Выбрать главу

Er fühlte, wie ihr warmes Blut über seine Hand lief und auf das Leder des Sitzes tropfte. Ihre Augen schienen zu lächeln, aber ansonsten war ihr Gesicht völlig ausdruckslos. Selbst im Augenblick des Todes, das sah er, zeigte sie keine Angst. Nun, das war doch etwas, nicht wahr?

«Alles in Ordnung, Herr Spalko?«, fragte sein Fahrer von vorn aus.

«Jetzt schon«, sagte Stepan Spalko.

Kapitel siebenundzwanzig

Die Donau war kalt und dunkel. Bourne klatschte als Erster in den Fluss, wo das Abflussrohr mündete, aber es war Chan, der in Schwierigkeiten geriet. Dass das Wasser eiskalt war, bedeutete ihm nichts, aber die Dunkelheit brachte ihm die albtraumhaften Schrecken seines wiederkehrenden Traums.

Durch den Schock, unter Wasser zu sein, dessen Oberfläche so weit über ihm lag, kehrte das Gefühl zurück, an dem Seil an seinem Fußknöchel hänge eine weiße, halb verweste Leiche, die in der Tiefe langsam kreiselte. Li-Li rief ihn… Li-Li wollte, dass er zu ihr kam…

Er spürte, wie er, sich überschlagend, ins Dunkel, in noch tieferes Wasser glitt. Und dann, ganz plötzlich und erschreckend, zerrte etwas an ihm. Li-Li? fragte er sich in Panik.

Im nächsten Augenblick glaubte er, die Wärme eines anderen Körpers zu spüren: größer und trotz seiner Wunden noch immer bärenstark. Er fühlte Bournes Arm, der seine Taille umschlang, und spürte die Kraft in Bournes Beinschlägen, als er sie aus der schnellen Strömung, in die Chan geraten war, und zurück an die Oberfläche beförderte.

Chan schien zu weinen oder irgendetwas zu rufen, aber als sie aufs andere Ufer zuhielten, schlug er um sich, als habe er nur den einen Wunsch, über Bourne herzufallen, ihn bewusstlos zu schlagen. Aber im Augenblick konnte er sich nur von dem Arm um seine Taille losreißen und Bourne anfunkeln, als sie sich an den Steinen der Uferbefestigung anklammerten.

«Was fällt dir ein?«, fragte Chan aufgebracht.»Deinetwegen wäre ich fast ertrunken!«

Bourne öffnete den Mund und wollte schon widersprechen, überlegte es sich dann aber doch anders. Statt-dessen zeigte er flussabwärts auf eine aus dem Wasser führende Eisenleiter. Jenseits der tiefen blauen Donau war die Zentrale von Humanistas, Ltd. noch immer von Krankenwagen, Löschfahrzeugen und Streifenwagen umringt. Zu den Angestellten, die das Gebäude verlassen hatten, gesellten sich jetzt Neugierige, die auf den Gehsteigen hin und her wogten, aus den Fenstern benachbarter Gebäude hingen und sich die Hälse verrenkten, um besser zu sehen. Obwohl die Polizei sie zum Weiterfahren aufforderte, steuerten Boote, die auf der Donau unterwegs waren, eine Stelle unterhalb der Zentrale an, und ihre Fahrgäste drängten sich an der Reling, um einen Blick auf etwas zu erhaschen, das sie für eine bevorstehende Katastrophe hielten. Aber sie kamen zu spät. Der durch die Explosion im Aufzugschacht ausgelöste Brand war bereits gelöscht.

Bourne und Chan erreichten die Leiter im Schatten der Uferböschung und stiegen sie so rasch wie möglich hinauf. Zu ihrem Glück konzentrierte die allgemeine Aufmerksamkeit sich auf die Zentrale von Humanistas, Ltd. Ganz in der Nähe der Stelle, wo sie aus dem Wasser kamen, wurde ein Abschnitt der Uferstraße repariert, und sie fanden zunächst Unterschlupf oberhalb der Wasserlinie zwischen den Stahlpfeilern, mit denen die unterspülte Fahrbahn abgestützt wurde.

«Gib mir dein Handy«, verlangte Chan.»Meines ist voller Wasser.«

Bourne wickelte Conklins Handy aus und gab es ihm.

Chan tippte eine Budapester Nummer ein. Als Oszkar sich meldete, erklärte er ihm, wo sie waren und was sie brauchten. Er hörte kurz zu, dann wandte er sich an Bourne.

«Oszkar, mein hiesiger Kontaktmann, chartert uns ein kleines Flugzeug. Und für dich besorgt er ein Antibiotikum.«

Bourne nickte.»Jetzt wollen wir sehen, wie gut er wirklich ist. Sag ihm, dass wir die Pläne des Hotels Oskjuhlid in Reykjavik brauchen.«

Chan funkelte ihn an, und Bourne fürchtete schon, er werde die Verbindung aus purem Trotz beenden. Er biss sich auf die Unterlippe. In Zukunft würde er sich zusammenreißen und weniger aggressiv mit Chan reden müssen.

