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Überlege nie, was du tun wirst. Tue es nicht.

Lebe dein Leben. Laß dich nicht von ihm leben. Im Recht oder im Unrecht, im Schmerz oder im Wohlergehen: Sei du selbst. Dies aber vermagst du nur im Traum, denn dein wirkliches, menschliches Leben gehört nicht dir, es gehört den anderen. Ersetze also das Leben durch den Traum, und sei einzig darauf bedacht, vollendet zu träumen. Bei allem Geschehen im wirklichen Leben, vom Geborenwerden bis zum Sterben, bestimmst nicht du das Geschehen: Das Geschehen bestimmt dich; und nicht du lebst, das Leben lebt dich.

Werde in den Augen anderer eine absurde Sphinx. Schließe dich ein in deinen Elfenbeinturm, doch schlage nicht die Tür zu hinter dir. Dein Elfenbeinturm bist du selbst.

Und sagt man zu dir, all dies sei falsch und absurd, glaube es nicht. Doch glaube auch nicht an das, was ich dir sage, denn man soll an nichts glauben.

Verachte alles, doch so, daß Verachten dir nicht zum Nachteil gereicht. Halte dich nicht für überlegen, weil du verachtest. Darin liegt die Kunst der erhabenen Verachtung.

Von der Kunst des rechten Träumens III

Träumst du alles, wirst du an allem mehr leiden müssen im Leben, […]. Dies wird dein Kreuz sein.)

Von der Kunst des rechten Träumens metaphysischer Gemüter

Nachdenken, […] – alles wird einfach und […], denn alles ist für mich Traum. Ich befehle mir, etwas zu träumen, und ich träume etwas. Mitunter ist es ein Philosoph in mir, der mir seine Philosophien minutiös auseinandersetzt, während ich, ein […] Page, seiner Tochter, deren Seele ich bin, unter dem Fenster ihres Hauses den Hof mache.

Meine Kenntnisse zeigen mir meine Grenzen auf. Einen Mathematiker kann ich nicht erschaffen … Doch ich begnüge mich mit dem, was ich habe, es reicht aus für unendliche Zahlenkombinationen und zahllose Träume. Wer weiß, ob ich träumend nicht noch weiter käme. Doch wozu die Mühe? Ich genüge mir auch so.

Zerstäuben der Persönlichkeit: Ich kenne weder meine Vorstellungen noch meine Empfindungen noch mein Wesen … Wenn ich etwas empfinde, empfinde ich es vage in der Person eines Wesens, das in mir vor meinem inneren Auge erscheint. Ich habe mich selbst durch meine Träume ersetzt. Jede Person ist nur ihr Traum von sich selbst. Ich bin nicht einmal das.

Nie ein Buch zu Ende lesen noch es in einem Zug lesen, ohne eine Zeile zu überspringen.

Ich wußte nie, was ich empfand. Wann immer man mir von dieser oder jener Gemütsbewegung erzählte und sie beschrieb, war mir stets, als beschriebe man etwas in meiner Seele; doch dachte ich dann nach, kamen mir stets Zweifel. Ich weiß nie, ob ich das, was ich zu sein verspüre, wirklich bin, oder ob ich es nur zu sein glaube. Ich bin eine Gestalt[80]   aus meinen eigenen Dramen.

Alles Bemühen ist nutzlos, doch lenkt es ab. Alles Nachdenken ist fruchtlos, doch unterhaltsam. Lieben ist lästig, doch vielleicht ratsamer, als nicht zu lieben. Der Traum hingegen ersetzt alles. In ihm kann ich mich bemühen, ohne mich wirklich zu bemühen. Kann gefahrlos in Schlachten ziehen, verspüre keine Angst und werde nicht verwundet. Ich kann nachdenken, ohne eine Wahrheit erlangen zu müssen, die ich im übrigen nie erlangen würde; und ohne ein Problem lösen zu wollen, das ich wohlweislich nie lösen könnte; ohne […]. Ich kann lieben, ohne daß man mich abweist, betrügt oder verdrießt. Ich kann mir eine andere Geliebte nehmen, und doch ist sie die immer gleiche. Und wenn ich will, daß sie mich betrügt oder verschmäht, kann ich dies veranlassen – alles und immer, wie ich es will und wie es mir gefällt. Im Traum kann ich die größten Ängste erleben, die größten Qualen, die größten Siege. Ich kann alles erleben, als geschähe es im wirklichen Leben: Es hängt allein davon ab, ob ich den Traum lebendig, klar und wirklich gestalten kann. Dazu bedarf es der Übung und innerer Geduld.

