Выбрать главу

»Was glauben Sie, was ich hier mache?« fragte Lohmann gereizt. »Verdammtes Ding! Sprich endlich deutlicher!«

»...im Moment von unserem Korrespondenten aus Mailand«, sagte das Radio. »Wir schalten nun zurück in unser Studio Zürich, um weitere Neuigkeiten über die sonderbaren Phänomene zu erfahren, die seit einer halben Stunde am Himmel über dem Tessin und Teilen Norditaliens zu beobachten sind.«

»Ah!« machte Lohmann überrascht. Er grinste. »Das funktioniert ja tatsächlich. Ich sagte doch, ich bin ein Genie im Improvisie...«

»Still!« unterbrach ihn Angelika. Sie griff an ihm vorbei und drehte am Lautstärkeregler. »Hört doch!«

»Zwischendurch noch ein dringender Reiseruf«, sagte der Sprecher. »Gesucht wird Herr Frank Warstein, zur Zeit mit einem weißen Wohnmobil unterwegs im Nordtessin.«

»Wie?« Lohmann richtete sich kerzengerade auf. »Aber das -«

»Ruhe!« sagte Warstein scharf. Er brachte den Wagen mit einem harten Ruck auf die Bremse zum Stehen und stellte das Radio noch lauter.

»Herr Warstein wird dringend gebeten, Kontakt mit Herrn Doktor Franke aufzunehmen. Die Nummer befindet sich unter Speicherplatz eins in seinem Autotelefon.«

»Toll«, maulte Warstein. »Jetzt müßten wir nur noch wissen, wie wir das Scheißding wieder einschalten können!«

»Für den Fall, daß das Gerät ausgefallen ist«, fuhr der Sprecher fort, »hier noch einmal die Codenummer. Sie lautet: sieben, drei, vier...«

Der Rest des Satzes ging in einem lautstarken Knistern unter. Warstein sah zornig auf, aber Lohmanns Hände befanden sich nicht einmal in der Nähe des Apparates.

»Ich bin unschuldig!« beteuerte er. »Ehrenwort. Ich war es nicht!«

»Ja, und das Bedauern steht Ihnen auch deutlich im Gesicht geschrieben!« sagte Warstein verärgert.

»Spielt das eine Rolle?« Lohmann gab sich alle Mühe, den Beleidigten herauszukehren. »Ich habe den Sender nicht verstellt. Aber bitte - ich versuche ihn wiederzufinden.«

Warstein preßte ärgerlich die Lippen aufeinander. Natürlich konnte Lohmann nichts dafür. Aber er war wütend, und Lohmann eignete sich nun einmal ausgezeichnet als Zielscheibe für seine schlechte Laune. Zornig griff er nach dem Telefon, drehte es ein paarmal in den Händen und hängte es wieder zurück.

»Ob das wieder ein neuer Trick ist?« fragte Angelika.

»Ganz bestimmt«, versicherte ihr Lohmann.

Warstein ignorierte ihn. »Von Franke?« Er schüttelte überzeugt den Kopf. »Kaum. Ich denke, er fängt allmählich an zu begreifen. Verdammt! Ohne die Nummer haben wir keine Chance, ihn zu erreichen.«

»Wenn er es wirklich ernst meint, werden sie die Durchsage wiederholen«, sagte Angelika. »Aber ich traue ihm immer noch nicht.«

»Na, dann sind wir ja schon zwei«, fügte Lohmann hinzu. Er hob abwehrend die Hände, als ihn ein böser Blick Warsteins traf, und beeilte sich, weiter am Senderknopf zu drehen. Er fand einen anderen Sender, der zwar im Moment Musik brachte, aber deutlich zu empfangen war. Lale Andersen sang in einer historischen Aufnahme Lili Marlen.

»Soll ich weitersuchen?«

Warstein verneinte. »Lassen Sie nur. Sie bringen sicher gleich wieder Nachrichten.«

»Wahrscheinlich werden sie auf allen Sendern über diese Lichter reden«, bestätigte Angelika. »Vielleicht erfahren wir ja etwas Neues.«

Warstein begann nervös mit den Fingerspitzen auf dem Armaturenbrett zu trommeln. Der angebliche Reiseruf hatte ihn mehr aufgewühlt, als er zugeben wollte. Wenn Franke sich so offen an ihn wandte, dann mußte dieser es nicht nur ernst meinen, dann mußte er regelrecht verzweifelt sein. Was immer auch dort auf der anderen Seite des Gridone vorging - es war mehr als ein paar Lichter am Himmel.

Die Nostalgieaufnahme endete, und ein Sprecher sagte: »Das war Lale Andersen mit ihrem beliebten Lied Lili Marlen, mit dem wir heute vor allem einen Gruß an unsere tapferen Kameraden auf Hoher See schicken. Und nun wieder Neuigkeiten aus aller Welt.«

Warstein blinzelte, und auch Angelika sah verwirrt hoch.

