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«Komm näher.«

Leise war jetzt die Stimme des Münzmarschalls.»Steh nicht herum wie der Idiot, der du bist.«

Leise Worte, schmerzhaft wie Peitschenhiebe.

«Es gibt viel, was ich bei einem jungen Menschen zu ertragen bereit bin, Otto Heinrich. Doch auch meiner Geduld sind Grenzen gesetzt. Versuchte ich die eigenen Gefühle außer acht zu lassen, so würde es noch schlimmer. Dann müßte ich sagen: Du verdienst es nicht, in diesem Haus zu wohnen, du verdienst nicht, die Luft dieser Stadt und dieses Staates zu atmen und schon gar nicht deine Ausbildung und die Bemühungen deiner Lehrer, dich als Apotheker zu einem geachteten Mitglied unserer Gesellschaft zu machen. Dies soll zuvor einmal klargestellt sein. Hast du das verstanden?«

«Nein, Herr Vater«, hörte er sich sagen.

«Nein? Was soll das heißen?«

An den Schläfen des Münzmarschalls schwollen die Adern. Das quadratische Gesicht färbte ein verräterisches Rot, die Hand zuckte über den Schreibtisch, nahm ein Papier und riß es anklagend hoch:»Willst du mich auch noch belügen? Hier! Ein Protokoll. Und die Polizei hat es mir selbst ins Haus gebracht. Rat Wallerscheid hat sich dieser Mühe unterzogen. Und das nur, weil er ein Freund ist, ein wahrer Freund. Aber diese Sache ist so himmelschreiend, daß auf ihn nicht länger zu zählen ist. Ich tu's auch nicht. Denn dies ist ein Dokument der Schande, ich sagte ja, dies ist für mich eine Blamage, die zum Himmel stinkt.«

Otto Heinrich fühlte, wie sich sein Rücken verkrampfte. Sein Herz, wie es klopfte! Und auch der Kopf begann wieder zu schmerzen. Er versuchte nachzudenken. Er vermochte es nicht zu glauben. So wenig Zeit war vergangen. Wie sollte sein Vater jetzt schon einen Bericht von dem Burschenschafter-Comment im Fährhaus bekommen haben? Oder hatten die Polizei-Spitzel Fehlin und ihn bereits auf ihrem Weg verfolgt? Waren sie tatsächlich überall?

Sein Hals war trocken. Er brachte keinen Ton heraus. Und sein Vater sah ihn noch immer mit denselben dunklen, drohenden Augen an. Doch dann kamen die Zeilen in grellem Spott herausgeschleudert.

«Sei nicht mehr die weiche Flöte, das idyllische Gemüt, sei des Vaterlands Posaune, sei Kanone, sei Kartaune, blase, schmettere, donnere, töte!«

Gotthelf Kummer warf das Blatt verächtlich auf den Tisch.

Schweigen.

Dann sprach der Münzmarschall, leise, ungläubig, als könne er der eigenen Stimme nicht vertrauen:»Mein Sohn! Und was predigt er? Mord und Totschlag. «Plötzlich fing er an zu brüllen:»Das ist Aufstand! Jawohl, was ist das anderes als Aufstand? Revolution! — Und wer predigt das?«

«Ich habe nicht gepredigt, Herr Vater.«

«Ach nein?! Und was steht hier?«Die Faust des Münzmarschalls donnerte auf das Polizei-Protokoll.»Willst du vielleicht.«

«Ich will gar nichts. Ich will nichts, als die Wahrheit feststellen. Ich habe ein Gedicht deklamiert. Und dieses Gedicht stammt aus der Feder eines Mannes, den ich, und ich scheue mich nicht, dies Ihnen zu sagen, aus tiefstem Herzen verehre.«

«Nun hör.«

«Nein, Herr Vater. Ich bitte, daß Sie mich hören. Dieser Mann kann als einer der kühnsten und größten deutschen Geister gelten. Und wo muß er leben? In Paris. Und warum? Weil ihn Reaktion und Presse-Zensur aus dem Land gejagt haben. Ihn, einen Mann, dem nichts höher ist als die Freiheit.«

«Freiheit? Reaktion. Presse-Zensur. Schon die Wortwahl sagt alles.«

Wieder holte Otto Heinrich Kummer tief Luft.»Bei allem Verständnis, das ich aufzubringen vermag, wenn ich an Ihr Amt denke, Herr Vater — aber der Geist der Freiheit war auch Ihnen vertraut. Ja, er wohnte auch in Ihrem Herzen. Warum haben Sie denn bei Leipzig gekämpft?«

Nein, seine Stimme schwankte nicht. Und alle Zweifel, sie waren verflogen. Stolz war Otto Heinrich, stolz darauf, nicht nur zum ersten Mal in seinem Leben dem Vater die Stirne zu bieten, stolz auch, weil er sich angesichts der Gefahr zu solchen Gefühlen bekannte.

