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»Sie haben mich gesucht, Mr. Twain?« erkundigte sich Jacob.

Der Journalist nickte heftig.

»In der Tat. Ich habe davon gehört, daß Sie Miß Sommer aus der Hand des Hais befreit haben. Und auch von Ihrem heldenhaften Einsatz in dem brennenden Waisenhaus. Darüber würde ich gern für den Call schreiben«

Er zückte eine zerkratzte Taschenuhr, warf einen kurzen Blick auf das weiße Zifferblatt und fuhr fort: »Leider habe ich zu lange auf sie gewartet. Ich muß mich beeilen. Mr. Harte wartet auf mich in einer dringenden Sache, wie er mich wissen ließ.«

»Sie sprechen von Ihrem Redakteur«, sagte Jacob und erinnerte sich an die kurze Begegnung vor dem Gebäude des Call.

»Yeah.« Twains Taschenuhr verschwand wieder in der Jackentasche. »Ich schlage vor, wir treffen uns morgen. Wann paßt es Ihnen?«

»Tagsüber muß ich mich um den Wiederaufbau des Waisenhauses kümmern«, antwortete Jacob. »Vielleicht zum Abendessen?«

»Einverstanden«, sagte der Journalist. »Sie und Miß Sommer dürfen sich dann als Gäste meiner Zeitschrift betrachten.«

»Nanu«, wunderte sich Jacob. »Ich dachte, die Geschäfte gehen so schlecht.«

»Jetzt nicht mehr«. Twain grinste.

»Die eine Hälfte der Bevölkerung wurde letzte Nacht ganz hübsch von dem Brand gebeutelt. Die andere Hälfte scheint so betrübt darüber, dem Verhängnis entkommen zu sein, daß sie alles darüber lesen möchte. Unsere Extrablätter gehen weg, wie mit Nuggets bestückt. Holen Sie mich morgen abend beim Call ab? Ich kenne ein gutes Fischrestaurant dort ganz in der Nähe.«

Jacob sagte es zu, und Twain verabschiedete sich eilig.

Die Auswanderer betraten das Boarding-House.

Jacob hielt Ausschau nach dem Fremden vom Hafen. Aber im Licht der einzigen trüben Lampe, die in dem großen Schlafsaal brannte, konnte er ihn nicht entdecken.

*

Angewidert blickte das runde, von einem üppigen Schnurr- und Backenbart verzierte Gesicht auf den Inhalt des Leinenbeutels. Ein süßlicher, Würgereiz auslösender Geruch - Gestank war wohl die passendere Bezeichnung - reizte seine Nase.

Rasch wickelte der elegant gekleidete Mann wieder die Schnur um den Beutel.

Er stand von seinem Schreibtischstuhl auf, nahm seinen schmalkrempigen Strohhut vom Wandhaken und steuerte auf den Ausgang des Redaktionsgebäudes zu. Dabei schlug er einen Haken, um Jim nicht beim Fegen zu stören.

Der halbwüchsige Schwarze erledigte die Arbeit mit wahrer Hingabe. Wie alle Angestellten des Call war er froh, daß die Druckmaschine wieder arbeitete.

Doch der Negerjunge unterbrach sein andächtiges Fegen und fragte: »Mr. Harte nicht wollen warten auf Mr. Clemens?«

»Ich warte draußen, Jim«, antwortete Bret Harte, Redakteur des Call, mit einem langen Blick auf den Leinenbeutel in seiner Hand. »Hier drin ist mir die Luft zu schlecht.«

Die großen, weit hervortretenden Augen des Schwarzen blickten verständnislos.

»Wieso schlecht, Mr. Harte? Ich doch habe alle Fenster weit geöffnet!«

Das stimmte. Der vom Meer kommende Wind strömte in die Räume des Redaktionsgebäudes und konnte doch den Brandgeruch nicht ganz vertreiben, der seit der vergangenen Nacht die Stadt bis in den letzten Winkel erfüllte.

Harte gestand sich ein, daß es nicht die Luft war, die ihn hinaustrieb. Sie würde draußen kaum besser sein.

Es war die Unruhe, die ihn erfüllte, seit er entdeckt hatte, was in der Münze vor sich ging. Er wollte mit Sam Clemens über die Sache sprechen.

Auf den ersten Blick mochte Sam oberflächlich und vorwitzig erscheinen. Aber dahinter verbarg sich eine tiefe Klugheit, die Harte sehr schätzte.

In der kurzen Zeit ihrer Bekanntschaft und Zusammenarbeit waren die beiden Journalisten gute Freunde geworden. Und einen Freund brauchte Harte jetzt.

