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Jetzt ließ es ihn fast kalt. Er empfand ein leises Bedauern - kein Mitleid -, daß das Leben all dieser Menschen auf eine so vollkommen sinnlose Weise hatte enden müssen, aber mehr nicht. Er fragte sich nicht, warum. Diese Antwort kannte er jetzt.

Frankes Blick suchte die beiden einzigen noch arbeitenden Monitore. Es war kein Zufall, daß gerade diese beiden Kameras und die dazugehörigen Bildschirme in all dem Chaos noch funktionierten. Er glaubte nicht, daß es so etwas wie Zufall überhaupt gab. Auch das war etwas, worüber er vor einigen Stunden vielleicht noch gelacht hätte, aber nun wußte er, daß alles irgendwie gelenkt und geplant war. Es gab keinen Zufall, so, wie es keine Willkür und nichts Sinnloses im Universum gab. Hinter allem stand ein lenkender, bewußter Wille, auch wenn er vielleicht nach Kriterien entschied und auf eine Art und Weise handelte, die ein Mensch niemals begreifen würde. Aber er war da.

Es war ein ungemein beruhigender Gedanke.

Einer der beiden Bildschirme zeigte den nun leeren Platz. Der Helikopter war gestartet und in der Nacht verschwunden, und nur einen Moment später hatte sich auch das Gespenst wieder in sein Versteck jenseits der Wirklichkeit zurückgezogen, so lautlos und schnell, wie es gekommen war. Franke war allein. Das Ungeheuer konnte ihm nichts mehr antun, denn er hatte einen Punkt erreicht, der jenseits der Furcht lag.

Der zweite Monitor zeigte den Schacht. Es war das Bild einer Infrarotkamera, das die Dinge verzerrt und in beunruhigenden, falschen Farben darstellte: ein schwarzer, perfekt gerundeter Höllenschlund inmitten eines Chaos aus wirbelnden, sich ständig verändernden Farben und Umrissen, der sich aufgetan hatte, um die Welt zu verschlingen.

Und er hatte ihn erschaffen.

Er hatte es begriffen, als er unten im Tunnel stand und das Heulen der Sirenen hörte, das Flackern der Warnlampe sah, die von der bevorstehenden Katastrophe kündete, die Schreie der Techniker hörte - und das, was Warstein schließlich Lohmann zugeschrien hatte: Sie explodiert, weil Sie es wollen.

Aus keinem anderen Grund war dieser Schacht entstanden. Er war sein, Frankes, ganz persönlicher Alptraum. Etwas in ihm, ein schrecklicher siamesischer Zwilling aus dem klar denkenden Wissenschaftler und dem verängstigten Kind, das die Dunkelheit und das Unbekannte fürchtete, hatte gewußt, daß ein Schwarzes Loch nur dies zur Folge haben konnte: einen Riß in der Welt, durch den die Wirklichkeit eingesogen wurde, und so war genau dies entstanden. Einfach, weil er es wollte.

Franke stand auf und wandte sich zur Tür. Er hatte gelogen, als er Warstein gegenüber behauptet hatte, den Wagen nicht mehr verlassen zu können. Der Sturm war hier unten am Boden gar nicht so schlimm, wie es den Anschein hatte. Er würde all seine Kraft brauchen, und er würde sich beeilen müssen, um es noch rechtzeitig zu schaffen, aber zugleich wußte er auch, daß er es schaffen würde. Auch das war Teil des großen Planes.

Er verließ den Wagen, wandte sich nach Süden und ging los.

19

»Dort drüben! Links!« Warstein schrie die Worte aus Leibeskräften, aber seine Stimme hatte keine Chance gegen den Lärm des Weltunterganges, der rings um sie herum tobte. Der Pilot reagierte einzig auf seine wedelnde Geste, korrigierte den Kurs des Helikopters entsprechend. Die Maschine war längst zu einem Spielball der Naturgewalten geworden, die sich kaum mehr lenken und schon gar nicht beherrschen ließ. Alles, was er tun konnte, war, den Sturm zu überlisten und den Helikopter so zu drehen, daß er sie in die ungefähre Richtung schleuderte, in die sie wollten.

»Sie sind ja verrückt!« brüllte Lohmann. »Sie werden uns alle umbringen!« Warstein erriet diese Worte mehr anhand der Lippenbewegungen und Lohmanns verzweifelter Gesten, als daß er sie verstand. Und er konnte Lohmann nicht einmal wirklich widersprechen - auch er selbst hatte immer größere Mühe, sich einzureden, daß er wirklich wußte, was er tat. Als sie gestartet waren, hatte er sich noch eingeredet, daß es nicht so schlimm werden konnte, aber das gehörte wohl zu den grundsätzlichen Irrtümern, die Menschen immer wieder unterlaufen: Es konnte immer noch schlimmer werden.

