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«Ach ja«, sage ich und ziehe mich eine Weile, von den Rabenhofleuten laut geschmäht, aus dem Gespräch zurück.

«Wir haben hier eine gute Luft«, sagt der Stadtrat zum größten Starautor der westlichen Welt. Der Mitarbeiter der Wiener Village Voice bestätigt das. Der größte Starautor der westlichen Welt nickt und sagt mit unverändertem Lächeln leise zu Danieclass="underline" »Ich wäre lieber tot als hier. «Dann reden sie weiter über Materialismus. Mir fällt eine schöne Stelle aus dem Schwejk ein, an der der betrunkene Feldkurat sagt:»Alkohol trinken ist gemeiner Materialismus!«, und aus einem mir selbst nicht erklärbaren Bedürfnis heraus, für Scherz und Laune zu sorgen, versuche ich sie zu erzählen, aber wieder gelingt mir nicht mehr als ein Stammeln.

Nachdem ich einige Zeit von Dunkelheit umgeben war, fallen mir an der rechten Tischflanke leere Plätze auf. Ich erinnere mich, jemandem die Hand gegeben zu haben, darunter auch der deutschen Kritikerin. Mir wird bewußt, daß erneut schreckliche Dinge um mich herum vorgehen. Der Mitarbeiter der Wiener Village Voice scheint mich schon eine Weile zu piesacken, so unsicher habe ich ihn noch nie gesehen. Er nennt mich klein und dick. Da ich allenfalls dicklich, aber nicht klein bin, sage ich ihm, er rede Blödsinn. Die Rabenhofleute brüllen dazwischen, lachen und johlen, und ich sage dem Mitarbeiter der Wiener Village Voice, er solle sich nicht immer so intensiv mit meinem Körper auseinandersetzen. Das Wort Homosexualität fällt. Entrüstet ruft er:»Was? Ich? Wer hat denn mir vorher am Oasch gegriffen?«

In diesem Augenblick beugt sich der größte Starautor der westlichen Welt vor und sagt lächelnd zur deutschen Lektorin:»Ulrike, could we leave now?«

Nachdem er sich von allen, auch mir, mit unerschütterlicher Freundlichkeit verabschiedet hat, setze ich mich wieder und stiere vor mich hin. Ich unterhalte mich mit jemandem, weiß aber nicht, wer es ist, bis ich das Kasuargesicht erkenne. Auch die Rabenhofleute sind geblieben. Der Stadtrat spricht mit Gratzer. Irgendwann finde ich mich erneut in einem Streit mit jemandem vom Rabenhof wieder (ich habe längst die Fähigkeit eingebüßt, Stimmen voneinander zu unterscheiden), und ich beschließe, es ist genug. Ohne mich von jemandem zu verabschieden und ohne zu bezahlen, marschiere ich aus dem Lokal.

Im Taxi ist das Fenster offen. Ich bitte den Fahrer, es zu schließen. Es ist ihm völlig egal.

Vier

Ungeschickterweise habe ich mich im Sommer bereit erklärt, als Jurymitglied zu fungieren. Nicht für Literatur, nein, ich soll mitbestimmen, wer den Wiener Filmpreis bekommt. Zur Auswahl stehen 22 Dokumentar- und Spielfilme. Die begutachte ich seit einigen Tagen, weil die Jurysitzung näher rückt. Etwa die Hälfte ist erledigt, und ich habe das Grauen gesehen.

Else ist mit Stanislaus für zwei Tage in Graz. Ich trinke im IO Kaffee, dann setze ich mich zu Hause vor den Fernseher und schiebe Film Nummer 13 in den DVD-Player. Ein dokumentarisch aufgebauter Spielfilm. Oder umgekehrt? Er handelt von einem Kärntner Slowenen, der in Wien lebt und aus irgendeinem Grund sein Heimattal nahe Klagenfurt besuchen muß. Er fährt mit dem Zug. Ja nun, wie wird das dargestellt? Wien, Klappe, neue Szene Heimattal? Nein, man sieht die halbe Zugfahrt. Irgendein uninteressanter Kerl, der in einem Zugabteil sitzt, während draußen der Semmering zu sehen ist. In der Art geht es weiter. Nach einer halben Stunde reicht es mir. Ich notiere mir ein paar Worte dazu und nehme mir Film Nummer 14 vor.

Das Telefon läutet, es ist Daniel. Wir reden eine Stunde, ich habe ohnehin keine große Lust, zu den diesjährigen Meisterwerken des deutschsprachigen Avantgardefilms zurückzukehren. Daniel ist nervös. Erstens steht die Verleihung des Deutschen Buchpreises an, zweitens hat der größte Starautor der westlichen Welt ihn um seine Emailadresse gebeten, er will ihm schreiben. Jetzt wartet Daniel.

