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Während dieser Ansprache hatte er sich weder bewegt, noch sie aus den Augen gelassen. Sein Gesichtsausdruck war bewusst neutral, aber seine leicht abgehackte Sprechweise verriet dem Direktor, der ihn schließlich am besten kannte, wie verärgert er tatsächlich war. Dies war kein Mann, den man zum Narren halten durfte; dies war kein Präsident, der verzieh und vergaß. Damit hatte der CIA-Direktor gerechnet, als er seinen vernichtenden Bericht verfasst hatte.

«Dr. Alonzo-Ortiz, in meiner Regierung ist kein Platz für politische Opportunisten — zumindest nicht für solche, die bereit sind, die Wahrheit zu opfern, um ihren eigenen Arsch zu retten. Die Wahrheit ist: Sie hätten bei der Aufklärung der Morde mitwirken sollen, statt Ihr Bestes zu tun, um die fälschlich Beschuldigten ans Messer zu liefern. Dann wäre es vielleicht gelungen, den Terroristen Stepan Spalko rechtzeitig zu schnappen und das Blutbad beim Gipfeltreffen zu vermeiden. Wie die Sache gelaufen ist, müssen wir alle — und ganz besonders Sie — dem CIA-Direktor dankbar sein.«

Bei dieser Bemerkung zuckte Roberta Alonzo-Ortiz zusammen, als habe der Präsident ihr einen schrecklichen Schlag versetzt, was er in gewisser Beziehung mit voller Absicht getan hatte.

Er nahm ein einzelnes Blatt Papier vom Schreibtisch.»Daher nehme ich Ihren Rücktritt an und entspreche so Ihrem Wunsch, ab sofort in den Privatsektor zurückkehren zu dürfen.«

Die ehemalige Sicherheitsberaterin öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber der durchdringende Blick des Präsidenten hielt sie davon ab.

«Lieber nicht«, sagte er nur.

Sie wurde blass, nickte knapp, machte auf dem Absatz kehrt und rauschte hinaus.

Sobald die Tür sich hinter ihr geschlossen hatte, atmete der CIA-Direktor tief durch. Sein Blick begegnete kurz dem des Präsidenten, wobei alles enthüllt wurde. Er wusste, weshalb sein Oberbefehlshaber ihn zu sich zitiert hatte. Er sollte die Demütigung der Sicherheitsberaterin miterleben. Das war die Art des Präsidenten, sich zu entschuldigen. In den langen Jahren seines aufopfernden

Diensts für sein Land hatte der Direktor nie erlebt, dass ein Präsident sich bei ihm entschuldigt hatte. Er war so überwältigt, dass er nicht wusste, wie er sich jetzt verhalten sollte.

Er stand, vor Euphorie benommen, auf. Der Präsident telefonierte bereits und ließ den Blick dabei ins Freie schweifen. Der Direktor blieb noch einen Augenblick stehen, um seinen Triumph zu genießen. Dann verließ auch er das Allerheiligste und schritt durch die stillen Korridore der Macht, die seine Heimat geworden waren.

David Webb war eben damit fertig, das bunte Spruchband HAPPY BIRTHDAY im Wohnzimmer aufzuhängen. Marie war in der Küche dabei, die Schokoladetorte zu verzieren, die sie zu Jamies elftem Geburtstag gebacken hatte. Köstliche Gerüche von Pizza und Schokolade zogen durchs Haus. Er sah sich um und fragte sich, ob genügend Ballons da waren. Er zählte dreißig — doch wohl mehr als genug?

Obwohl er in sein Leben als David Webb zurückgekehrt war, taten die Rippen ihm bei jedem Atemzug weh, und seine Wunden erinnerten ihn beharrlich daran, dass er auch Jason Bourne war und es stets bleiben würde. Lange war er entsetzt gewesen, wenn diese Seite seiner Persönlichkeit sich manifestierte, aber Joshuas Rückkehr hatte alles grundlegend verändert. Nun hatte er zwingende Gründe dafür, wieder Jason Bourne zu werden.

Aber nicht im Dienst der CIA. Seit Alex tot war, wollte er nichts mehr mit der Agency zu schaffen haben, obwohl der Direktor ihn persönlich zum Bleiben aufgefordert hatte und obwohl er Martin Lindros, der dafür gesorgt hatte, dass der Mordbefehl gegen ihn aufgehoben wurde, persönlich mochte und respektierte. Lindros hatte auch dafür gesorgt, dass das Bethesda Naval Hospital ihn aufnahm. Während die dortigen Fachärzte, die von der Agency zur Geheimhaltung verpflichtet worden waren, seine Wunden und die gebrochenen Rippen behandelten, hatte Lindros ihn ausführlich befragt. Der stellvertretende CIA-Direktor hatte diese schwierige Aufgabe mit leichter Hand bewältigt und Webb reichlich Zeit gelassen, auszuschlafen und sich von den Anstrengungen der vergangenen Woche zu erholen.

