oder ...«
Der Schlauch zuckte. Hertzog schrie auf, ließ das Gerät fallen und prallte mit einem entsetzten Laut zurück, aber das Endoskop fiel nicht zu Boden, sondern zuckte wild weiter hin und her wie eine schwarze, peitschende Schlange. Erst nach endlosen Sekunden hörte die Bewegung auf.
»O mein Gott!« wimmerte Steel. »Was ...«
»Halten Sie den Mund, Steel«, sagte Bach. »Also gut. Ab sofort gilt Alarmstufe eins. Der gesamte Sektor wird abgeriegelt. Gehen Sie hinaus und schaffen Sie die Leute aus dem Korridor, und dann gehen Sie in die Kältekammer und bringen Specimen A3 hierher. Und jetzt schließen Sie die Tür, Lieutenant - von außen!«