«Du verstehst das nicht«, sagt er,»ich verehre den Mann wirklich.«

Ich stelle mir vor, ich rufe meine Mails ab, und da steht:

Posteingang (1)

Mario Vargas Llosa

Kamera Morder

16k

Ja, das wäre ein Erlebnis.

Hunger. Ich gehe zum Naschmarkt. In der festen Absicht, ein anderes Lokal als den Inder zu besuchen. Ich schleiche umher und finde nichts Einladendes. Ich erwäge, ins Umar zu gehen, der Fisch dort ist gut, aber wer ißt schon allein Fisch? Wo zum Teufel soll ich nur hin?

«Guten Tag«, sagt Herr Chandihok freundlich.

Am Abend rufe ich mir ein Taxi. Es soll mich zum Theater im Hundsturm bringen. Wie, Theater? hat Else am Telefon gefragt, du gehst ins Theater? Ihr Erstaunen ist nachvollziehbar, denn ich gehe nie ins Theater. In diesem Punkt hatte Werner Schwab recht: Theater ist metaphysisches Bodenturnen. Aber ich will einmal eine Performance von Elke Krystufek erleben. Aufmerksam wurde ich auf die Veranstaltung durch ein Foto im Magazin profil, das die Künstlerin zeigt, natürlich nackt, denn Frau Krystufek ist für ihre freizügigen Darbietungen bekannt.

Es ist eiskalt und dunkel, das Taxi kommt erst nach einigen Minuten. Die Fahrt verläuft ohne Gerede, das und die Tatsache, daß der Fahrer nicht riecht, versöhnt mich und läßt mich von acht auf zehn Euro aufrunden. In der kalten Jahreszeit riecht in Wien so mancher Taxifahrer, und man freut sich, wenn mal einer keine hygienischen Auffälligkeiten zeigt, den Weg findet und keine Torheiten über Politik redet (Inländer) bzw. nicht alle vor ihm fahrenden Frauen als Huren beschimpft (Orientale).

Viele Leute vor dem Haus. Am Abgang zur Kasse drückt mir eine Person (ob Mann, ob Frau, wer weiß es) ein Faltblatt in die Hand. Zerstreut lese ich und erfahre, daß der Abend von Elke Krystufek gemeinsam mit einer Schauspielgruppe» erarbeitet «worden ist, und im Zentrum des Abends stehen Gedichte von Elfriede Jelinek. Neben der Person mit den Faltblättern steht eine zum Clown geschminkte und gewandete Frau auf einem Podest aus Bierkisten und deklamiert ein Gedicht. LISAS SCHATTEN! ruft sie theatralisch, LISAS ARME, und den Rest höre ich nicht, weil ich eingeschüchtert bin und froh, daß mein Handy läutet und ich nach draußen gehen kann, um zu telefonieren.

Es ist Thomas Maurer. Wir reden über die bevorstehende Premiere seines neuen Programms. Er schweigt sich darüber aus, aber ich merke, ganz im reinen ist er nicht damit. Ich entschuldige mich, ich müsse das Gespräch beenden, um ins Theater zu gehen.

«Theater? Was gibt man?«

Ich lese vom Zetteclass="underline" »Lisas Schatten. Eine Inszenesetzung einiger Gedichte Elfriede Jelineks, gemeinsam erarbeitet von Elke Krystufek und der Schauspielgru…«

«Sehr gut«, unterbricht mich Maurer,»da siehst du wenigstens eine nackte Scheide.«

In Wahrheit sagt er nicht Scheide, er drückt sich volksnäher aus.

«Meinst du?«

«Natürlich, das ist bei Krystufek-Abenden immer so.«

Die Clownsfrau steht noch immer da. LISAS SCHATTEN usw., und ihr Ton ist so albern, so aufgesetzt und bemüht künstlerisch, daß ich gern schon unten wäre an der Kasse. Aber vor mir eine Menschenschlange. Ich stelle mich an. Nichts tut sich. Ich kann die Kasse sehen. Da sitzt ein bärtiger junger Kerl, der aussieht, als würde er gewöhnlich beim Kommunistenfest Rum ausschenken, und blättert in Listen.

Die Abfertigung der Interessenten dauert rätselhaft lange. Was, frage ich mich, kann so schwierig sein, hier Karte, da Geld, und der Nächste bitte. Aber es dauert. Nur alle paar Minuten kann ich eine Treppenstufe tiefer steigen. Um acht soll die Vorstellung beginnen.

Ich betrachte die Leute vor mir. Hauptsächlich junge Menschen, jedenfalls unter Vierzig. Kunstinteressiertes Publikum, schwarze Kleidung, einige Parkas, viel fettiges Haar. Von hinten schallt LISAS SCHATTEN, gefolgt von weniger verständlichem Geheul. Mir wird allmählich heiß in der Menge.