Aber nach nur drei Tagen hatte Webb sich nichts mehr gewünscht, als zu seinen Studenten zurückzukehren, und er sehnte sich nach seiner Familie, auch wenn sein Herz jetzt einen Schmerz empfand, eine gewisse Leere, die seit Joshuas Rückkehr Form und Gestalt angenommen hatte. Er hatte Marie von ihm erzählen wollen, wie er ihr alles andere geschildert hatte, was er in seiner Abwesenheit durchgemacht hatte. Aber wenn er dazu angesetzt hatte, von seinem anderen Sohn zu erzählen, war seine Zunge jedes Mal wie gelähmt gewesen. Das lag nicht daran, dass er Maries Reaktion gefürchtet hätte — dazu hatte er viel zu viel Vertrauen zu ihr. Nein, er war sich seiner eigenen Reaktion nicht sicher. Nach nur einwöchiger Abwesenheit fühlte er sich Jamie und Alison bereits entfremdet. So hätte er Jamies Geburtstag einfach vergessen, wenn Marie ihn nicht sanft daran erinnert hatte.

Wie einen im Sand gezogenen Strich sah er eine deutliche Trennung zwischen seinem Leben vor Joshuas spektakulärem Wiederauftauchen und dem Leben danach. Wo düstere Trauer geherrscht hatte, strahlte jetzt das Licht der Wiedervereinigung. Aus Tod war wie durch ein Wunder wieder Leben geworden. Die Auswirkungen dieser Ereignisse musste er erst begreifen lernen. Wie konnte er Marie an etwas so Ungeheurem teilhaben lassen, bevor er es selbst ganz verstanden hatte?

Und so überfluteten ihn am Geburtstag seines jungen Sohns Gedanken an seinen älteren Sohn. Wo war Joshua? Kurz nachdem sie von Oszkar erfahren hatten, Annaka Vadas’ Leiche sei am Rand der Stadtautobahn zum Flughafen Ferihegy gefunden worden, hatte Joshua sich abgesetzt und war so rasch und lautlos verschwunden, wie er aufgetaucht war. War er nach Budapest zurückgekehrt, um Annaka ein letztes Mal zu sehen? Hoffentlich nicht.

Jedenfalls hatte Karpow versprochen, ihr Geheimnis zu bewahren, und Webb vertraute ihm. Inzwischen war ihm bewusst, dass er keine Ahnung hatte, wo sein Sohn lebte, ob er überhaupt ein ständiges Zuhause hatte. Die Tatsache, dass es unmöglich war, sich auch nur vorzustellen, wo Joshua jetzt war oder was er vermutlich tat, schmerzte Webb sehr. Er spürte Joshuas Abwesenheit, als habe er einen Arm oder ein Bein verloren. Es gab so vieles, was er Joshua sagen wollte, so viel Zeit, die Wiedergutmachung forderte. Es war schwierig, Geduld zu haben, und schmerzhaft, nicht mal zu wissen, ob Joshua sich dafür entscheiden würde, sich wieder in seine Nähe zu wagen.

Die Geburtstagsparty hatte begonnen, und ungefähr zwanzig Kinder spielten und tobten wild kreischend durchs Haus. Und im Mittelpunkt aller Aktivitäten stand Jamie: ein geborener Führer, ein Junge, zu dem Gleichaltrige aufsahen. Sein offenes Gesicht, das Maries so ähnlich war, leuchtete vor Glück. Webb fragte sich, ob er auf Joshuas Gesicht jemals so ungetrübte Freude gese-hen hatte. Als bestehe eine telepathische Verbindung zwischen ihnen, blickte Jamie in diesem Moment auf und grinste breit, als er den Blick seines Vaters auf sich ruhen sah.

Webb war für den Empfang der Gäste zuständig und hörte wieder die Türklingel. Als er die Haustür öffnete, stand draußen ein Mann von FedEx mit einem Päckchen für ihn. Er unterschrieb und nahm es sofort mit in den Keller, wo er einen Raum aufsperrte, für den es nur einen einzigen Schlüssel gab. Drinnen stand ein tragbares Durchleuchtungsgerät, das Alex Conklin ihm besorgt hatte. Ohne dass die Kinder etwas davon wussten, wurden alle Päckchen und Pakete, die ins Haus kamen, mit diesem Gerät durchleuchtet.

Nachdem Webb sich davon überzeugt hatte, dass es ungefährlich war, öffnete er das Päckchen. Es enthielt einen Baseball und zwei Fanghandschuhe, einen für ihn und einen in genau der richtigen Größe für einen Elfjährigen. Auf dem beigelegten Zettel stand nur:

Für Jamies Geburtstag Joshua

David Webb starrte das Geschenk an, das ihm mehr bedeutete, als er jemals jemandem würde erklären können. Von oben drang Musik, in die sich lautes Kinderlachen mischte, an sein Ohr. Er dachte an Dao und Alyssa und Joshua, wie sie in seiner fragmentierten Erinnerung existierten, und dieses kaleidoskopartige Bild, das durch den herben, erdhaften Geruch des eingeölten Leders hervorgerufen wurde, stand ihm lebhaft vor Augen. Er streckte eine Hand aus, befühlte das weich genarbte Leder und ließ seine Fingerspitzen über die Nähte aus Rohleder gleiten. Welche Erinnerungen das in ihm weckte! Sein Lächeln, das langsam über sein Gesicht zog, war bittersüß. Er streifte den größeren Handschuh über und ließ den Baseball hineinfallen. Als er in der Höhlung landete, hielt er ihn umklammert, als wolle er ein Phantom festhalten.