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Und ich frage das mir verbliebene Bewußtsein in dieser wirren Abfolge von Intervallen zwischen nicht vorhandenen Dingen, wozu ich so viele Seiten mit Sätzen füllte, an die ich als die meinen glaubte, mit Gefühlen, die ich für Gedanken hielt, mit Fahnen und Bannern von Heeren, die letztendlich nur Papier sind, zusammengehalten von der Spucke der Tochter des Bettlers aus der Gosse.

Ich frage das, was von mir übrig ist, nach dem Sinn dieser unnützen Seiten, dem Müll und dem Abwegigen gewidmet und verloren, noch bevor sie zu den zerrissenen Papieren des Schicksals zählten.

Ich frage und ich fahre fort. Ich notiere die Frage, kleide sie in neue Sätze und befreie sie von neuen Emotionen. Morgen werde ich weiterschreiben an meinem törichten Buch und die täglichen Eindrücke meiner fehlenden Überzeugung mit kalter Feder zu Papier bringen.

Mögen sie kommen, wie sie sind. Ist das Domino gespielt und das Spiel gewonnen oder verloren, dreht man die Steine um, und das Spiel ist schwarz.

443

Wie viele Höllen, Purgatorien und Paradiese ich in mir trage! – und doch, wer hat mich jemals etwas tun sehen, das dem Leben abträglich wäre … mich, der ich so ruhig, so friedlich bin?

Ich schreibe nicht portugiesisch. Ich schreibe mich.

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Alles ist mir unerträglich geworden, bis auf das Leben. Büro, Wohnung, Straßen – ja, selbst ihr Gegenteil, wenn ich es denn hätte – sind mir übergenug und bedrücken mich; nur das Ganze schafft mir Erleichterung. Jawohl, etwas von alledem ist mir Trost genug. Ein Sonnenstrahl, der immerfort in das ausgestorbene Büro scheint; die Litanei eines Straßenverkäufers, die rasch emporsteigt zum Fenster meines Zimmers; die Tatsache, daß es Leute gibt, daß Klima und Wetter sich ändern, die erschütternde Objektivität der Welt …

Der Sonnenstrahl kam plötzlich herein zu mir, der ich ihn plötzlich sah … Ein Strahl fast farblosen, messerscharfen Lichtes, der den schwarzen Holzfußboden zerschnitt und, wo er entlangglitt, die alten Nägel und Vertiefungen zwischen den Bohlen, die schwarzen Linienblätter des Nicht-Weißen, mit Leben erfüllte.

Minutenlang verfolgte ich die unsichtbare Wirkung der in das stille Büro einfallenden Sonne … Kerkerbeschäftigungen! Nur Eingeschlossene schauen dem Lauf der Sonne zu, wie man Ameisen zuschaut.

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1891933

Es heißt, der Überdruß sei eine Krankheit der Trägen oder ereile nur Leute, die nichts zu tun haben. Diese Plage der Seele aber ist subtiler: Sie sucht all jene heim, die dafür anfällig sind, und verschont weniger die Arbeitsamen oder die vorgeben, es zu sein (was in diesem Fall auf das gleiche herauskommt), als die wirklich Untätigen.

Nichts ist schlimmer als der Gegensatz zwischen dem natürlichen Glanz des inneren Lebens mit seinen natürlichen Indien und seinen unbekannten Ländern, und dem Schmutz – obgleich er nicht wirklich schmutzig ist – der Alltäglichkeit des Lebens. Der Überdruß wiegt schwerer, wenn es keine Entschuldigung für die Trägheit gibt. Der Überdruß der angestrengt Arbeitenden ist der schlimmste von allen.

Überdruß ist nicht etwa der krankhafte Ärger über mangelndes Tun, sondern das sehr viel krankhaftere Gefühl, daß es nicht lohnt, auch nur irgend etwas zu tun. Und dies bedeutet, je mehr zu tun ist, um so deutlicher macht sich der Überdruß bemerkbar.

Wie oft, wenn ich von meiner Arbeit im Hauptbuch aufsehe, ist mein Kopf weltleer! Es wäre besser für mich, passiv zu sein, nichts zu tun, nichts zu tun zu haben, denn diesen wenn auch echten Überdruß könnte ich zumindest genießen. Mein gegenwärtiger Überdruß entbehrt jeglicher Ruhe, jeglicher Noblesse und jeglichen Wohlseins gepaart mit Unwohlsein: Er ist ein umfassendes Verlöschen dessen, was ich getan habe, und nicht etwa eine denkbare Müdigkeit, die herrührt von dem, was ich nie tun werde.

