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»Starten Sie!« unterbrach ihn Franke. »Sofort.«

»Tun Sie, was er sagt!« fügte Lohmann hastig hinzu.

Der Pilot warf ihm einen ärgerlichen Blick zu, und auch Warstein spürte einen heftigen Zorn in sich emporkriechen. »Halten Sie den Mund, Lohmann«, sagte er. Lohmann fuhr herum und funkelte ihn an. Sein Gesicht verzerrte sich, und was Warstein für einen Sekundenbruchteil in seinen Augen las, das war nicht bloß einfacher Ärger, sondern mörderische, kochende Wut.

»Ich glaube nicht, daß Sie mir zu sagen haben, was ich tun darf und was nicht«, sagte er.

Warsteins Hände zuckten. Plötzlich hatte er zu nichts mehr Lust, als sich mit Lohmann zu prügeln.

»Sie -«

»Hört auf!« sagte Angelika. Auch ihre Stimme zitterte vor Anstrengung. Ihr Gesicht war kalkweiß. Trotzdem schimmerten Schweißperlen auf ihrer Stirn. »Hört auf!« sagte sie noch einmal. »Begreift ihr denn nicht? Das seid nicht ihr! Es ist dieses Ding.«

Sie deutete nach draußen. Es war noch deutlicher geworden. Warstein erkannte etwas Riesiges, Häßliches mit Schuppen und Klauen und rotglühenden lodernden Augen, ein Ding mit peitschenden Tentakeln und reißenden Fängen, die es in ihre Seelen schlagen würde, um sie mit seinem Gift zu tränken. Es war das Ungeheuer, das Lohmann gefolgt war, das Ding von der anderen Seite, Lohmanns anderer Seite. Es war wieder da. Es war nie fort gewesen. Plötzlich wußte er, daß Angelika recht hatte. Das Ding dort drüben war gestaltgewordener Haß, die Materialisation all ihrer Ängste und Alpträume, das keine andere Bestimmung hatte als zu zerstören, zu vernichten und zu töten. Das war es, was den Menschen hier in Porera geschehen war. Wieso hatte er sich eigentlich eingebildet, immun dagegen zu sein?

»Beeilen Sie sich, Doktor Franke«, fuhr der Pilot fort. »Ich weiß nicht, wie lange ich noch warten kann.«

»Verdammt noch mal, starten Sie endlich!« antwortete Franke scharf. »Ich kann hier nicht weg!«

Warstein beugte sich vor und riß dem Piloten das Mikrofon aus der Hand.

»Seien Sie vernünftig, Franke«, sagte er. »Es wird Sie umbringen! Ihnen wird dasselbe passieren wie allen anderen hier! Kommen Sie endlich zurück!«

»Das kann ich nicht«, antwortete Franke ruhig.

»Franke...«

»Seien Sie vernünftig, Warstein«, unterbrach ihn Franke. Plötzlich war seine Stimme von einer Entschlossenheit erfüllt, der Warstein nichts entgegenzusetzen hatte. »Ich kann nicht zurück. Selbst wenn ich wollte. Ich habe es mit Mühe und Not geschafft, hierher zu kommen, und da hatte ich den Wind im Rücken. Es würde gar nicht gehen. Außerdem gibt es hier noch etwas, was ich ... erledigen muß.«

»Was?« fragte Warstein.

»Ich weiß jetzt, was ich tun muß«, antwortete Franke. »Und ich glaube, Sie wissen es auch. Sehen Sie nach draußen. In den Himmel.«

Warstein gehorchte - und riß erschrocken die Augen auf. Die Lichter über ihnen hatten sich abermals verändert. Sie tobten und explodierten nach wie vor in immer schnellerem Wechsel am Himmel, aber die flackernden Muster waren jetzt nicht mehr willkürlich, sondern bildeten Linien und Wellen, rotierende Kreise wie auch flammende und erlöschende Sonnen, ein sich stets wiederholendes und doch immer neues Muster, das von einem Horizont zum anderen reichte und immer mehr und mehr an Leuchtkraft zunahm. »Erkennen Sie es?« fragte Franke.

Warstein nickte. Dann erst begriff er, daß Franke die Bewegung ja nicht sehen konnte. »Ja«, sagte er.

Er hatte dieses Muster schon einmal gesehen - zweimal, um genau zu sein. Das erste Mal im Tunnel, als er Berger und die anderen gefunden hatte, und das zweite Mal in einer einsamen Berghütte tausend Meter über ihnen.

