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»Das steht jedenfalls auf der Klingel«, gab Warstein zurück. Das war nicht nur unnötig grob, es hörte sich sogar in seinen eigenen Ohren wie eine schlechte Philip-Marlowe-Imitation an. Er entschuldigte sich nicht für den Ausrutscher, aber er fügte in deutlich zurückgenommenem Ton und mit seiner Version eines Zehn-Uhr-vormittags-Lächelns hinzu: »Der bin ich. Kennen wir uns?«

»Nicht persönlich«, antwortete die junge Frau. »Mein Name ist Berger. Angelika Berger.« Sie sagte das in einem Ton, als erwarte sie eine ganz bestimmte Reaktion auf diese Eröffnung, aber Warstein sah sie nur weiter fragend an. Er kannte niemanden dieses Namens, und er machte sich auch nicht die Mühe, darüber nachzudenken.

»Und?« fragte er.

»Ich hätte Sie gerne einmal gesprochen. Ich weiß, es ist ungewöhnlich, und ich hätte Sie nicht einfach so überfallen dürfen, aber Sie stehen nicht im Telefonbuch, und...«

Er konnte regelrecht sehen, wie sie den Faden verlor, aber sein Mitgefühl hielt sich in Grenzen. Mißtrauisch sah er einige Sekunden lang sie, dann für mindestens die gleiche Zeit die Mappe an, die sie unter dem Arm trug. »Schickt Sie meine Frau?«

»Ich wußte bis jetzt nicht einmal, daß Sie verheiratet sind.«

»Das bin ich auch nicht«, knurrte Warstein. Er trat einen Schritt zurück, wobei er die Wohnungstür weiter aufzog, und hielt Angelika Berger scharf im Auge, während sie der wortlosen Einladung Folge leistete und an ihm vorbeiging. Ihre Reaktion irritierte ihn - sie zeigte nämlich gar keine. Und das war ungewöhnlich für jemanden, der zum ersten Mal hierherkam. Seine Wohnung war - gelinde ausgedrückt - ein Saustall. Das Gemetzel, das Vlad an den Überresten des Hähnchens angerichtet hatte, fiel nicht weiter auf. So lange man nicht hineintrat, selbstverständlich. Abgesehen vom Bad bestand Warsteins ›Appartement‹ aus einem einzigen, noch dazu asymmetrisch geschnittenen Raum, in den er seit drei Jahren beharrlich mehr Dinge stopfte, als eigentlich hineinpaßten. Auf der Spüle stapelte sich schmutziges Geschirr. Das Bücherregal, mit dem er versucht hatte, sich so etwas wie eine Schlafnische abzuteilen, quoll über von zerlesenen Illustrierten, Büchern, Kartons und tausend anderen überflüssigen Dingen, die wegzuwerfen er sich nie die Mühe gemacht hatte. Ein Teil seines spärlichen Besitzes an Kleidung war auf dem Fußboden verstreut, der Rest lag unordentlich auf der Couch und dem einzigen Sessel, den er besaß. Außerdem gab es eine erstaunliche Sammlung an leeren Bierdosen und Rotweinflaschen. Ein erstaunter Blick, ein verlegen-überraschtes Lächeln oder doch das angedeutete Hochziehen einer Augenbraue waren das mindeste, was er erwartet hatte.

Aber Angelika Berger hatte sich entweder erstaunlich gut in der Gewalt - oder sie hatte ziemlich genau gewußt, was sie sehen würde. Vielleicht kannten sie sich doch.

»Also?« fragte er, während sie zum Sessel ging und sich unaufgefordert setzte. Die Mappe legte sie mit einem Geräusch auf den Tisch, das ihr großes Gewicht verriet. »Was kann ich für Sie tun?«

Konsequenterweise ging er an ihr vorbei und öffnete den Kühlschrank, ehe sie auch nur Gelegenheit hatte, seine Frage zu beantworten. Er enthielt nichts außer vier Büchsen Bier und zwei Dosen Katzenfutter, eine davon schon angebrochen. »Kann ich Ihnen etwas anbieten?« fragte er, während er in die gelb erleuchtete Kälte hineingriff, ein Bier herausnahm und das Katzenfutter nachdenklich musterte. Vlad, der das Geräusch der Kühlschranktür gehört hatte, sprang mit einem Satz zwischen seine Beine und maunzte kläglich. Aber darauf fiel er nicht herein. Sollte der Kater doch seine Hühnerknochen fressen - genug davon waren schließlich da. »Ein Bier. Oder lieber Kaffee? Ich habe allerdings nur Instant.« Er schloß die Kühlschranktür.

»Danke, gar nichts. Darf ich vielleicht rauchen?«

»Nein«, antwortete Warstein. Er riß die Bierdose auf, warf den Verschluß ins Spülbecken und nahm einen ersten Schluck. Er schmeckte so, wie der erste Schluck am Morgen immer schmeckte: scheußlich. Aber er spülte zumindest das pelzige Gefühl von seiner Zunge, und der zweite war schon besser.