»Wie das Reichsministerium heute meldet, schreitet der Vormarsch unserer Truppen an der Ostfront weiter unaufhaltsam voran. Unsere Soldaten stehen bereits weniger als hundert Kilometer vor Moskau, so daß mit dem Fall der Stadt trotz des erbitterten Widerstandes kommunistischer Partisanen nunmehr in unmittelbarer Zukunft zu rechnen ist.«

»Wie bitte?« krächzte Lohmann. Sein Gesicht verlor auch noch das letzte bißchen Farbe. Er starrte das Radiogerät an.

»Auch von der Heimatfront ist heute nur Erfreuliches zu melden«, fuhr das Radio fort, fünfzig Jahre alte Nachrichten zu verkünden. »Im Laufe der vergangenen Nacht versuchte die britische Luftwaffe erneut, Bombenangriffe gegen die Zivilbevölkerung norddeutscher Küstenstädte zu fliegen. Dank der entschlossenen Gegenwehr unserer tapferen Jagdflieger mußten sich die Angreifer jedoch unverrichteter Dinge und unter großen Verlusten zurückziehen. Dieser heimtückische Überfall beweist abermals, daß...«

»Das ist doch ein Scherz, oder?« murmelte Angelika. »Ich meine, das ... das muß so eine Art Nostalgiesendung sein.«

»Nein«, sagte Warstein. »Das sind fünfzig Jahre alte Nachrichten. Und wir hören sie jetzt.«

Niemand antwortete. Minutenlang saßen sie reglos da und lauschten dem Sprecher, der unentwegt neue Erfolgsmeldungen aus einem Krieg verlas, der schon vor fünfzig Jahren verlorengegangen war. Schließlich spielte der Sender wieder Musik: Einen Walzer von Franz Lehar, in einer knisternden Schellack-Aufnahme des Berliner Rundfunk-Sinfonieorchesters.

Angelika schaltete das Radio ab. Niemand hatte etwas dagegen, obwohl ihnen klar war, daß sie den Sender vermutlich nicht wiederfinden würden. Was sie gehört hatten, hatte ihnen allen angst gemacht.

»Was geht hier vor?« fragte Lohmann. Er warf seine Zigarette aus dem Fenster und zündete sich sofort eine neue an. »Das ist doch nicht möglich. Wir haben doch nicht gerade wirklich eine fünfzig Jahre alte Nachrichtensendung gehört, oder?«

»Und wenn doch?« fragte Warstein.

»Aber das ist völlig ausgeschlossen!« protestierte Lohmann. Seine Stimme klang jetzt schrill, nur noch eine Winzigkeit von wirklicher Hysterie entfernt. Warstein widersprach nicht. Er hatte fast Mitleid mit ihm. Vielleicht begann Lohmann erst jetzt wirklich zu begreifen, worauf er sich eingelassen hatte. Wortlos legte er den Gang ein und fuhr weiter.

Aus den zehn Minuten, von denen Rogler gesprochen hatte, war schließlich fast eine Stunde geworden. Franke hatte während der gesamten Zeit ununterbrochen telefoniert und den Wagen nur einmal verlassen, um ihm mitzuteilen, daß die Männer in Porera noch immer mit technischen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten und sie sich noch etwas gedulden mußten, bis der Hubschrauber kam. Rogler nutzte die Zeit, um zu helfen, wo er nur konnte. Ganz wie er vorausgesehen hatte, gab es nicht viel zu organisieren - die Funkverbindungen waren nach wie vor tot, und ein Durchkommen auf den verstopften Straßen war so gut wie unmöglich, der Verkehr endgültig zusammengebrochen. Selbst wenn sie genügend Polizei- und Krankenwagen zur Verfügung gehabt hätten, um sich um alle Verwundeten zu kümmern, wären die Wagen in den engen Straßen Asconas einfach steckengeblieben.

Trotzdem hatte er alle Hände voll zu tun. Es gab Dutzende von - gottlob größtenteils leicht - Verletzten zu versorgen, und obwohl er keine Uniform trug, hatte sich doch rasch herumgesprochen, wer er war, so daß er sich bald von buchstäblich Hunderten hysterischen Einheimischen und Touristen belagert sah, die ihn um Hilfe baten oder irgend etwas gesehen haben wollten oder einfach nur neugierig waren. Schließlich gab er auf und flüchtete zu Franke in den Wagen.

Franke tat, was er die ganze Zeit über getan hatte - er telefonierte, aber er nahm sich die Zeit, Rogler flüchtig zuzulächeln und mit einer Geste auf das kleine Barfach des Wagens zu deuten. Rogler lehnte ab. Er fühlte sich zu Tode erschöpft und ausgelaugt, aber er brauchte seinen klaren Kopf. Jetzt dringender denn je.