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Der burgundisch-französische Märchendichter Charles Nodier wußte es ziemlich genau: Der Vampir ist in der ursprünglichen Überlieferung «ein Mensch des Guten» (un homme de bien): «Häufig ist er das Vorbild und der Berater seines Stammes, sein Richter oder sein Dichter.» Seine Seele ist sanft, gastlich, großzügig, «die nichts anderes will als lieben».

Auch Alexe] Tolstoi läßt uns begreifen: Die Vampire sind Menschen aus mächtigen, eigenwillig und selbständig für sich lebenden Familien. Ihre Energie gilt schon während ihrer Lebzeiten als überdurchschnittlich. Nach ihrem Tode besuchen sie eigentlich nur «ihre nächsten Verwandten und besten Freunde». Diese werden dann ebenfalls zu Vampiren. Die Triebfeder dieses Nachtvolks ist also weder seine Blutrünstigkeit noch die Grausamkeit. Es ist sein Wille, ewig alle seine Lieben im Umkreis zu haben...

Als Sinnbild eines solchen Verhaltens gilt nun in den östlichen Sagen die Fledermaus. Ein Zigeuner aus dem heute rumänischen Siebenbürgen sagte zu mir: «Das ist unser Tier, das wir schätzen. Es sieht in der Nacht wie unsere weisen Frauen und Männer. Es hat Freude, mit möglichst vielen Angehörigen in einer Höhle oder in einem Baumloch zu leben. Ähnlich können auch wir in einem engen Wohnwagen oder in einer Hütte am Waldrand hausen, ohne daß wir unsere Streitsucht aneinander auslassen müssen.»

Das Wort «Vampir» ist aus dem Slawischen ins Deutsche, Russische und Englische gedrungen. Eigentlich heißt es Upyr, und man hat es sehr häufig etwa vom Tätigkeitswort «pit» abgeleitet, was trinken bedeutet. Die dumme Sage vom Blutsaugen der Fledermäuse hat dadurch eine maßlose «Bestätigung» gefunden. Ich bin aber mit Wolfgang Bauer einverstanden, mit dem ich schon in den sechziger Jahren den Tierträumen nachforschte: Die Wurzel der Bezeichnung scheint griechisch zu sein: opir (opyr) besäße dann die Bedeutung «fliegendes Wesen». (Die Laute O und U werden gerade in den slawischen Mundarten oft ausgetauscht; vgl. etwa Okraina oder Ukraina im Sinn von Grenzland!)

Auch Riegler, der bedeutende Sammler der Tiersagen, faßte seine vielseitigen Untersuchungen so zusammen: «Nicht vergessen sei, daß der slawische Vampirglaube von den Fledermäusen seinen Ausgang genommen hat. Der Vampir ist... halb Mensch, halb Fledermaus.»

Als ich klein war, sah man auch im Alpenraum noch recht viele Fledermäuse um alte Bäume, Burgruinen, einsame Bauernhäuser und über Friedhofsgrüfte schweben. Wer diese Gesellschaft und die Stille der einbrechenden Nacht liebte, ging gern an solche Orte. Man saß auf einer bemoosten Holzbank oder auf einem Stein. Auf einmal fühlte man sich außerhalb der Zeit; längst vergessene Dinge fielen dem Geist zu...

Der Psychologe und Sagensammler Hans Zulliger pflegte zu sagen: «An solchen Plätzen kann man gut Geschichten aus der Urzeit berichten. Es ist dann fast, als ob die Ahnen oder die Seelen der fernen Freunde um uns ihre Kreise ziehen.«

Die schwarze Burg der Traumgötter

Das Reich der Fledermäuse oder Fledermaus-Geister war nach der Vorstellung der antiken Kulturen das geheimnisvolle Land des Traumgottes Somnus. Wenn wir Lucian und den neueren Mythologen folgen, liegt dessen Hauptstadt auf der «Trauminsel».

Um diesen geheimen Ort wuchert nun ein Wald von Pflanzen, deren schlaferzeugende Wirkung den Griechen und Römern wohlbekannt war. Es sind dies vor allem die dort zu machtvollen Bäumen heranwachsenden Kräuter wie Mohn oder Mandragora. Hier ist alles voll von Fledermäusen - sie sind überhaupt die einzigen «Vögel», die das Fürstentum des Herrn der Träume kennt.

