Viele Darstellungen dieses Tieres mögen nur für uns Spätgeborene unheimlich, bedrohlich, wie ein Teufelsspuk wirken. Gerade im Gebiet des einst so sumpfigen Seelands am Fuße des Juragebirges hat man mir aber auch versichert: Es galt als Sünde, die hier früher sehr zahlreichen Fledermausfamilien unter den Dächern zu vertreiben oder gar umzubringen. Gerade die Vertreter des Fahrenden Volkes wußten: «Der Teufel selber hat die Mückenschwaden dem Menschen angehetzt. Der liebe Gott hat es aber so eingerichtet, daß die Fledermäuse gewisse Orte vom giftigen Zeug, das Seuchen verbreitet, sauber halten. Wo sie sich aufhalten, dort ist die Gegend einigermaßen gesund.»
Der Volkskundler Riegl er verweist zusätzlich auf den alten Volksglauben: «Das Zaubern gelingt dort besonders gut, wo Fledermäuse sich aufhalten.» Dies mag in der Urzeit die Menschen bewogen haben, das Tier zu schätzen und seine Gewohnheiten nach Möglichkeit zu achten. «Zaubern» war schließlich kaum etwas an sich Böses. Es bedeutete vor allem das Feiern von Bräuchen, dank derer man sich Fruchtbarkeit von Menschen und Vieh, auch gute Beute bei Jagd und Fischfang versprach. So war es sicher schon in der Steinzeit, und so blieb es dort, wo die Beziehung zur Umwelt nie riß.
Erst die Hexenverfolgungen und die Naturentfremdung seit dem 15. Jahrhundert erzwangen den Triumphzug eines wirklich schändlichen Aberglaubens: Man versuchte die «Zaubertiere» auszurotten; denn ihre Lieblingsplätze, um die sie herumschwärmten, galten als Wohnsitze der blutrünstigen Vampire.
Was schenkt uns die Fledermaus?
Daß die Fledermäuse bei gewissen Stämmen seit Urzeiten als heilig und glückbringend galten, ist unbestreitbar: ebenso die Orte, Behausungen, Gräber und Ruinen, an denen sie sich reichlich aufhielten - und die Menschen, die in einer solchen Umgebung hausten, fühlten sich wohl.
Dies ist in Ostasien noch immer so. Ein wichtiges chinesisches Glückszeichen zeigt uns eine kreisrunde Öffnung, die den «Mondturm» bedeutet. Diese wird von fünf Fledermäusen umflattert. Die Zahl fünf bedeutet im übrigen die fünf Segnungen im Leben, von denen das Menschengeschlecht stets träumt: Das sind hohes Alter, Reichtum, Gesundheit, Liebe zur Tugend, natürlicher Tod... Oft wird die Fledermaus auf chinesischen Fahnen abgebildet. Auch dies sollte den Fahnenträgern Segen und Sieg bringen.
In der Mundart von Kanton heißt übrigens die Fledermaus Fukschii, also die «Ratte des Glücks»! Überhaupt gibt es im Chinesischen eine wichtige Gleichung: Wer Fledermaus sagt, meint gleichzeitig Glück. Beides wird mit der Silbe «fu» bezeichnet. Eine mittelalterliche Quelle versichert, daß es weiße Tiere dieser Art geben soll, die ein Alter von einem Jahrtausend erreichen. Wer ihr Geheimnis kennt, der ist selber fähig, seinem Dasein eine «übermenschliche» Dauer zu verleihen.
Werden wir nicht schon hier an einen wichtigen Zug unserer Gruselsagen um die Vampire erinnert? Sollen nicht auch sie gerade durch ihren Aufenthalt in geheimnisvollen Fledermaus-türmen ihr Leben uiendlich verlängern? Unsere Filme und die amerikanischen Horror-Geschichten versuchen mit Hilfe der roten Blutfarbe möglichst unheimliche Stimmungen zu erzeugen. Dies wäre aber den Völkern Chinas nicht ganz verständlich gewesen. Gerade rote Fledermäuse bedeuten bei ihnen besonderes Glück: Rot ist nun einmal die «lebensspendende» Farbe, die alles Böse vertreibt. Dies mag tatsächlich von Blut und Feuer herkommen, ohne die es kein menschliches Gedeihen geben kann. Rot bedeutet für die Chinesen den Sommer und den Süden: Erscheint im ostasiatischen Theater ein rot-gesichtiger Mensch, soll dies sein «heiliges» Wesen ausdrücken!
Auch in diesem Kulturkreis, zu dessen am meisten verehrten Tieren die Fledermaus gehört, gibt es eine für uns mißverständliche Abbildung. Sie zeigt Chung-kui, einen sagenhaften Dämonenvertilger, mit seinem Schwert, Fledermäuse niederschlagend. Aber dies ist, wie Wolfram Eberhard beschreibt, eine völlig sinnbildliche Darstellung. Auch sie bedeutet einen Glückswunsch: Das herumschwebende Glück, dessen Verkörperung die geschätzten Flattertiere sind, soll nun zum Menschen «herabgebracht» werden. Die in der Luft fliegenden Geschöpfe sollen mit ihrer himmlischen Kraft auf den Erdboden kommen, damit auch wir ihrer teilhaftig werden.