Chan erklärte Oszkar, was sie brauchten.»Das dauert ungefähr eine Stunde«, berichtete er dann.

«Er hat nicht >unmöglich< gesagt?«, fragte Bourne.

«Oszkar sagt nie >unmöglich<.«

«Mehr hätten auch meine Kontaktleute nicht leisten können.«

Ein böiger, kühler Wind war aufgekommen und hatte sie dazu gezwungen, sich tiefer in ihren provisorischen Unterschlupf zurückzuziehen. Bourne nutzte die Gelegenheit, um die Verletzungen zu begutachten, die Spalko ihm beigebracht hatte; Chan hatte die zahlreichen Einstiche in Armen, Brust und Beinen gut versorgt. Chan trug noch seine Jacke. Als er sie jetzt auszog, um sie auszuschütteln,

sah Bourne, dass sie zahlreiche Innentaschen hatte, die alle voll zu sein schienen.

«Was hast du in den Taschen?«, fragte er neugierig.

«Mein Werkzeug«, sagte Chan wenig auskunftsfreudig. Dann zog er sich in seine eigene Welt zurück, indem er Bournes Handy benützte.

«Ethan, ich bin’s«, sagte er.»Alles in Ordnung bei Ihnen?«

«Kommt darauf an«, sagte Hearn.»Im allgemeinen Durcheinander habe ich entdeckt, dass mein Büro abgehört wurde.«

«Weiß Spalko, für wen Sie arbeiten?«

«Ich habe Ihren Namen nie erwähnt. Außerdem habe ich fast nie vom Büro aus mit Ihnen telefoniert.«

«Trotzdem wär’s vermutlich besser, wenn Sie abhauen würden.«

«Genau das habe ich vor«, sagte Hearn.»Ich bin froh, Ihre Stimme zu hören. Nach den Explosionen habe ich schon befürchtet.«

«Unkraut verdirbt nicht«, sagte Chan.»Wie viel haben Sie über ihn zusammengetragen?«

«Genug.«

«Am besten nehmen Sie alles mit und tauchen vorläufig unter. Ich räche mich an ihm, koste es, was es wolle.«

Hearn atmete tief durch.»Was soll das heißen?«

«Das soll heißen, dass ich Sie als Reserve brauche. Können Sie das Material aus irgendeinem Grund nicht mir übergeben, wenden Sie sich an… Augenblick!«Er sah zu Bourne hinüber und fragte:»Gibt’s in der Agency jemanden, dem man Belastungsmaterial gegen Spalko anvertrauen kann?«

Bourne schüttelte den Kopf, aber dann überlegte er sich die Sache sofort anders. Er dachte daran, was Conklin über den stellvertretenden Direktor gesagt hatte- dass er nicht nur fair sei, sondern auch selbstständig denke.»Martin Lindros«, sagte er.

Chan nickte und gab den Namen an Hearn weiter; dann beendete er das Gespräch und gab das Handy zurück.

Bourne befand sich in einem Dilemma. Er wollte mit Chan in Verbindung treten, wusste aber nicht, wie er das anstellen sollte. Schließlich kam er auf die Idee, ihn zu fragen, wie er die Folterkammer entdeckt hatte. Zu seiner Erleichterung begann Chan zu reden. Er erzählte Bourne von seinem Versteck in dem Schlafsofa, der Detonation im Aufzugschacht und seinem Entkommen aus der Gaskammer. Annakas Verrat erwähnte er jedoch mit keinem Wort.

Obwohl Bourne ihm zunehmend fasziniert zuhörte, blieb ein Teil seines Ichs merkwürdig unbeteiligt, als höre ein anderer diesen Bericht. Er schreckte vor Chan zurück; die psychischen Wunden waren noch zu frisch. Er erkannte, dass er in seinem geschwächten Zustand mental außerstande war, die Fragen und Zweifel, die ihm zusetzten, aufzuarbeiten. Und so sprachen die beiden stockend und unbeholfen miteinander und vermieden stets das Hauptthema, das zwischen ihnen lag wie eine Burg, die sie belagerten, aber nicht einnehmen konnten.

Nach ungefähr einer Stunde kam Oszkar mit dem Lieferwagen seiner Firma mit Handtüchern, Wolldecken und neuer Kleidung sowie einem Antibiotikum für Bourne. Als Erstes gab er ihnen eine Thermosflasche mit heißem Kaffee. Sie stiegen hinten ein, und während sie sich umzogen, machte Oszkar ein Bündel aus ihren nas-sen und zerrissenen Sachen, nur aus Chans bemerkenswerter Jacke nicht. Dann packte er Sandwichs aus, die sie verschlangen und mit Mineralwasser hinunterspülten.