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»Und wo sind sie dann?«

»Jedenfalls nicht hier«, antwortete Franke ausweichend. Leiser und mit einer sonderbaren Betonung fügte er hinzu: »Vielleicht überhaupt nicht mehr hier. Wer weiß.« Er zuckte noch einmal die Schultern, straffte dann seine Gestalt und gab sich einen sichtbaren Ruck.

»Steigen Sie ein«, sagte er. »Es hat wenig Sinn, noch länger hierzubleiben.«

Angelika erwartete sie zusammen mit Rogler in der offenstehenden Tür der Maschine. »Nun?« fragte sie.

»Sie sind nicht dabei«, erwiderte Franke. »Ich glaube, sie leben noch.«

»Und was nutzt Ihnen das, wenn ich fragen darf?« Lohmann kletterte schnaubend hinter Franke und Warstein in die Maschine und sah den Wissenschaftler mißmutig an. »Wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann haben diese Männer bisher kein Wort mit Ihnen gesprochen oder nur unverständliches Zeug. Denken Sie, das hätte sich plötzlich geändert?«

»Vielleicht reden sie mit uns«, sagte Warstein rasch, ehe Franke antworten und vielleicht doch noch mit Lohmann in Streit geraten konnte. »Ich glaube, Franke hat recht. Sie sind bestimmt nicht durch Zufall hierhergekommen. Nicht ausgerechnet jetzt. Sie müssen irgend etwas ... getan haben.«

Er blickte durch die offene Tür auf den See hinaus, der kein See mehr war, sondern ein schwarzer Schlund mit schlammigem Boden. Sie alle wußten, was die Druiden getan hatten. Er fragte sich, warum er eigentlich nicht den Mut hatte, es laut auszusprechen.

»Vielleicht ist der alte Mann ja bei ihnen«, sagte Angelika.

»Der alte Mann?« Warstein runzelte die Stirn.

»Saruter - das war doch sein Name, oder?«

»Er ist tot«, erinnerte Warstein, und Franke sagte:

»Ich hätte ihn bemerkt. Garantiert.«

Es dauerte einen Moment, bis ihnen beiden zugleich auffiel, daß sie mit vertauschten Rollen gesprochen hatten. Plötzlich schien Warstein der Zweifler geworden zu sein und Franke der, der wußte.

Aber da war etwas an dem, was Angelika gesagt hatte. Etwas unglaublich Wichtiges. Für einen Moment, den winzigen Bruchteil einer Sekunde, hatte Warstein das Gefühl, die Antwort zu kennen, endlich zu wissen, wozu sie gerufen worden waren und wohin sie gehen mußten. Aber als er danach greifen wollte, war sie fort.

»Fliegen Sie los«, sagte Franke an den Piloten gewandt. »Nach Porera.«

Über dem Lago Maggiore rotierte ein Tornado aus Licht. Grüne, rote, blaue und gelbe Blitze, Flammenspeere in nie gesehenen Farben und rotierende Kugeln aus purer Energie zerrissen den Himmel. Die Ordnung der Dinge war gestört. Wo Gesetze geherrscht hatten, die älter als die Zeit waren, breitete sich das Chaos aus, und im Zentrum dieses sich immer schneller und schneller drehenden Wirbels begann etwas Neues und zugleich Uraltes zu entstehen, etwas, das erschaffen und behüten konnte, aber auch von unvorstellbarer Zerstörungskraft war. Es war der Hebel des Aristoteles, den die Zeit angesetzt hatte, um die Welt aus den Angeln zu heben.

Der Zug der Druiden hatte sein Ziel erreicht. Rings um sie herum erstreckte sich die bizarre Landschaft des wasserlosen Sees, eine graue Einöde aus Schlamm und Morast und sterbenden Wasserpflanzen, aus totem Getier und Unrat, der seit Generationen in die geduldigen Fluten des Sees versenkt worden war. Vor ihnen lagen die Inseln, die den nördlichen Teil des Lago Maggiore beherrschten; ein halbes Dutzend kleiner Eilande, die nun zu einem Menhirkreis aus dreihundert Meter hohen, lotrechten Felssäulen geworden waren, der sich dem lodernden Himmel entgegenreckte, wie Finger einer gigantischen, steinernen Kralle. Die Männer warteten. Über ihnen nahm der tobende Kampf zwischen Licht und Dunkel immer noch mehr an Gewalt zu, und rings um sie herum begann die Illusion, die die Menschen mit dem Namen Wirklichkeit belegt hatten, endgültig in Stücke zu brechen. Aber nicht einer von ihnen nahm Notiz davon. Sie standen einfach reglos da, schweigend und geduldig wie die, denen sie ihr Wissen verdankten, geduldig über Äonen und Zeitalter hinweg gewartet hatten, auf einen Moment, von dem keiner von ihnen gewußt hatte, ob er jemals kommen würde. Sie waren die weisesten der Weisen, vielleicht die ältesten Menschen, die es auf dieser Welt gab; Zauberer und Schamanen, Druiden und Medizinmänner, Derwische und Fakire - ihre Namen waren Legion, aber die Bestimmung bei allen die gleiche. Sie waren die Bewahrer, die Hüter eines uralten Wissens, das älter als die Menschen war, älter als die Welt, die sie hervorgebracht hatte, vielleicht älter als das Universum, zu dem sie gehörten. Es war tief in ihnen verborgen, auf einer jeder wissenschaftlichen Erklärung spottenden, jedem menschlichen Begreifen entzogenen Ebene, so sicher und unzerstörbar wie das Leben selbst und so absolut. Keiner der alten Männer hätte wirklich sagen können, warum er hier war und was ihn gerufen hatte, und doch würde, wenn der Augenblick der Entscheidung gekommen war, jeder wissen, was er tun mußte. Der Moment war nicht mehr fern. Bald.