»Sie hatten recht«, sagte Franke. »Sie und der alte Mann. Sie hatten die ganze Zeit über recht. Es gibt Dinge, die sich mit unserer Wissenschaft nicht erklären lassen, aber das bedeutet nicht, daß sie nicht da wären. Es tut mir leid.«

»Franke, Sie -«

»Dazu ist jetzt keine Zeit«, unterbrach ihn Franke. »Das da ist ein Zeichen. Vielleicht die allerletzte Chance, die uns allen noch bleibt. Nutzen Sie sie. Fliegen Sie zu Saruters Hütte. Sie werden dort finden, weswegen Sie gekommen sind.«

»Saruters Hütte?« fragte Warstein überrascht. »Woher wissen Sie davon?«

»Ich war dort«, antwortete Franke.

»Sie?«

»Ich sagte Ihnen bereits: es tut mir leid«, antwortete Franke. »Ich war da, kurz nachdem Sie ... uns verlassen hatten. Ja. Sie haben recht - ich habe es gewußt. Ich wollte es nur nicht wissen. Aber ich glaube, ich kann es wieder gutmachen. Und jetzt verschwinden Sie, Warstein. Verschenken Sie nicht die letzte Chance, die Sie vielleicht noch haben.« Er atmete hörbar ein. »Geben Sie mir den Piloten.«

Warstein reichte das Mikrofon an den Piloten zurück. Eine dumpfe Betäubung begann sich in ihm breitzumachen, während er sich wieder in seinen Sitz zurücksinken ließ. Aber er versuchte vergeblich, Haß auf Franke zu empfinden.

»Doktor Franke?«

»Wie sieht es draußen aus?« erkundigte sich Franke. »Was macht der Sturm?«

»Es wird schlimmer«, antwortete der Pilot. Er warf einen nervösen Blick auf den Schatten auf der anderen Seite des Platzes. Das Ding hatte begonnen, sich aus seinem Versteck zu lösen. Sie alle konnten spüren, wie es auf sie zukroch, langsam, mit der Geduld eines Wesens, das wußte, daß seine Opfer ihm nicht mehr entkommen konnten. »Und da ist noch -«

»Können Sie noch höher in die Berge hinauf?« unterbrach Franke.

»Höher?« Der Pilot klang eindeutig entsetzt. »Das ist unmöglich!«

»Etwa tausend Meter«, fuhr Franke fort. »Warstein zeigt Ihnen den genauen Weg. Sie müssen es versuchen. Es ist unvorstellbar wichtig.«

Der Pilot schwieg. In seinem Gesicht arbeitete es, während er abwechselnd das näher kriechende Ding und die flackernden Lichter am Himmel betrachtete. Seine Hand schloß sich so fest um das Mikrofon, daß das Plastik zu knistern begann.

»Das ist Wahnsinn«, murmelte er. »Ich weiß nicht, ob die Maschine es aushält.«

»Das wird sie«, versprach Franke. »Sie müssen es nur wollen.«

»Ihr seid ja alle komplett verrückt!« keuchte Lohmann. »Ich will weg hier! Auf der Stelle!«

»Ich kann Sie nicht zwingen, es zu tun«, fuhr Frankes Stimme aus dem Lautsprecher fort. »Ich kann Sie nur darum bitten. Versuchen Sie es.«

Der Pilot schwieg. Sein Gesicht war zu einer ausdruckslosen Maske erstarrt. Es vergingen noch einmal zehn Sekunden, in denen er wortlos auf den näher kriechenden Schatten starrte. Dann hängte er das Mikrofon mit einer fast bedächtigen Bewegung zurück und legte beide Hände auf den Steuerknüppel. Einen Augenblick später startete der Helikopter und sprang mit einem Satz direkt in das aufgerissene, brüllende Maul des Sturmes hinein.

Selbst hier drinnen war das Tosen des Sturmes so angeschwollen, daß es jeden anderen Laut übertönte. Franke schaltete das Funkgerät aus. Selbst wenn Warstein oder der Pilot noch etwas gesagt hätten, er hätte es sowieso nicht mehr gehört.

Sein Blick wanderte über die erloschenen und zum Teil zerstörten Kontrollen, über zerborstene Bildschirme und tote Computerdisplays. Er empfand nichts, weder beim Anblick der zerstörten Geräte noch bei dem der Toten, die in einem einzigen Knäuel aus Armen und Beinen und ineinanderverkrallten Leibern im vorderen Drittel des Wagens lagen. Seltsam - früher, als er noch geglaubt hatte, die Welt zu verstehen, sie in klare Kategorien von Dingen, die er wußte, und solchen, die er noch nicht wußte, eingeteilt hatte, da hatte er Angst vor dem Tod gehabt; sowohl vor seinem Anblick als auch vor dem Gedanken an sein eigenes Ende.