Seine Besucherin hatte die Hand bereits nach ihrer Tasche ausgestreckt. Jetzt verharrte sie mitten in der Bewegung, zögerte eine Sekunde und lehnte sich dann mit einem enttäuschten Achselzucken wieder zurück.

»Ich ... bin aus einem ganz bestimmten Grund hier«, begann sie, langsam, übermäßig betont und auf eine sehr dezidierte Art ihre Worte wählend. Sie sah überall hin, nur nicht in seine Richtung.

»Das dachte ich mir.« Er setzte sich ihr gegenüber, nahm einen dritten Schluck Bier und scheuchte Vlad davon, der es sich auf seinem Schoß bequem machen wollte. Der Kater lief verärgert davon und blieb zwei Schritte vor der Wohnungstür stehen, die Warstein offengelassen hatte.

Bergers Blick, offenbar froh, etwas gefunden zu haben, woran er sich festhalten konnte, folgte ihm. »Haben Sie keine Angst, daß er wegläuft?« fragte sie.

»Die Hoffnung habe ich schon vor drei Jahren aufgegeben«, antwortete Warstein. »Das hier ist seine Wohnung, wissen Sie? Ich bin hier nur geduldet. Er war schon hier, als ich eingezogen bin, und wahrscheinlich wird er auch die nächsten drei Mieter überleben.«

»Ein hübscher Kerl. Wie heißt er?« Berger beugte sich vor, um den Kater zu locken, und Vlad war tatsächlich gnädig genug gestimmt, näher zu kommen und ihre Finger zu beschnüffeln.

»Vlad«, antwortete Warstein. »Jedenfalls nenne ich ihn so. Ich finde, der Name paßt irgendwie zu seinem Charakter.«

Berger zog die Hand beinahe erschrocken wieder zurück und sah ihn eine Sekunde irritiert an. Sie versuchte zu lachen, aber es wollte ihr auch diesmal nicht so recht gelingen. Erneut fiel Warstein auf, wie unsicher sie war. Sie machte ganz den Eindruck eines Menschen, der sich an einem Ort befand, von dem er sich möglichst weit weg wünschte, und in einer Situation, die vielleicht nicht sein schlimmster Alptraum war, diesem aber ziemlich nahe kam. Und irgend etwas an ihr störte Warstein.

Es war nicht ihre Nervosität. Warstein war es gewohnt, seine Gesprächspartner nervös zu machen; früher manchmal absichtlich, mittlerweile einfach durch das, was er war. Es war nicht einmal ihre Geheimniskrämerei, die ohnehin nur Folge ihrer Unsicherheit war. Es war etwas anderes.

Warstein hatte das sichere Gefühl, daß mit Angelika Berger der Ärger zu ihm zurückgekommen war, vor dem er sich vor so langer Zeit in seiner vom Sozialamt bezahlten Einzimmerwohnung verkrochen hatte. Man sah es ihr vielleicht nicht an, aber in gewissem Sinne war diese Wohnung eine Art Festung. Er hatte plötzlich das Gefühl, einem Vampir die Tür geöffnet und sich zu spät daran erinnert zu haben, daß er nur hereinkommen konnte, wenn man ihn einlud.

Warstein verscheuchte den Gedanken. Er mußte sich zusammenreißen. Sein ohnehin latent vorhandener Hang zur Paranoia begann in letzter Zeit immer stärker zu werden. Wahrscheinlich würde sich in ein paar Minuten herausstellen, daß ihr Bitte-schlag-mich-nicht-Blick und ihre Unsicherheit nur eine ganz besonders raffinierte Methode waren, sich Einlaß zu verschaffen. Er betrachtete unauffällig ihre Mappe, aber das dunkelgrüne Plastik war glatt; kein Aufdruck, kein Firmensignet.

»Ein wirklich schönes Tier«, sagte Berger. »Ich hatte auch einmal eine Katze. Aber sie war sehr scheu. Eine Balinesin - glaube ich. Ich verstehe nicht viel von Katzen«, fügte sie mit einem entschuldigenden Lächeln hinzu.

»Ich auch nicht«, sagte Warstein. »Aber Sie sind doch bestimmt nicht gekommen, um mit mir über Katzen zu reden, oder?« Er machte eine Kopfbewegung auf ihre Mappe und sprach weiter, gerade als sie zu einer Antwort ansetzen wollte. »Falls Sie hier sind, um mir ein Zeitungsabo oder eine Lebensversicherung zu verkaufen, vergeuden Sie nur Ihre Zeit. Eine Zeitschrift kann ich mir nicht leisten, und an einer Versicherungspolice für mich hätten Ihre Vorgesetzten bestimmt keine große Freude.«

Er beobachtete sie scharf, während er sprach, und er konnte regelrecht sehen, wie das, was von ihrer Selbstsicherheit bisher noch übriggeblieben war, wie ein Kartenhaus in sich zusammenfiel. Er fragte sich selbst, warum er eigentlich so grob zu ihr war - und vor allem, warum er ihr ständig Fragen stellte und ihr dann keine Gelegenheit gab, sie zu beantworten.