Die Druiden warteten.

Der Flug nach Porera hinauf, der unter normalen Umständen zehn Minuten gedauert hätte, wurde nicht nur für seine Passagiere zu einer kleinen Ewigkeit, sondern auch zu einer extremen Belastungsprobe für den Piloten und seine Maschine. Der Wind wechselte ununterbrochen, schien mal gar nicht vorhanden zu sein und dann wieder von einer Sekunde auf die nächste zu einem tobenden Orkan zu werden, der den Hubschrauber wild durchschüttelte und den Piloten mehr als einmal zu halsbrecherischen Kunstflugmanövern zwang, wollte er die Maschine überhaupt noch in seiner Gewalt behalten.

Franke hatte vorgehabt, ihnen den Schacht aus der Luft zu zeigen, von dem sie bisher nur aus seinen Erzählungen gehört hatten, aber es erwies sich als unmöglich. Die Turbulenzen waren einfach zu stark; nach dem dritten vergeblichen Anflug brach der Pilot den Versuch ab und erklärte, daß es einfach zu gefährlich sei, sich dem Höllenschlund aus der Luft her zu nähern. Warstein und die anderen waren beinahe erleichtert, und nicht nur, weil die Maschine von den aufgepeitschten Luftmassen wie ein welkes Blatt im Sturm hin und her geworfen worden war, so daß sie mehr als einmal damit gerechnet hatten, der Pilot würde die Gewalt über den Helikopter verlieren.

Daß sie Porera überhaupt erreichten, kam Warstein im nachhinein wie ein kleines Wunder vor. Der Sturm wuchs zu apokalyptischer Kraft heran, je mehr sie sich dem Ort näherten. Sein Heulen wurde bald so gewaltig, daß er selbst den Motorenlärm übertönte und jede Verständigung in der Maschine unmöglich machte. Der Helikopter bebte und zitterte jetzt ununterbrochen.

Der Pilot war nicht mehr in der Lage, einen geraden Kurs zu halten - die Maschine taumelte haltlos hin und her, sackte nach unten durch oder sprang mit einem Ruck wieder in die Höhe. Ihr Rumpf erbebte unter den Einschlägen von Sand, Staub, Steinen, ja, selbst Ästen und losgerissenen Büschen, die der Sturm mit sich trug. Als sie Porera schließlich erreichten, war Warstein schweißgebadet. Ihm war körperlich übel von den Erschütterungen, denen der Hubschrauber ausgesetzt gewesen war, und der irrsinnige Flug durch den schwarzen, brüllenden Sturm machte ihm angst. Angelika klammerte sich mit aller Kraft an ihn, aber auch er hielt sich an ihr fest, und er war nicht sicher, wer bei wem mehr Schutz suchte.

Der Helikopter ging immer tiefer. Seine Kufen streiften die Baumwipfel, und einmal geriet die Maschine so heftig ins Trudeln, daß ein Absturz unvermeidlich schien. Trotzdem wagte es der Pilot nicht höher zu gehen, denn der Sturm war dort oben noch ungleich heftiger. Die außer Kontrolle geratenen Naturgewalten hätten die Maschine einfach in Stücke gerissen.

Endlich erreichten sie die Stadt - aber es wurde nicht besser. Der Sturm tobte mit ungebrochener Gewalt durch die verlassenen Straßen, zerrte an Dächern und Wänden und schien jedes Leben davongewirbelt zu haben. Auf Frankes Befehl hin kreiste der Helikopter insgesamt dreimal über Porera, ohne daß sie auch nur eine Menschenseele zu Gesicht bekommen hätten. Der Ort lag wie ausgestorben unter ihnen.