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Ich brach von keinem mir bekannten Hafen auf. Noch heute kenne ich diesen Hafen nicht, ich bin dort nie gewesen. Zudem war das rituelle Ziel meiner Reise die Suche nach nicht existenten Häfen – Häfen, die nur ein Einfahren-in-Häfen waren; vergessene Ankerplätze an Flüssen, eng zwischen unweigerlich unwirklichen Städten. Wenn Sie mich lesen, werden Sie zweifellos denken, meine Worte seien absurd. Aber Sie sind nie gereist wie ich.

Doch bin ich tatsächlich gereist? Ich möchte es nicht beschwören. Ich habe mich in anderen Breiten befunden, andere Häfen gesehen, habe Städte bereist, anders als diese Stadt, wenngleich weder diese noch jene wirkliche Städte waren. Beschwören, daß ich es war, der auf Reisen ging, und nicht die Landschaft, daß ich es war, der andere Länder bereiste, und nicht sie mich? Nein, das kann ich nicht. Ich, der nicht weiß, was Leben ist, nicht einmal weiß, ob ich es lebe oder ob das Leben mich lebt (was auch immer das hohle Verb »leben« bedeuten mag), werde gewiß nichts beschwören.

Ich bin gereist. Ich halte es für nutzlos, Ihnen zu erklären, daß meine Reise weder Monate, Tage noch irgendeine andere meßbare Zeit gedauert hat. Ich bin in der Zeit gereist, soviel ist sicher, aber nicht auf dieser Seite der Zeit, auf der wir sie in Stunden, Tagen und Monaten zählen; ich bin auf der anderen Seite gereist, da, wo sie weder zähl- noch meßbar ist, aber trotz alledem vergeht. Und wie es scheint, fast schneller als die Zeit, die uns lebt. Sie werden, zweifellos sich selbst fragend, mich fragen, welchen Sinn diese Sätze haben; begehen Sie nicht diesen Fehler. Legen Sie ihn ab, fragen Sie nicht wie Kinder nach dem Sinn von Dingen und Worten. Nichts hat einen Sinn.

Auf welchem Schiff ich diese Reise unternommen habe? Auf dem Dampfer Namenlos. Sie lachen. Ich ebenso, über Sie vielleicht. Wer sagt Ihnen (und mir), ob ich nicht Symbole schreibe, bestimmt für die Götter?

Wie dem auch sei. Ich bin in der Dämmerung aufgebrochen. Ich habe noch immer den metallischen Klang des Ankers beim Einholen im Ohr. Aus dem Augenwinkel meiner Erinnerung sehe ich noch immer die Arme des Schiffskrans, die meinen Blick über Stunden mit einem Hin und Her von Kisten und Fässern schmerzten, sich langsam bewegen, bis sie endlich ihre Ruheposition einnehmen. Kisten und Fässer erschienen unvermittelt und von einer Kette zusammengehalten über der Reling, gegen die sie schrammten und schlugen, um sich sodann schwingend wieder und wieder über die Luke des Laderaums ziehen zu lassen, in den sie abrupt hinabglitten […], und mit einem dumpfen, hölzernen Aufschlagen alles aneckend an einem dunklen Ort landeten. Von unten hallte das Löschgeräusch hoch, als nächstes erschien die klirrende, freischwingende Kette, und alles begann wie sinnlos von neuem.

Wozu erzähle ich Ihnen das? Weil es absurd ist, zumal ich Ihnen sagte, ich wolle über meine Reisen sprechen.

Ich habe neue Europas bereist, und andere Konstantinopel haben mein Segelschiff in unwirklichen Bosporussen willkommen geheißen. Sie wundern sich über das Segelschiff? Sie haben recht gehört. Der Dampfer, in dem ich auf Reisen ging, lief als Segelschiff ein in den Hafen von […]. Sie sagen, das sei unmöglich. Genau deshalb ist es mir widerfahren.

Andere Dampfer brachten uns Nachricht von geträumten Kriegen in unmöglichen Indien. Und als wir von diesen Ländern hörten, befiel uns eine ärgerliche Sehnsucht nach dem unseren, zweifellos nur, weil dieses neue Land kein Land war.

Nie unternommene Reise II

Ich verstecke mich hinter der Tür, damit mich die Wirklichkeit, kommt sie herein, nicht sieht. Ich verstecke mich unter dem Tisch und verschrecke von dort aus die Möglichkeit. So halte ich, wie die beiden Arme einer Umarmung, die beiden Ärgernisse fern von mir, die mich bedrängen: das Ärgernis, nur das Wirkliche leben, und das Ärgernis, nur das Mögliche verstehen zu können.