«Das ist also aus dir geworden? Ein Jakobiner.«

«Ich sprach von der Freiheit.«

«Freiheit, Freiheit!«Nun schrie der Münzmarschall völlig außer sich:»Jawohl, Freiheit! Wir haben dafür gekämpft. Wir haben gekämpft, um dem deutschen Volk seine Freiheit zurückzugeben. Aber auch seine Ordnung. Doch nicht, damit ein aufrührerisches Gesindel, eine Mischung aus Hitz- und Dummköpfen, Burschenschaftlern und anderen Verrückten dieses gottgefügte Gesetz wieder zerstört. Deshalb doch nicht! — Nun wirst du gleich sagen, daß die Ordnung nicht von Gott, sondern von Menschen gefügt werde.«

Otto nahm den Kopf noch höher.»Ja. Das sage ich. Und ich sage mehr: Daß es nicht nur die Gesetze der Obrigkeit gibt, sondern ein anderes Gesetz — das, das in einer Brust wohnt.«

«O Gott! Auch noch.«

Der Münzmarschall schüttelte den Kopf, preßte die Fäuste gegen die Schreibtischplatte, schüttelte wieder den Kopf, ließ sich in seinen Sessel fallen, lehnte sich zurück, schloß die Augen, und eine Art Lächeln, ein ironisch-überlegenes Lächeln entspannte sein Gesicht.»Weißt du, was am unerträglichsten ist? Diese ewige Überspanntheit. Normal könnt ihr wohl nicht mehr reden? Sobald man euch hört, sitzt man im Theater. Jeder sein eigener Schiller! Und was bist du? Ein Apotheker. Das willst du zumindest werden. Und daran will ich dich erinnern. Ein Apotheker, der sich seines Berufes schämt und deshalb nach hohlen Phrasen sucht. Gesetz in deiner Brust? Soll das Kant sein? Aber nicht einmal den hast du gelesen. Denn wenn du Kant wirklich kennen würdest, würdest du auch wissen, was er von euresgleichen gehalten hat. Daß es kein größeres Verbrechen gibt, als Aufruhr zu predigen. Daß das Volk nur eines zu tun hat, zu gehorchen. - Na, Herr Philosoph, was sagen Sie dazu?«

Dem Zorn war er gewachsen, der Spott war ihm zuviel. Otto Heinrich spürte, wie vor diesen kalten, distanzierten Augen die Selbstsicherheit zerbrach. Und ganz so, als nähme er jetzt erst die Situation wahr, sah er sich vor dem Schreibtisch stehen, vor einem Vater, der ein Gericht inszenieren wollte, ohne den Angeklagten dabei ernst zu nehmen, der von >Schuld< sprach, ohne die Gründe zur Kenntnis zu nehmen.

Er preßte die Hand gegen den schmerzenden Magen, als könnte er so den Schwall von Übelkeit aufhalten, der in seine Kehle hochkriechen wollte.

«Und jetzt?«vernahm er die eisige Stimme des Münzmarschalls.»Ich warte. Warum zitierst du nicht die >Räuber<? Warum schreist du nicht?«

Otto Heinrich umklammerte die Stuhllehne.

«Was seid ihr schon anderes, ihr Studenten mit euren Revoluti-onsideen, was seid ihr anderes als ein Haufen großmäuliger Laffen! Armselige Wichte, die sich Bedeutung zumessen, indem sie sich mit unverstandenem Zeug aufblasen. Und mein Sohn ist dabei. Was heißt dabei? In vorderster Front.«

Schweigen. Von irgendwo kam der Klang einer Kirchenglocke. Dann der Ruf einer Männerstimme, der Ruf der Nachtpatrouille. Der Klang der genagelten Soldatenstiefel drang herauf ins Zimmer. - Und sein Vater saß da und schüttelte den Kopf.

«Geh! Geh ins Bett, wo du hingehörst. Und geh mir aus den Augen.«

«Das werde ich tun. «Otto Heinrich sog tief die Luft ein.»Ich werde gehen. Nicht für diese Nacht, für immer. Ich werde dieses Haus verlassen.«

Nichts regte sich im Gesicht des Münzmarschalls. Nur der Blick wurde aufmerksam.

Weit, so unendlich weit wurde ihm der Weg zur Tür. Schweigen. Kein Ruf hielt ihn zurück. Nichts war um ihn. Nur Stille.

Sacht zog er die Tür hinter sich ins Schloß.

In dieser Nacht, im Hause seines Freundes Fehlin, schrieb Otto Heinrich einen langen Brief an seinen Vater. Er schrieb ihn nach einem Glas Wein, das seinem Geist wieder Kraft und Geschmeidigkeit verlieh. Es war ein Brief voll glühendem Pathos, voll Beschwörungen seiner Vision, erfüllt von dem Drang, sich erklären zu wollen.