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Nein, verbesserte sich Warstein in Gedanken. Nicht wie ausgestorben. Porera war verlassen. Das mannshohe Gittertor, das die einzige Zufahrt zur Stadt versperrte, stand offen, vom Sturm halb aus den Angeln gerissen. Das kleine Wachhäuschen daneben war zerstört, ebenso wie ein Teil der Häuser, die die Straße dahinter flankierten. Warstein sah abgedeckte Dächer und eingestürzte Mauern, aber nirgendwo ein Licht, nirgendwo eine Bewegung, die nicht vom Sturm verursacht wurde.

»Wo sind sie alle?« schrie Angelika.

Das Heulen des Sturmes verschluckte ihre Worte. Aber Franke schien sie erraten zu haben, denn er zuckte mit den Schultern, beugte sich plötzlich zum Piloten vor und schrie dem Mann etwas zu. Der Helikopter hörte auf über Porera zu kreisen und näherte sich dem kleinen Platz im Zentrum. Er war so verlassen wie der ganze Ort, aber an seinem südlichen Rand stand ein gewaltiger Sattelschlepper, der in grünen und braunen Tarnfarben lackiert war. Auch er schien verlassen zu sein, denn die Tür der Fahrerkabine stand offen und bewegte sich klappernd im Sturm. Aus dem Dach des riesigen kastenförmigen Aufbaus ragte der abgebrochene Stumpf einer Antenne.

Warstein durchlebte einige letzte Sekunden banger Furcht, als der Pilot den Helikopter unmittelbar neben dem Wagen aufsetzte. Selbst hier zwischen den Häusern war der Sturm noch so stark, daß die Maschine wild hin und her schaukelte. Sie setzte mit einem Ruck auf, der sie alle in ihren Sitzen hin und her schleuderte.

Der Lärm nahm ein wenig ab, als der Pilot den Motor ausschaltete und die Rotorblätter zum Stehen kamen. Trotzdem zitterte die Maschine weiter; manchmal erbebte sie wie unter Faustschlägen.

Franke löste seinen Sicherheitsgurt und stand auf.

»Was haben Sie vor?« schrie Warstein.

Franke deutete auf den Lastwagen. »Ich muß dorthin«, antwortete er. »Ich muß wissen, was hier los ist!«

»Sind Sie wahnsinnig?« rief Lohmann. »Hier ist keiner mehr, das sieht man doch! Bleiben Sie gefälligst hier! Wir müssen weg!«

»Weg?« Franke schüttelte den Kopf. »Aber wohin denn?«

»Aber -« Lohmann brach betroffen ab.

Franke wandte sich an den Piloten. »Passen Sie auf! Wenn irgend etwas Ungewöhnliches geschieht, starten Sie sofort. Warten Sie nicht auf mich.«

»Sie sollten sich beeilen«, antwortete der Mann. »Der Sturm scheint noch schlimmer zu werden. Wenn wir zu viel Zeit verlieren, kann ich nicht mehr starten.«

Wie um seine Worte zu bestätigen, heulte der Sturm in diesem Moment mit noch größerer Wut auf. Der Helikopter bebte.

Etwas traf sein Heck und prallte mit einem dumpfen Geräusch davon ab. Blitze, grüne, rote und blaue Lichter und gleißende Lanzen aus flammender Energie spalteten den Himmel. Warstein wagte kaum noch aus dem Fenster zu sehen. Die Welt dort draußen ging unter. Und nicht nur im übertragenen Sinne des Wortes.

»Er muß den Verstand verloren haben!« sagte Lohmann, während Franke den Hubschrauber verließ und geduckt auf den Wagen zurannte. Er stürzte ein paarmal, und es war nicht zu übersehen, daß es ihn jedes Mal mehr Kraft kostete, sich gegen die Gewalt des Sturmes wieder in die Höhe zu stemmen und weiterzulaufen. »Was um alles in der Welt sucht er hier? Hier ist doch keiner mehr!«

»Informationen«, antwortete Rogler. Er deutete auf den Wagen. »Das da war so etwas wie eine Kommandozentrale.«

In Lohmann schien die berufsmäßige Neugier des Journalisten zu erwachen. »Sie waren schon einmal hier?« fragte er. »Wie sieht es da drinnen aus?«

Rogler zuckte die Achseln. »Sehr viel Technik«, sagte er. »Eine Menge Computer und solches Zeug. Ich verstehe nichts davon. Aber es waren viele Soldaten hier.« Er ließ seinen Blick hilflos über die Häuserfront auf der gegenüberliegenden Straßenseite wandern. »Ich verstehe nicht, wo sie alle geblieben sind. Es müssen Hunderte gewesen sein. Was ist hier nur passiert?«

Warstein dachte an Ascona und die entsetzlichen Bilder, die sie dort gesehen hatten. Er hatte geglaubt, daß es nichts gäbe, was schlimmer war, aber das stimmte nicht. Der Anblick dieses verlassenen, vom Sturm verheerten Ortes war schlimmer. Irgend etwas unvorstellbar Entsetzliches mußte sich hier abgespielt haben. Vielleicht geschah es noch.

