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Der Erfolg von Howard und Lovecraft und ihrer meist weniger begabten Nachahmer scheint ihre Auffassung zu bestätigen: Das Volk liebt die Welt ihrer Phantasien. Vergessene Saiten der Seele klingen in den Menschen an. Es ist den Lesern, als erstünden vor ihren inneren Augen Länder und Wesen, denen sie einst irgendwann, irgendwo begegneten.

Mammut-Jäger in Jakutien

Manche Landschaften der Erde, Hochgebirge, vergletscherte Einsamkeiten der Hochalpen, Dschungel oder Wüstenglut wirken auf die Menschen abschreckend: Jede hat aber auch ihre Verehrer, die sich vor Heimweh verzehren, sobald sie ihr fern sind.

Die eisigen Meere und Schneeflächen des Nordens wirken auf die Völker der fruchtbaren Landschaften mörderisch. Schon die Bürokratie der letzten Zaren verbannte ihre Feinde dorthin und erwartete, daß der «Henker Umwelt» (palatsch priroda) sie hinrichten werde. Man brauchte sie dort gar nicht gründlich zu bewachen oder irgendwie zu erniedrigen. In den frostigen und endlosen Weiten eingeschlossen, erlebten sie hier die Strafe der Verlassenheit, wie sie ihnen schlimmer keine menschlichen Kerkermeister zu bereiten vermochten.

Unter dem Diktator Josef Stalin wurde diese Folter «industrialisiert». Ganze «ungehorsame» Völkerstämme kamen in die Konzentrationslage am Polarmeer. Millionen ihrer Angehörigen starben gleich Fliegen dahin; die Flüchtlinge mußte man gar nicht verfolgen, sie konnten die Stacheldrähte überwinden, wurden aber rasch Opfer der ungezähmten Natur.

Doch Amfiteatrow bezeugt uns, daß einige dieser Menschen hier eine Art Paradies fanden! Sie schlössen sich den sibirischen Stämmen an, die noch immer für sich in der ewig fortdauernden Eiszeit lebten. Sie lernten von den Eingeborenen, in langen Winternächten in verschneiten Hütten eingeschlossen, das Geheimnis der magischen Beziehung zur Natur. Menschen, die zivilisierte Städter gewesen waren, fühlten sich auf einmal wieder als glückliche Kinder einer zeitlosen Welt.

Wurde ein Ukrainer in den hohen Norden verschickt, soll er etwa als bitteren Scherz dazu gesagt haben: «Ich gehe Mammute jagen!» Tatsächlich spielten in der Phantasie des sibirischen Volkes der Jakuten diese «Schnee-Elefanten» bis heute eine bedeutende Rolle: Erstaunlich häufig sind noch aus unserem Jahrhundert die Berichte, daß es an den Grenzen der Winterländer dieses Riesentier noch immer geben soll. Gerade in Jakutien hat man nicht nur ihre Knochen und gewaltigen Stoßzähne gefunden. Sogar ihre ganzen schweren Leiber wurden im Kühlschrank des Eises entdeckt. Hunde haben sie dann angefressen und die sibirischen Jäger ihr Fleisch gekostet - und es noch erstaunlich schmackhaft gefunden. Wen verwundert es noch, daß immer wieder Berichte durch Zeitungen und Tierbücher geistern, nach denen ein kühner Jäger diese Riesen quicklebendig sah?

Im Nebel und Schneesturm sollen sie erscheinen, nicht anders als wandernde Hügel. Sie stapfen schwerfällig und unaufhaltsam dahin, als herrschte auf Erden noch immer die endlose Eiszeit. Gegen die Pfeile und andere Waffen der Jakuten ist die dicke Haut und das dichte Fell dieser Riesen ein undurchdringlicher Schutz: Diese wirklichen Geistermammute in Sibirien und im angrenzenden Alaska sollen angeblich verschiedentlich auch von Europäern gesichtet worden sein. Doch ist mir kein Fall bekannt, daß einer aus den Gespensterherden des Nordens durch moderne Waffen niedergestreckt worden wäre.

Selbstverständlich taucht in den modernen Sagen kein Mammut auf ohne den zu ihm gehörenden Mammutjäger. Diese mysteriösen Jäger des hohen Nordens sollen den Jakuten zufolge genauso aussehen, wie man etwa in modernen Filmen die riesenhaften Steinzeitmenschen oder auch die Yetis darstellt. Auf dem arktischen Boden rennen sie angeblich oft barfüßig, so daß gelegentlich ihre Spuren im Schnee den zufälligen Beobachter erschrecken.