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Omar Khayyam[67]  

Der Lebensüberdruß Khayyams ist nicht der Überdruß eines Menschen, der nicht recht weiß, was tun, da er in der Tat nichts tun kann oder zu tun versteht. Dies ist der Überdruß von Totgeborenen, die sich verständlicherweise Morphium und Kokain zuwenden. Der Überdruß des persischen Weisen ist tiefgründiger und edler. Es ist der Überdruß von jemandem, der klar dachte und sah, daß alles dunkel war; der alle Religionen und alle Philosophien überdachte und dann wie Salomon sprach: »Und ich sah, daß alles Eitelkeit und Anfechtung des Geistes war …«, oder mit den Worten eines anderen Herrschers, Kaiser Septimius Severus, als er der Macht und der Welt Lebewohl sagte: »Omnia fui, nihil …« – »Ich bin alles gewesen; nichts lohnt die Mühe.«

Das Leben, sagte Tarde[68]  , ist die Suche nach dem Unmöglichen vermittels des Unnützen; dies hätte auch Omar Khayyam gesagt, wenn er es denn gesagt hätte.

Daher beharrt der Perser auf dem Genuß von Wein. Trink! Trink! lautet seine ganze praktische Philosophie. Es trinkt nicht die Freude, die trinkt, um noch freudiger zu werden, noch mehr sie selbst. Es trinkt nicht die Verzweiflung, die trinkt, um zu vergessen, um weniger sie selbst zu sein. Die Freude würzt den Wein mit Tatendrang und Liebe, und bei Khayyam ist nichts zu finden, was auf Energie hinwiese oder gar von Liebe spräche. Jene Saki, deren grazile Gestalt in den Rubayat (überaus selten!) aufscheint, ist nur »das Mädchen, das den Wein kredenzt«. Der Dichter schätzt ihre schlanke Erscheinung, wie er die schlanke Amphore mit dem Wein schätzt.

Die Freude spricht vom Wein wie Dekan Aldrich[69]  :

Die Leute haben nach meinem DünkenFünf Gründe, um zu trinken:Einen Trinkspruch, einen Freund, oder einenTrockenen Mund, was auch immer es sei,Diesen oder jeden Grund.

Die praktische Philosophie Khayyams beläuft sich mithin auf ein sanftes Epikureertum, in dem nur noch vage der Wunsch nach Vergnügen durchscheint. Es genügt ihm, Rosen zu betrachten und Wein zu trinken. Eine leichte Brise, ein Gespräch ohne Absicht noch Plan, ein Krug Wein, Blumen, darin und in nichts sonst gipfelt der höchste Wunsch des persischen Weisen. Die Liebe erregt und ermüdet, das Handeln verzettelt und geht fehl, niemand gelangt zum Wissen, und das Denken färbt alles trüb. Daher lassen wir besser ab vom Wünschen und Hoffen, vom müßigen Ehrgeiz, die Welt erklären, und dem törichten Vorhaben, sie verbessern oder regieren zu wollen. Alles ist nichts oder, wie es in der Griechischen Anthologie heißt: »Alles rührt von der Unvernunft«, dies sagt ein Grieche[70]   und somit ein rationaler Geist.

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Wir werden gleichgültig bleiben gegenüber der Wahrheit oder Lüge aller Religionen, aller Philosophien, aller umsonst nachprüfbaren Hypothesen, die wir Wissenschaften nennen. Ebensowenig wird uns das Schicksal der sogenannten Menschheit kümmern und das, was sie in ihrer Gesamtheit erleidet oder nicht erleidet. Karitas, gewiß, unserem »Nächsten« gegenüber, wie es im Evangelium heißt, nicht aber dem Menschen gegenüber, der darin nicht erwähnt wird. Bis zu einem gewissen Grad sind wir alle so: Inwieweit berührt, selbst die Besten unter uns, ein Massaker in China? Weniger schmerzlich jedenfalls, selbst jene, für die alles vorstellbar ist, als die ungerechte Ohrfeige, die man einem Kind auf der Straße vor unseren Augen gibt!