Nach Ovids Werk Metamorphosen gehört zu den Söhnen des Somnus der Icelus, «welcher sich in Tiere, Vögel, Schlangen und dergleichen verwandeln konnte». Auch dies mag ein Hinweis darauf sein, welchen Gestalten und Verwandlungen die Menschen des Altertums vor allem in ihren Träumen be-gegneten. Ein anderer Sohn des Schlafgottes war Phantasus, der den Menschen in der Nacht Bäume, Gesteine und andere nicht tierische Dinge unserer Welt vorführte. Unsere schöpferische Phantasie besitzt also nach den Alten ihre Wurzeln im Traumreich.

Somnus, der Meister dieser Herren des Schlafs und der Nacht, soll in ewigen Nebeln in einer Berghöhle ruhen. Diesen Ort suchten die antiken Sagen an verschiedenen märchenhaften Erdplätzen. Vor allem wiederum anscheinend im Norden des Schwarzen Meeres: Er liegt im Gebiet der Skythen, in der Nähe des Lands der Kimmerier. Dies sind wieder die Reiche, durch die man vom Mittelmeer her zu den geheimnisvollen Tiervölkern kommen sollte. In diesen Gebieten sind bis heute die Sagen unausrottbar.

Im russischen Volksmärchen, das der Dichter und Sagensammler Alexander S. Puschkin in Russlan und Ljudmila wiedergab, befinden sich dort noch immer die magischen Gärten des Magiers «Tschernomor». Schon dessen Name bezeichnet ihn als den Bewohner oder Herrn des Schwarzen Meeres (Tschernoje more). Auch er beherrscht mit seinen Träumen der Phantasie alle Geschöpfe, die in seinen Bann treten.

Für gewisse Zigeunerstämme von Griechenland bis Siebenbürgen liegt in diesen Gegenden ebenfalls die nachtdunkle Burg der Feenkönigin Anna, die von Fledermäusen umflattert wird.

Auch sie vermag die Menschen mit lieblichen oder drohenden Tierträumen zu belohnen oder zu bestrafen. Zu ihr sollen die Hexen in der Nacht fliegen, um ihre Geheimnisse nach und nach zu erlernen.

Gerade im stark griechisch beeinflußten Kulturkreis des östlichen Mittelmeeres hat sich eine wichtige urchristliche Legende erhalten: Das verspielte Christuskind soll zahlreiche Vögel aus Ton geformt haben. Da es aber damit die streng vorgeschriebene Sabbatruhe störte, erzeugte es allgemeinen Ärger. Bevor man seine Bildchen zerstörte, klatschte der Kleine in seine göttlichen Händchen; darob wurden die Geschöpfe seiner Kunst zu lebendigen Wesen und flogen munter davon.

Die hübsche Geschichte findet sich ebenfalls in der islamischen Überlieferung. Ausdrücklich wird uns aber hier versichert, auf diese Art und Weise seien die ersten Fledermäuse entstanden. Diese werden im Orient als die vollkommensten Fluggeschöpfe angesehen: Vereinigen sie doch viele Eigenschaften von Landtieren und Vögeln.

Der gelehrte Menzel findet diese Christuslegende sehr wichtig, weil sie der Fledermaus eine besonders heilige Herkunft zuschreibt: Eigentlich enthalte die ganze fromme Sage die Mahnung, daß man das geflügelte Tierchen mit besonderer Schonung behandeln müsse. Offensichtlich war es also schon in der Frühzeit bekannt, daß diese kleinen Nachtjäger sehr nützlich sind, da sie die Wolken der störenden Insekten verringern.

Nistet sich in Bosnien und Herzegowina die Fledermaus mit ihren Jungen in einem Hause ein, bringt sie Glück: Auf jeden Fall muß sie geschont werden. Kommt sie gar durch den Rauchfang eines Bauernhauses, so soll dies Reichtum im Viehstall versprechen.

Flattert die Fledermaus in den Laden eines Kaufmanns oder auch sonst in eine Stube, ist dies jedesmal das Versprechen eines reichen Segens. Schon im Altertum war ein Krieger froh, wenn sich eins dieser Geschöpfe auf seine Lanze setzte. Dies sollte ihm zu größerer Gewandtheit im Kampf verhelfen. Noch im 16. Jahrhundert war man überzeugt, es sei für einen Fliehenden ein gutes Zeichen, einer Fledermaus zu begegnen.

Die europäischen Zauber- und Traumbücher wissen um die «Wesen der Dunkelheit»: Meist lautlos schweben ihre schwarzen Schatten im Mondschein.