Die Jakuten nennen diesen Yeti des Nordlandes Chuchunaa. Dies bedeutet nach dem Buch von Christan Ratsch und Heinz Jürgen Probst: «Flüchtling, Ausgestoßener, Vertriebener». Geht dies auf die abenteuerlichen Opfer der Zivilisation zurück, die sich im Reich der Naturschr ecken vor den Schergen der unmenschlichen Gewaltherrscher zu verbergen versuchten? Sehen die Jakuten in diesen Eismenschen die eigenen Ahnen, die in den ungastlichsten Winkeln der Welt überlebten? Ein Siedler aus Alaska versicherte mir, daß die Indianer seiner Nachbarschaft von ihren Schneemenschen erzählen: «Ihre Zeit kommt einmal wieder. Das wird sein, wenn der große Winter von neuem vorstößt und alle Länder überzieht.»

Das geheimnisvolle Volk des sibirischen Nordens hat anscheinend eine gewisse Kultur, da sie ihr Wild mit Pfeil und Bogen jagen sollen. Seine Angehörigen sind in zottige Felle gehüllt, von denen man freilich nicht weiß, was es genau bedeutet. Ist diese Bekleidung etwa aus den Haaren des Mammutelefanten? Haben die Eiszeitleute selber einen Pelz, wie auf vie len Darstellungen die «Wilden Leute» des Alpenraums, die riesenhaften Trolle der Skandinavier, die Yetis in Pamir und Himalaya?

Es sind viel weniger Forscher diesen Geschöpfen nachgestiegen als denen in Nepal. Der Grund wird sein, daß die Nordküsten von Jakutien noch immer wenig erschlossen sind.

Das scheint mir bedauerlich, weil wir uns gerade hier sicherlich sehr nahe an der Wurzel des ganzen modernen Sagenkreises befinden. Die Schneemenschen oder Schnee-Affen scheinen in der wilden Natur unsterblich, solange es niemand fertigbringt, ihre Umwelt völlig zu zerstören.

Sind auch einmal moderne Zeitgenossen in der ursprünglichen Landschaft der fortdauernden Eiszeit auf sich selber gestellt, tauchen deren Bilder vor ihren Augen auf. Die wirklichen und erträumten Wesen, die in ihr leben, entsprechen den Gegebenheiten (fer gefährlichen Landschaft wie ein Handschuh den Umrissen der Hand: Das durch die eisigen Nebel dröhnende Mammut, mit seinem vom Frost silbernen Fell, der Urmensch, der noch vieles vom Riesenaffen hat, und dem wir die Grundlagen der Kultur verdanken.

Leben beide, der Yeti oder Chuchunaa und sein «Haustier» wirklich noch irgendwo auf Eisebenen der höchsten Gebirge oder am Polarmeer? Sie erscheinen auf alle Fälle in den Träumen der fernen Erinnerungen, wie sie jeder ursprüngliche Mensch in der Tiefe seines Unterbewußtseins in sich trägt.

Menschen-Bären 

Die Macht der Stammesmütter

Der Verfasser ist glücklich, in der Stadt Bern aufgewachsen zu sein, die einst ein Waldtier zum Vorbild nahm. Der Chronist Howald versichert, daß man hier vor 200 Jahren überall sein gemaltes Bild sah: «An gar manchem Bauernhaus, sogar an den Hütten der ganz armen Talbewohner.»

Wenn auf alten Darstellungen ein Bär die Stadt beschützt und ihre Feinde zerstreut, denkt man an die «Berserker» des Mittelalters: Das waren nach den skandinavischen Berichten Männer, die in sich die «Bärenkraft» zu beschwören verstanden. Fast ohne Schutz und Waffen stürzten sie sich auf die Scharen der Feinde. Unermüdlich schlugen sie alles vor sich nieder: Sogar die Wunden, die sie dabei erhielten, sollen sich durch ihre Erregung erstaunlich leicht geschlossen haben. Wenn die Schlacht zu Ende war, mußten die Bärenleute lange ausschla fen. Dann waren sie bis zum nächsten Einsatz im Ernstfall recht gutmütige Menschen.

An der Morgenseite des Zeitglocken-Turms, dem Wahrzeichen der Stadt, sah man bis 1770 das Bild des Bären von Allmendingen: Ein Bauernpaar schenkt ihm Äpfel, die er offensichtlich besonders schätzte, um mit ihm in Frieden zu bleiben. Wie man mir noch sagte: «Der Bär war den Vorfahren kein Feind. Er war ein guter Nachbar, wenn man mit ihm umzugehen wußte.»