»Du machst deine Sache gut, Jim«, sagte der Mann im vornehmen Dreiteiler müde. »Du hast recht, die Luft ist in Ordnung. Aber ich muß mir ein wenig die Beine vertreten.«

Auf der Straße war es leerer als sonst. Viele Menschen hielten sich in den abgebrannten Stadtteilen auf, um dort mit anzupacken. Schutt und Trümmer mußten weggeräumt werden, um die den Flammen zum Opfer gefallenen Bezirke neu aufzubauen. Selbst jetzt, in der Dunkelheit, arbeiteten die Menschen noch im Licht von Fackeln und Laternen.

Wer länger in San Francisco lebte, gewöhnte sich rasch an Katastrophen, vornehmlich Erdbeben und Brände. Lange zu trauern, hatte keinen Sinn. Das Leben ging weiter.

Vergeblich hielt Harte unter den Passanten Ausschau nach seinem Freund. Er machte sich Sorgen, Sam war längst überfällig.

»Sind Sie Mr. Harte?«

Die Frage in seinem Rücken kam so überraschend, daß der Journalist zusammenfuhr. Er wirbelte herum und starrte in das sommersprossige Gesicht eines kleinwüchsigen Iren.

Rötliche Haarsträhnen lugten unter einer alten, zur Unkenntlichkeit verformten Mütze hervor. Der etwa zwanzig bis fünfundzwanzig Jahre alte Mann machte einen schmutzigen, abgerissenen Eindruck. Sein flaches Gesicht hatte etwas Verschlagenes an sich. Auf den ersten Blick war er dem elegant gekleideten Mann unsympathisch.

»Wer sind Sie?« fragte Harte. »Was wollen Sie von mir, Mister?«

»Laverty is' mein Name, Roy Laverty.« Der Ire tippte an seine Mütze, ohne daß Harte den Gruß erwiderte. »Sie sind also Mr. Harte?«

»Yeah. Weshalb interessiert Sie das?«

»Weil ich Sie holen soll, Sir.«

»Holen? Wohin?«

»Der Mann, auf den Sie warten, schickt mich.«

»Sam Clemens?«

»Yes, Sir, Mr. Clemens. Er will Sie dringend sprechen.« »Ich ihn auch. Deshalb warte ich hier.«

»Mr. Clemens wollte hier nicht gesehen werden. Is' zu auffällig, sagt er. Er erwartet Sie ganz in der Nähe. Ich führe Sie hin.«

Laverty wollte lostraben, aber Harte rührte sich nicht von der Stelle.

»In welcher Angelegenheit will Clemens mich sprechen?«

»Keine Ahnung.« Der Ire zuckte mit den Schultern und kramte eine Münze aus seiner Hosentasche. »Hier, Sir, einen Dollar hat er mir gegeben, damit ich Sie zu ihm bringe. Er sagte, Sie würden mir noch einen geben.«

»Ich? Das sieht Sam ähnlich, immer knapp bei Kasse. Ein Wunder, daß er Ihnen überhaupt was gegeben hat.« Harte seufzte und setzte sich in Bewegung. »Bin gespannt, auf was er gestoßen ist.«

In Gedanken fügte er hinzu: Ob es mit meiner Entdeckung zusammenhängt?

Aber nein, das konnte nicht sein. Schließlich hatte Harte noch mit niemandem darüber gesprochen.

Der Ire namens Roy Laverty führte Harte in eine verlassene, düstere Gegend. Die angrenzenden Hinterhöfe waren kaum beleuchtet. Die richtige Gegend für ein verschwiegenes Treffen.

Plötzlich blieb der vorangehende Ire stehen und drehte sich zu dem Journalisten um.

»Was ist? Sind wir schon da?«

»Sie schulden mir noch meinen Dollar, Sir!«

Lavertys Stimme klang hart, und die Worte hatten einen drohenden Unterton.

Das gefiel Harte nicht. Plötzlich keimte der Verdacht in ihm auf, leichtfertig in eine Falle gelaufen zu sein.

»Den Dollar gibt es, wenn wir bei Mr. Clemens sind.«

»Das sehe ich anders«, knurrte Laverty und hielt etwas in der Rechten, das Harte sofort erkannte. Das metallische Klicken des zurückgezogenen Hahns untermauerte die Erkenntnis, daß es sich um einen Taschenrevolver handelte. »Sie werden mir mehr als einen Dollar geben, Sir!«

Bret Harte mochte aussehen wie ein Dandy und sich zuweilen auch so geben. Aber er hatte auch härtere Zeiten erlebt. Schon 1854 war er nach Kalifornien gekommen und hatte sich mit den verschiedensten Arbeiten durchgeschlagen. Aus dieser Zeit war er an solche Typen wie Laverty gewöhnt. Und entsprechend reagierte er. Mit einer schnellen Drehung brachte Harte sich aus dem Schußfeld des anderen.