Es läßt sich auf verschiedene Arten träumen. Man kann sich den Träumen zum Beispiel hingeben, ohne sie klar und deutlich machen zu wollen, kann sich dem Nebelhaften, dem Zwielicht der Empfindungen überlassen. Eine niedere und ermüdende Art des Träumens, denn sie ist monoton, ist die immer gleiche. Anders der klare, gelenkte Traum; doch verrät das Bemühen, den Traum in eine Richtung zu lenken, unweigerlich seine Künstlichkeit. Der Künstler aller Künstler, ein Träumer wie ich, verwendet all sein Bemühen darauf, einen ganz bestimmten Traum zu träumen, einen, der sich von dieser oder jener Seite zeigt … und so vor ihm abläuft, wie er ihn sich wünscht, aber nie hätte ersinnen können, wäre er seiner müde geworden. Ich möchte von mir als König träumen. Verspüre plötzlich diesen Wunsch. Und siehe da, schon bin ich König irgendeines Landes. Was für ein König, welcher Art, wird der Traum mir sagen … Und da ich diesen Sieg über meine Träume errungen habe, sind sie mir stets unverhofft zu Willen. Wenn ich mir die vagen Eindrücke, die ich aus diesem Leben empfange, deutlicher vor Augen führe, wird es nahezu perfekt. Ich bin gänzlich außerstande, mir das im Traum erlebte Mittelalter verschiedener Zeitabschnitte und Länder bewußt vorzustellen. Mit Staunen nehme ich meine überreiche, an mir bisher ungekannte Phantasie wahr. Ich lasse die Träume an mir vorüberziehen … Sie sind so klar, daß sie meine Erwartungen stets aufs neue übertreffen. Sie sind schöner als das, was ich wollte. Doch darauf kann nur der perfekte Träumer hoffen. Jahre habe ich träumend nach dergleichem gesucht. Heute kommt es von allein …

Am besten beginnt man mit dem Träumen anhand von Büchern. Vor allem Romane sind für den Anfänger hilfreich. Lernen, sich der Lektüre vollkommen hinzugeben, das Leben der Romanfiguren zu teilen – das ist der erste Schritt. Empfinden wir unsere eigene Familie und deren Unglück im Vergleich als langweilig und abstoßend, ist dies ein Zeichen, daß wir. auf dem rechten Weg sind.

Zu meiden sind literarische Romane, bei denen sich unser Augenmerk auf die Struktur richtet. Ich schäme mich nicht einzugestehen, daß ich so und nicht anders begonnen habe. Es mag seltsam klingen, aber ich habe ganz intuitiv zu Kriminalromanen gegriffen. Für Liebesromane konnte ich mich nie recht erwärmen. Aber das hat persönliche Gründe; ich gehöre nicht zu den Liebenden, nicht einmal im Traum. Und jeder sollte seinem Wesen entsprechend träumen. Vergessen wir nie, daß träumen ein Sich-Suchen ist. Ein sinnlicher Mensch allerdings sollte das Gegenteil dessen lesen, was ich gelesen habe.

Stellt sich physisches Empfinden ein, hat der Träumer die erste Traumphase durchlebt. Mit anderen Worten, wenn ein Roman über Gefechte, Fluchten, Schlachten bewirkt, daß er sich tatsächlich körperlich zerschlagen fühlt und ihm die Beine müde werden … dann ist die erste Phase abgeschlossen. Ein sinnlicher Mensch hingegen sollte bei der Lektüre eines Romans im entsprechenden Augenblick einzig mittels geistiger Masturbation eine Ejakulation haben.

Als nächstes sollte der Träumer versuchen, all dies auf eine geistige Ebene zu bringen. Die Ejakulation, wie im Falle des Sinnlichen (ich führe sie hier bewußt als besonders krasses und schlagendes Beispiel an), sollte gespürt werden, aber nicht geschehen. Dies wird den Träumer weit mehr ermüden, ihm aber zugleich ein in jeder Hinsicht intensiveres Lustempfinden bereiten.

In der dritten Phase spielt sich jede Empfindung nur mehr im Geist ab. Ermüdung und Lust wachsen, der Körper aber empfindet bereits nichts mehr, anstelle der müden Glieder ermatten Verstand, Wille und Emotion … Ist dies erreicht, ist die Zeit für die letzte und höchste Traumphase gekommen.

Die zweite Phase besteht darin, Romane zum eigenen Vergnügen zu ersinnen. Darum sollte man sich allerdings erst bemühen, wenn der Traum, wie ich bereits sagte, vollständig vergeistigt ist. Andernfalls wird man mit diesem Bemühen die vollständige Vergeistigung der Lust trüben.