Die Lichter hatten begonnen vom Himmel herabzusinken und waren jetzt vor, hinter, neben, über und sogar unter ihnen. Der Helikopter torkelte durch einen Taifun aus knisternder Energie und purer Kraft, aus Blitzen und zermalmenden Sturmböen, und er hatte im Grunde überhaupt kein Recht mehr, noch zu existieren. Ein Millionstel Teil der destruktiven Energien, denen sie sich entgegengestellt hatten, hätte ausgereicht, ihn zu Staub zu zermahlen. Es war wohl so, wie Franke behauptet hatte: Was sie bisher gerettet hatte, war einzig der Umstand, daß sie ihr Ziel erreichen wollten.

Vor ihnen wuchs ein Schemen aus Licht und reiner Bewegung auf. Ein vertrauter Umriß, eine Linie, die er schon einmal gesehen hatte - Warstein wußte es nicht. Sie flogen blind, aber es hätte auch nicht viel geändert, hätten sie den Weg bei klarer Sicht zurückgelegt. Er war nur ein einziges Mal hier gewesen, vor mehr als drei Jahren, und damals war er zu Fuß hier heraufgekommen. Aber sie mußten die Hütte einfach finden, weil sonst die Welt untergehen würde.

»Kehren Sie um!« brüllte Lohmann. »Verdammt noch mal, fliegen Sie endlich zurück! Sie bringen uns noch alle um! Dieser Idiot hat doch keine Ahnung, wohin er fliegt!«

Der Sturm beruhigte sich ein wenig. Der Helikopter schwankte noch immer wie ein Boot auf hoher See, aber es gelang dem Piloten zumindest, ihn halbwegs gerade zu halten, während sie sich dem Felsvorsprung näherten, den Warstein entdeckt hatte. Er war nicht sicher. Der Felsen sah aus wie der, hinter dem Saruters Haus lag, aber wenn er ehrlich war, dann sah hier oben jeder Felsen so aus. Er konnte nur hoffen und beten.

»Hören Sie endlich auf!« brüllte Lohmann wieder. In seiner Panik versuchte er aufzuspringen und nach dem Piloten zu greifen. Warstein wäre zu spät gekommen, aber Rogler riß ihn mit einem harten Ruck zurück, stieß ihn auf den Sitz und versetzte ihm eine schallende Ohrfeige. Lohmann heulte auf und krümmte sich.

Der Felsen glitt unter ihnen davon - und dann lag die Hütte vor ihnen, eingewoben in ein Netz aus lodernden blauen Linien purer Energie. Sie kam Warstein anders vor als damals, aber das mochte an dem veränderten Licht liegen und seiner eigenen Aufregung. Er begann mit beiden Händen zu gestikulieren.

»Können Sie dort landen?« schrie er.

Der Pilot nickte. Die Bewegung wirkte verkrampft, und sein Gesicht glänzte vor Schweiß. »Ja«, schrie er zurück. »Der Felsen schützt uns ein wenig. Aber ich komme nie wieder hoch. Völlig unmöglich.«

»Dann springen wir ab!« entschied Warstein. »Halten Sie die Maschine so ruhig, wie Sie können!«

»Aber ich kann Sie nicht wieder aufnehmen!« protestierte der Mann.

»Das müssen Sie auch nicht«, antwortete Warstein. Er breitete beide Arme aus, um auf dem wankenden Boden die Balance zu halten, arbeitete sich zur Tür vor und öffnete sie. Er brauchte seine ganze Kraft dazu, und als er es geschafft hatte, riß ihn der hereinfauchende Wind von den Füßen und schleuderte ihn gegen Angelika, die sich gerade von ihrem Sitz erhoben hatte. Mühsam rappelten sie sich wieder hoch und wankten zur Tür zurück.

Warsteins Mut bekam einen gehörigen Dämpfer, als er nach draußen sah. Sie waren höchstens noch zwei Meter hoch, und der Pilot hielt die Maschine so ruhig, wie es nur ging - aber es ging eben nicht sehr gut. Der felsige Boden unter ihnen hüpfte und taumelte hin und her, war manchmal einen, dann wieder drei Meter entfernt und kippte unentwegt von einer Seite auf die andere. Selbst ein Sprung aus dieser geringen Höhe würde zu einem lebensgefährlichen Abenteuer werden.

Angelika nahm ihm die Entscheidung ab. Mit einer entschlossenen Bewegung sprang sie an ihm vorbei in die Tiefe, rollte sich geschickt ab und kam, den Schwung ihres Sturzes ausnutzend, wieder auf die Füße. In geduckter Haltung entfernte sie sich ein paar Schritte von der Maschine, ehe sie stehenblieb und ihm zuwinkte nachzukommen.