Der China-Forscher Eberhard sah zwischen der Nützlichkeit dieses Tieres in Ostasien und dessen Verfolgung in Europa einen Gegensatz. Andere verwiesen uns aber auf die Tatsache, daß die erste «positive» Ansicht auch bei gewissen europäischen Kulturen vorkommt. Gab es uralte Kulturbrücken zwischen all den Völkern, unter denen zumindest gewisse Stämme die Fledermaus stets hochschätzten?
Es ist kaum zu bestreiten, daß gerade unsere «Vampirländer», etwa Siebenbürgen, Bosnien, Herzegowina oder die Ukraine dauernd von Sippen durchzogen wurden, die an den gewaltigen Völkerwanderungen von Europa und Asien beteiligt waren. Ein Nachkomme der Fahrenden aus dem soeben erwähnten Seeland versicherte mir: Es gab Nomadenfamilien, die sich besonders gern in Gegenden niederließen, in denen die Fledermäuse und andere glückbringende Tiere reichlich vorkamen. Sie sollten, was gebildete Tierschützer heute wieder naturwissenschaftlich begründen, recht gesund sein. Dazu kommt, daß man an ihren besonderen Reichtum an Kräften glaubte:
Gerade die Nächte, in denen dieser «Vogel» im Mondschein tanzt, sollten besonders wichtig sein, dann werden eigentümlich leuchtende Erdschätze und starke Heilkräuter für das Menschenauge erkennbar.
Offenbar standen sie seit Urzeiten in unmittelbarem Zusammenhang: Die Fledermäuse, geheimnisvolle Erscheinungen der Nacht - und Ruinen aus dunkler Vergangenheit. Stets gab es Stämme und Sippen, denen man zutraute, durch ihre eigenwillige Lebensweise mehr darüber zu wissen: Ihren Angehörigen sagte man nach, in Fledermausgestalt durch die Mondnächte zu gaukeln. Die Wunder der Nacht waren für sie ein offenes Buch.
Die völlige Verteufelung all dieser Dinge fand eigentlich erst seit dem Zeitalter der perversen Hexenverfolgungen statt: Diese führten unmittelbar zu widerlichen Naturzerstörungen und ganzen Epidemien des Irrsinns, voll Grausamkeiten gegen unschuldige Menschen und Tiere. Zusammen gingen beide in Folterkammern und auf Scheiterhaufen.
Das Schrecklichste, das im Zusammenhang mit diesen Zeiten der Verhetzung stattfand, geht einwandfrei auf Kosten der gewissenlosen Vampirjäger. Gerade der hochgebildete Benediktiner und Abt Augustin Calmet (1672-1757) stellt fest, daß die Angst vor den Blutsaugern in Ungarn, Polen, Schlesien und Mähren «ein neues Schauspiel» sei. Er schildert, daß man Menschen, die man als Vampire verdächtigte, «darum getötet, verbrannt, auch ihr Fleisch genossen habe»; In Polnisch-Ruß-land pflegte man, um sich vor dem Nachtvolk zu schützen, das Brotmehl mit dem Blut aus deren Leichen zu vermengen und diesen Teufelsfraß bei den Mahlzeiten zu verschlingen.
Das Unvorstellbare, das in den Zeiten der Verfolgung der Vampire stattfand, geht also kaum auf diese selbst zurück -obwohl uns das noch immer hundertfach in Gruselfilmen eingeredet wird. Es geht einwandfrei auf Kosten der Vampir- und Hexenjäger.
Zwischen bleicher Furcht und Bewunderung
Im spannenden Buch von Bram Stoker kämpft der Vampir-Graf Dracula um die Liebe der schönen Dame Lucy Westerna. Man hat bereits mehrfach vermutet, daß diese Auseinandersetzung sinnbildlich zu verstehen ist: Den Namen der Frau kann man schließlich wörtlich als «Licht des Westens» übersetzen.
Dauernd sickerten auch im 19. Jahrhundert aus den östlichen Ländern, die man sehr verallgemeinernd als «barbarisch» verstand, ganze Volksstämme ein. Deren magisch-mystischer «Aberglaube» war teilweise sehr dichterisch und malerisch. Die westeuropäische Zivilisation und deren strenge Gesellschaftsgesetze wurden dagegen auch von ihren Bürgern häufig als langweilig empfunden. Die Vorstellungen der östlichen Völker tauchten darum seit der Romantik immer häufiger in Theater und Oper, volkstümlichen Gruselromanen und sogar in klassischen Werken auf. Sie verbreiteten verworrene Ängste und Wunschträume.