Auf diese Weise triumphiere ich über die gesamte Wirklichkeit. Auf Sand gebaut, die Burgen meines Triumphes? … Auf welch göttliches Fundament, wenn nicht auf Sand, sind Burgen gebaut?

Woher wissen Sie, daß mich meine Art des Reisens nicht insgeheim verjüngt?

Als Kind des Absurden erwecke ich meine frühen Jahre zu neuem Leben und spiele mit den Vorstellungen von Dingen wie mit den Bleisoldaten, die ich als Junge Dinge tun ließ, die jeder Vorstellung von einem Soldaten widersprachen.

Irrtumstrunken verliere ich mich für Augenblicke an das Gefühl zu leben.

[Nie unternommene Reise?]

Schiffbruch? Nein, ich habe nie Schiffbruch erlitten. Habe jedoch den Eindruck, daß ich mit all meinen Reisen gestrandet bin und meine geheime Rettung das gelegentliche Eintauchen ins Unbewußte war.

Unklare Träume, verschwommene Lichter, verworrene Landschaften – nur sie, nichts sonst bleibt mir zurück von all den Reisen in meiner Seele.

Mir scheint, ich habe Stunden aller Farben gekannt, Lieben aller Reize, Sehnsüchte allen Ausmaßes. Ich habe mein Leben lang das Maß überschritten und habe mir doch nie genügt, nicht einmal in meinen Träumen.

Glauben Sie mir, ich bin wirklich gereist. Auch wenn scheinbar alles darauf hindeutet, daß ich zwar gereist bin, nicht aber gelebt habe. Von einer Himmelsrichtung zur anderen, von Nord nach Süd … von Ost nach West haben mich der Verdruß über meine Vergangenheit begleitet, der Widerwille gegen meine Gegenwart und die Unruhe über meine Zukunft. Aber ich setze alles daran, ganz in der Gegenwart zu bleiben, und töte in mir Vergangenheit und Zukunft.

Ich habe die Ufer von Flüssen überschritten, deren Namen ich nicht kannte. An den Kaffeehaustischen fremder Städte entdeckte ich, daß alles für mich etwas Vages, Traumhaftes hatte. Ich habe mich manches Mal gefragt, ob ich nicht vielleicht noch am Tisch unseres alten Hauses saß und traumverloren vor mich hin starrte! Ich kann Ihnen nicht versichern, daß dem nicht so ist, daß ich in diesem Augenblick nicht noch dort bin, daß all dies, einschließlich dieses Gesprächs mit Ihnen, nicht doch Täuschung und Phantasie ist. Wer, mein Herr, sind Sie eigentlich? Und ebenso absurd ist, daß Sie es nicht erklären können …

[Nie unternommene Reise?]

Nicht an Land gehen heißt keinen Platz an Land haben. Nie ankommen, niemals irgendwo ankommen.

Milchstraße

… mit geschmeidigen Sätzen giftig geistiger Natur …

… Rituale verschlissenen Purpurs, geheimnisvoll feierliche Riten aus niemandes Zeit.

… gefangene Empfindungen, gefühlt in einem nicht körperlichen Körper, doch körperlich und Körper auf seine Art, subtil zwischen vielschichtig und einfach …

… Seen, über denen eine seidige Ahnung matten Goldes liegt, zart aller Möglichkeit beraubt, sich je zu materialisieren, zweifellos dank ausgesucht ausgeklügelter Feinheiten, eine Lilie in schneeweißen Händen …

… Bündnisse zwischen Starre und Angst, schwarzgrün, lau anzusehen, müde zwischen den Wächtern des Überdrusses.

… Perlmutt unnützer Konsequenzen, Alabaster häufiger Kasteiungen – golden, violettrot gesäumt, Sonnenuntergänge als Zeitvertreib, aber keine Boote zu besseren Ufern noch Brücken zu größeren Dämmerungen …

… nicht einmal am Rand des Gedankens an Teiche, viele Teiche, in der Ferne zwischen Pappeln oder Zypressen vielleicht, gemäß der Silben, mit denen die Stunde traurig ihre Namen nannte …

… Fenster offen hin zu Kaimauern, unaufhörliches Wellenschlagen gegen Docks, ein verrücktes, verzücktes Gefolge wie ein Durcheinander von Opalen, in dem Amarante und Terebinthen in schlaflosem Verstehen auf die dunklen Mauern des Hören-Könnens schreiben …