»Sie sind abgehauen«, sagte Lohmann. Warstein wußte, daß es nicht so war, aber er widersprach nicht. »Sie haben das einzig Vernünftige getan und sind verschwunden«, fuhr der Journalist fort. »Und wir sollten dasselbe tun, solange wir es noch können!«

Er sah die drei anderen herausfordernd an, aber weder Warstein noch Angelika reagierten. Rogler schüttelte heftig den Kopf. »Wir bleiben hier«, sagte er mit einer Geste auf den Wagen. »Er bleibt bestimmt nicht lange.«

Lohmann machte ein abfälliges Geräusch. »Ihr Boß hat Sie ganz schön an der Kandare, wie?«

»Nein«, antwortete Rogler ruhig. »Er ist nicht mein Boß. Aber ich glaube zufällig, daß er recht hat.«

»Womit?« fragte Lohmann.

Rogler zog eine Grimasse und wandte sich demonstrativ ab. Sein Blick begegnete dem Warsteins, und für einen winzigen Moment glaubte Warstein etwas wie ein Lächeln darin zu erkennen. Ganz instinktiv erwiderte er es. Es war seltsam - er kannte diesen Mann überhaupt nicht. Seit sie sich begegnet waren, hatten sie kaum miteinander gesprochen. Alles, was er über ihn wußte, wußte er von Franke, und das war nicht viel. Trotzdem war er ihm auf Anhieb sympathischer, als es Lohmann gewesen war. Rogler hatte ebensoviel Angst wie Angelika oder er, und er war mindestens genauso nervös, aber er strahlte eine Ruhe und Sicherheit aus, die anscheinend durch nichts zu erschüttern war.

»Verdammt, wie lange dauert das noch?« fragte Lohmann. »Was tut er da drüben?«

Warstein sah zum Wagen hinüber. Er erschrak. In den wenigen Sekunden, die er nicht nach draußen geblickt hatte, hatte sich das Bild abermals verändert. Der Sturm schien tatsächlich ein wenig nachgelassen zu haben, aber das Lodern der Flammen am Himmel war heftiger geworden. Es sah aus, als hätte das ganze Firmament Feuer gefangen. Die ununterbrochen wechselnden Lichter erfüllten den Platz zwischen den Häusern mit verwirrenden, unheimlichen Schatten und Bewegungen, wo keine waren.

»Dort drüben!« sagte Angelika plötzlich. »Was ist das?«

Warsteins Blick folgte ihrer Geste. Im allerersten Moment sah er nichts außer huschenden Schatten und tanzenden Lichtern, aber dann... Irgend etwas bewegte sich zwischen den Häusern auf der anderen Seite des Platzes. Er konnte nicht genau erkennen, was es war: massig, schwarz, zu groß für einen Menschen und zu beständig für einen Schatten. Ohne daß er die Herkunft dieses Wissens hätte angeben können, wußte er, daß es der Grund war, der die Menschen aus Porera hinausgetrieben hatte. Auch der Pilot hatte die Erscheinung bemerkt, und seine Reaktion bewies, daß Warsteins Empfindung bei ihrem Anblick nicht nur seiner eigenen Angst und Nervosität entsprang. Mit einem gemurmelten Fluch startete er den Motor des Helikopters. Seine Hände huschten über das Armaturenbrett, legten Schalter und Hebel um und drückten rasch hintereinander ein Dutzend Knöpfe. Während die Turbine mit an den Nerven zerrender Langsamkeit anlief, griff er nach dem Mikrofon des Funksprechgerätes und schaltete es ein. »Doktor Franke? Können Sie mich verstehen? Bitte melden!«

Keiner von ihnen hatte ernsthaft damit gerechnet, aber sie bekamen Antwort. »Ich höre Sie!« drang Frankes Stimme aus dem Lautsprecher, verzerrt und von den knisternden und prasselnden Lauten atmosphärischer Störungen überlagert, aber trotzdem klar verständlich. »Sie ... sie sind alle tot! Sie haben sich gegenseitig umgebracht!« Trotz der schlechten Übertragungsqualität konnten sie das Entsetzen hören, das seine Stimme durchdrang. »Es ist fürchterlich. So etwas habe ich noch nie gesehen!«

Der Pilot warf einen nervösen Blick nach draußen. Der Schatten dort drüben war nicht näher gekommen, aber er schien auf schwer zu bestimmende Weise substantieller geworden zu sein. Etwas Drohendes, Böses ging von ihm aus. »Hier draußen ist etwas«, sagte der Pilot. »Ich weiß nicht, was, aber -«